Die CIA zahlte diesem sowjetischen Verräter Millionen, bekam aber Milliarden zurück

‘The Billion Dollar Spy’ by David E. Hoffman/Corpus, 2017
An einem typischen eiskalten Januarabend in Moskau im Jahr 1977 traf ein unauffälliger Mann in den Fünfzigern an einer Tankstelle in der Nähe der US-Botschaft auf einen anderen. Letzterer war kein anderer als der Chef des Moskauer CIA-Büros. Dieses „zufällige“ Treffen war in der Tat kein Zufall.

Adolf Tolkatschew ist nach wie vor der Auslöser der größten undichten Stelle der militärischen Luftfahrt in der gesamten russischen Geschichte. Als er zwischen 1979 und 1985 für die CIA arbeitete, schaffte er es, so viel an Informationen weiterzugeben, dass er damit Israel sogar die Dominanz über Palästina gab. Grund hierfür war die Tatsache, dass die Flugzeuge zu 99 Prozent aus sowjetischer Technologie bestanden. Dies alles für ein monatliches Gehalt, das höher war als das des US-Präsidenten.

Motive

Codename „Sphere“. So nannten seine amerikanischen Mitarbeiter Tolkatschew, nachdem er versucht hatte, mit ihnen nach Monaten wiederholter Versuche ins Geschäft zu kommen.

Der Mann wurde als der bestbezahlte sowjetische Verräter bekannt, der nach heutigen Maßstäben zweistellige Millionen Dollar einbrachte. Die schmerzhaftere Zahl war jedoch, wie viel die USA durch ihn bei technischen Innovationen sparte - eine Zahl, über die die Amerikaner bis heute streiten. Höhere Schätzungen ergeben mehrere zweistellige Milliarden - wobei das US-Verteidigungsministerium später zugab, dass die USA immer noch bis in die frühen neunziger Jahre von Tolkatschews Informationen profitierten. In der Tat: Amerikanische Laserführungs- und Radarsysteme waren dank des russischen Überläufers allen anderen 10 Jahre voraus.

Adolf Tolkatschew

Tolkatschew, ein unauffälliger Mensch von bescheidener Statur und melancholischem Gesicht, arbeitete am Fazotron-Forschungsinstitut in Moskau an der Radar-Störsender-Technik und Laserleitsystemen für die militärische Luftfahrt. Aber der Mann stand der sowjetischen Regierung kritisch gegenüber und hatte Probleme mit seiner Sicherheitsfreigabe.

Im April 1979, dem Jahr, in dem er zum ersten Mal an die CIA herangetreten war, fasste Tolkatschew seine Beweggründe in einer schriftlichen Nachricht zusammen. Aus seinen Aufzeichnungen wurde zunehmend deutlich, dass Tolkatschew vor allem ein Familienvater war. Dies bringt uns zu seiner anderen Hauptmotivation: Rache. Rache für den Vater seiner jüdischen Frau und für alle Menschen, die durch Joseph Stalins Säuberungen umkamen.

Wie man Kontakt aufnimmt und Verfolger abhängt

Tolkatschew lebte mit Frau und Sohn in einer Wohnung mit zwei Zimmern im neunten Stock. Das Gebäude selbst - das Hochhaus am Kudrinskaja-Platz - war nur 400 Meter von der eigentlichen US-Botschaft in Moskau entfernt. Eine Tatsache, die später als ausschlaggebend galt, dass der stille Wissenschaftler Kontakt aufnahm und Informationen an Agenten weitergab. 

Bevor Tolkatschew den CIA-Leiter tatsächlich traf, unternahm er wochenlang abendliche Spaziergänge um das Botschaftsgelände, um herauszufinden, wie er vorgehen sollte.

Die Moskauer Tankstelle, an der Adolf Tolkatschew am 12. Januar 1977 erstmals versucht hat, Kontakt mit der CIA aufzunehmen

Als Tolkatschew dem Leiter in einer Nacht im Jahr 1977 begegnete, fragte er nur, ob dieser Amerikaner sei, und hinterließ dann einen Umschlag unter einem der Scheibenwischer des Moskauer CIA-Leiters. In dem Brief wurde kurz und bündig dargelegt, dass er daran interessiert wäre, „Angelegenheiten“ auf einer „streng vertraulichen“ Basis und mit „einem geeigneten amerikanischen Beamten“ zu besprechen.

Es dauerte zwei Jahre vertraulicher gegenseitiger Nachrichten, bis die Amerikaner darauf eingingen. Angesichts der Tatsache, dass die CIA in Moskau noch mehrere Operationen plante, war ein neuer diplomatischer Skandal mit der Sowjetunion höchst unerwünscht.

Es war Tolkatschews Einfallsreichtum zu verdanken, schließlich ins Gespräch zu kommen. Er fing den damals neuen Moskauer Chef Gardner „Gus“ Hathaway und seine Frau an ihrem Auto ab (wie er es mit allen anderen getan hatte). Er schlug einen todsicheren Weg vor, der alle Zweifel aus dem Weg räumte: In der Notiz stellte er alle bis auf zwei Zahlen seiner Telefonnummer zur Verfügung. Die anderen beiden, schrieb er, würden an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit auf zwei Sperrholzstücken enthüllt, die er in seinen Händen halten würde. Hathaway beschloss, seine Frau zu schicken, die an dem Ort vorbeifuhr, um sich die restlichen Zahlen zu notieren.

Es wurde sofort ein Telegramm nach Washington geschickt. Am 26. Februar wurde John Guilsher, ein russischsprachiger Offizier, mit dem Fall beauftragt. Zwischen den beiden entwickelte sich ein Arbeitsverhältnis.   

