Die Partisanenbewegung im Baltikum der 1940er Jahre sorgt auch heute noch für Kontroversen und belastet weiterhin die Beziehungen zwischen Russland und den baltischen Staaten.
2017 veröffentlichte die NATO ein Video (eng), das den Waldbrüdern (auch bekannt als „Nationale Partisanen“) gewidmet ist. Sie waren Guerillas, die gegen die sowjetischen Behörden in den baltischen Staaten kämpften, nachdem diese 1940 Teil der UdSSR geworden waren.
Das Video zeigt mehrere Veteranen der Waldbrüder, die sich an ihren Kampf gegen die „sowjetischen Invasoren“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern. Der Film wurde vom russischen Außenministerium arg kritisiert.
Marija Sacharowa, die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte (eng), dass zu den Waldbrüdern auch viele Nazi-SS Offiziere gehörten, die tausende Zivilisten ermordet haben. Seit Jahren ist die Geschichte des Guerilla-Widerstands ein Streitpunkt in den Beziehungen zwischen den baltischen Staaten und Russland.
Der Ursprung der Bewegung
„Die Waldbrüder“ wurden erstmals während der russischen Revolution 1905 im Baltikum erwähnt, als viele Osteuropäer in die Wälder flohen, um dem zaristischen Regime zu entkommen. Die Gruppe tauchte im Sommer 1940 wieder auf, als die drei baltischen Staaten in die Sowjetunion eingegliedert wurden.
Sie widersetzten sich vehement der kommunistischen Ideologie und dem Verlust der Unabhängigkeit ihrer Länder. Das Bürgertum musste aus den osteuropäischen Städten fliehen und flüchtete in den Wald, wo es kleine Kampftrupps mit fünf bis mehreren Dutzend Kämpfern bildete.
Da es keine Befehlsspitze gab, operierte jeder Kampftrupp unabhängig voneinander - sie waren sich jedoch in ihrem gemeinsamen Ziel, sich der Sowjetunion zu widersetzen, einig. Die Kämpfer lebten in gut getarnten Behausungen tief in den Wäldern. Sie griffen sowjetische Soldaten an, indem sie sie auf Straßen oder in kleinen Dörfern und Städten überfielen.
Die Waldbrüder vermieden Zusammenstöße mit größeren, gut bewaffneten Truppen der sowjetischen Armee. Stattdessen richteten sie sich gegen kommunistische Parteifunktionäre, kleine Infanterieeinheiten und sowjetische Beamte und nutzten dazu eine Reihe von Taktiken aus dem Guerillakrieg oder des Terrorismus.
Nationale Partisanen nach der deutschen Invasion
Die nationalen Partisanen verstärkten ihren Kampf gegen die Sowjets, als Deutschland am 22. Juni 1941 in die UdSSR einmarschierte. In den ersten Tagen der Wehrmachtsoffensive wurden die sowjetischen Streitkräfte durch sporadische Angriffe der Waldbrüder gestört.
Während der deutschen Besetzung der baltischen Staaten von 1941 bis 1944 schlossen sich eine Reihe von Guerillas der Wehrmacht an und arbeiteten mit den Nazis zusammen: Infolgedessen zählten mehrere SS-Divisionen baltische Staatsangehörige in ihren Reihen. Sie haben an der Seite der Deutschen viele Verbrechen begangen, insbesondere auch an Juden und Russen aus der Region Pskow.
Aber viele derer, die ein Bündnis mit den Nazis geschlossen hatten, kehrten in den Wald zurück und schlossen sich wieder der Bewegung an - mit Munition und Waffen gefüllt - nachdem klar wurde, dass Deutschland die Unabhängigkeit der Heimatländer nicht wiederherstellen würde.
Der Nachkriegskampf
Die Bewegung wurde reaktiviert, als die sowjetischen Truppen 1944 begannen, Territorien in den baltischen Republiken zu befreien, und die nationalen Partisanen ihren Kampf mit neuer Kraft fortsetzten.