Welche Mittel die CIA nutzte

Im April 1980 bezeichnete Washington seine Tests mit Störsendern an sowjetischen Kampfflugzeugen als ein „einzigartiges“ Beispiel für Spionageabwehr. Diese beinhalteten Informationen zu Modifikationen an einem anderen sowjetischen Jäger, sowie ganze Seiten mit fotografierten Dokumenten, in denen mehrere neue Modelle von Flugraketensystemen beschrieben wurden. Im Grunde genommen ein guter Arbeitstag.

Die CIA ging mehrere Kameras durch und verfeinerte die Designs unter Berücksichtigung von Tolkatschews Feedback. Oftmals wurden neue Technik und Instruktionen in Moskauer Münztelefonen versteckt, manchmal in einem schmutzigen Handschuh eines Arbeiters, der auf dem Boden lag.

Die Mikrokameras waren erstklassig. Während Tolkatschew Seiten mit Dokumenten brachte, die er in seinen Mittagspausen fotografiert hatte, nahm er auch Dutzende Seiten handschriftlicher Nachrichten mit, die Informationen auf höchstem Niveau enthielten.

Die Mikrokameras mit einer Anleitung

Ein sehr geschicktes Gerät war das SRAC (oder Short-Range Agent Communications) - ein Notfallkommunikationsgerät von der Größe zweier Zigarettenpackungen. Das vereinbarte Zeichen für ein Treffen war im Grunde genommen ganz simpel: Tolkatschew musste nur zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Teil seines Küchenfensters öffnen. Unterschiedliche Aktionen wiesen auf unterschiedliche Umstände hin (manchmal kann ein Auto auf diese oder jene Weise geparkt werden, was auf eine starke Überwachung in der Umgebung hinwies). Wenn die Kommunikation schwierig war, wurde das SRAC verwendet.

Misserfolge

Im Jahre 1983 führte Fazotron neue Sicherheitsbestimmungen ein, es waren äußerst komplizierte Angelegenheiten. Tolkatschew war der erste, der sich Sorgen machte, dass der KGB seinen Seitenwechsel bereits herausgefunden hatte: In seiner Abteilung fand eine Untersuchung statt, die sich auf Informationslücken bei einem sowjetischen Zielerkennungssystem für Kampfflugzeuge konzentrierte. Es passierte zunächst aber nichts.

Erst im Juni 1985 kam es zu Problemen. Am 13. Juni sollte sich ein CIA-Sachbearbeiter mit dem russischen Doppelagenten treffen. Zum genauen Zeitpunkt des Treffens wurde er von mehr als einem Dutzend KGB-Offizieren überrumpelt, die ihn schnell zum KGB-Hauptquartier brachten. Aber selbst als sie systematisch den Inhalt des Pakets durchgingen, das er an Tolkatschew weitergeben wollte, rührte sich der CIA-Agent nicht.

Adolf Tolkatschew lässt sein Auto am 9. Juni 1985 an einer Straßensperre stehen.

Im Paket befanden sich Miniaturkameras, Dokumente, Tausende von Rubel und im Ausland hergestellte Kunstgegenstände für seinen Sohn Oleg. Der CIA-Sachbearbeiter musste schließlich gegen Mitternacht wieder freigelassen werden, nachdem die amerikanische Botschaft benachrichtigt worden war. Er wurde eine Woche später nach Hause geschickt.

Es gibt unterschiedliche Theorien. Einige Berichte behaupten, Tolkatschew sei von einem verärgerten CIA-Offizier - Edward Lee Howard - verbrannt worden. Auch nachdem er vom Moskauer Einsatz abgezogen worden war, begann seine Karriere nicht und im Allgemeinen galt er wegen seiner Tendenz zu Lügen als nicht für den Agentendienst geeignet. Er wurde 1983 entlassen. Weil er die Ablehnung nicht vertrug, wurde er zum Komatrinker. Nach US-Medien lieferte der frühere sowjetische Überläufer Witalij Jurtschenko den glaubwürdigsten Bericht: Irgendwann in den Jahren 1984 und 1985 hatte Howard sich mit KGB-Offizieren in Wien getroffen, um zu versuchen, eine Zahlung für seine Dienstleistungen zu erhalten.

Adolf Tolkatschew wird verhaftet.

Wie sich jedoch herausstellte, war auch ein anderer CIA-Agent beteiligt: Aldrich Ames - ein CIA-Überläufer, der 1985 seine Arbeit für den KGB aufgenommen hatte. Später erzählte er, wie er bereits im April 1985 Informationen über undichte Stellen an den KGB weitergegeben hatte. Aber erst im Juni hatte er angeblich Informationen über Tolkatschews gesamtes Ausmaß an Einsätzen geliefert.

Der Bericht der CIA ist jedoch noch nicht vollständig. Russische Quellen behaupten, die Sowjets hätten seit einiger Zeit davon gewusst und Tolkatschew mit gefälschten Informationen versorgt.

Aldrich Ames

Später im Jahr 1986 berichteten sowjetische Zeitungen über Tolkatschews Hinrichtung wegen „Hochverrats“.

Im Jahr 2015 hat die CIA über 900 Seiten mit detaillierten Angaben zu der Operation freigegeben, die anschließend von dem Pulitzer-Preisträger David E. Hoffman in Der Milliarden Dollar Spion: Eine wahre Geschichte über Spionage und Verrat im Kalten Krieg in einen literarischen Bericht umgewandelt wurden. 

>>> Geheime Verschlusssache: Drei spektakuläre Operationen des KGB

>>> USA vs. UdSSR: Fünf antisowjetische CIA-Operationen

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