Aber diesmal gab es keine kleinen Trupps. Sie bildeten große, gut bewaffnete Einheiten und waren nun kriegserprobt und erfahren. Ihre Reihen waren mit jenen Soldaten der Wehrmacht und der SS aus baltischer Herkunft verstärkt, die im Kurlandkessel gefangen waren, nachdem die Rote Armee eine Blockade der verbliebenen Truppen der Achsenmächte auf der Kurland-Halbinsel durchsetzte.
In den Jahren 1944 bis 1947 standen sowjetische Truppen großen Formationen baltischer Guerillas mit einer Streitkraft von oft mehreren tausend Soldaten gegenüber. Einige von ihnen, wie die litauische Freiheitsarmee, besaßen einen Generalstab, ein einheitliches Kommando und sogar Kadettenschulen. Nach regelmäßigen Zusammenstößen mit größeren und besser bewaffneten sowjetischen Einheiten hatten sie jedoch Schwierigkeiten, sich gegen diese zur Wehr zu setzen.
Die einzige Hoffnung der Waldbrüder, die den Kampf in der baltischen Nachkriegsregion anführten, war, dass sich der Kalte Krieg zwischen der UdSSR und den Alliierten in einen sogenannten heißen Krieg verwandeln würde.
Der Kalte Krieg geriet jedoch nie zu einem offenen Konflikt und die Bewegung ebbte ab. Die Truppen wurden immer mehr zu Banditenbanden und verloren die lebenswichtige Unterstützung der Einheimischen. Die letzten Truppen der Waldbrüder gab es 1969.
Die Waldbrüder in der Alltagskultur und der öffentlichen Meinung
In der Sowjetunion wurde die Partisanenbewegung lange Zeit entweder ignoriert oder als negativ eingestuft, wie in Arvids Grigulis Roman Wenn Regen und Wind ans Fenster schlagen (1965).
Der erste Versuch, die Waldbrüder in einem unparteiischen Licht darzustellen, wurde 1966 (trotz sowjetischer Zensur) unternommen, als der litauische Film Niemand wollte sterben in die Kinos kam. Dort wird der Kampf zwischen Kommunisten und nationalen Partisanen nicht als Kampf zwischen Gut und Böse gezeigt, sondern als nationale Tragödie - wenn die Gesellschaft gespalten ist und Brüder gezwungen sind, gegen Brüder zu kämpfen.
Der lange Weg in den Dünen (1980) ist ein weiteres Beispiel für das sowjetische Kino, in dem die Waldbrüder differenziert dargestellt werden. Hier werden die Guerillas als gewöhnliche Menschen gezeigt, die ihr Land lieben und sich entscheiden, dafür zu kämpfen.
Die Bewegung polarisiert auch heute immer noch Geschichtsinteressierte. Nach Ansicht (rus) des lettischen Historikers Arturs Zvinklis gab es in den Reihen der nationalen Partisanen verschiedene Arten von Kämpfern: sowohl Kriminelle als auch ideologische Kämpfer.
„Es gab Menschen, die glaubten, für die Unabhängigkeit Lettlands gegen die Besatzungsmächte kämpfen zu müssen“, sagte er.
Der Historiker Igor Gusev stimmt dem nicht zu. Er ist der Meinung, dass die Waldbrüder absolut nichts Heldenhaftes hatten.
„Ich kenne viele Gelegenheiten, bei denen gewöhnliche Bauern erschossen, junge Kommunistinnen vergewaltigt und Geschäfte ausgeraubt wurden. Wenn übliche Banditentätigkeit als „Kampf gegen ein totalitäres Regime“ dargestellt wird, empfindet ein ehrlicher Mann nur Ekel“, sagte (rus) er.
Die derzeitige offizielle Ansicht über die nationalen Partisanen in Lettland, Litauen und Estland unterscheidet sich grundlegend von der russischen Sichtweise. Während sie in den baltischen Ländern hauptsächlich als Helden und Freiheitskämpfer angesehen werden, sind die Waldkämpfer aus russischer und weißrussischer Sicht Verräter, Kollaborateure und Kriegsverbrecher.
Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischenliegen.