Meinung: Warum es falsch ist, Alexander Baranows Denkmal in Alaska zu demontieren

Legion Media
Es ist ohne Zweifel verachtenswert, indigene Völker skrupellos und grausam zu unterdrücken. Aber es ist nicht besser, jemanden fälschlicherweise solcher Taten zu bezichtigen.

Am 14. Juli 2020 beschloss die Versammlung der Stadt Sitka in Alaska, die Statue von Alexander Baranow, des russischen Hauptverwalters der Russländisch-Amerikanischen-Kompagnie Ende des 18. Jahrhunderts, zu entfernen. Das Denkmal steht an prominenter Stelle vor der Harrigan Centennial Hall. „Die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung hat uns dazu motiviert, alles, was im Süden geschehen ist, kritisch zu hinterfragen. Diese Statue war das Naheliegendste“, erklärte Chrystal Duncan, die im Ort ein Projekt für soziale Gerechtigkeit leitet.  Was jedoch niemand erwähnt: Alexander Baranow war nicht derjenige, der damals den Konflikt zwischen den Russen und dem einheimischen Volk der Tlingit auslöste. 

Die „Löschtaste“ drücken 

Die Kultur des Auslöschens beherrscht derzeit den amerikanischen Kontinent und hat nun auch das nordwestliche Ufer erreicht - Sitka, Alaska. Oha, aber dort gab es doch gar keine Sklaverei, könnte man nun denken. Dort gibt es niemanden, den man zur Verantwortung ziehen müsste und keine Denkmäler, die demontiert werden sollten. Aber, halt! Dort waren doch mal die Russen… 

„Alexander Baranow (1747-1819) [...] der erste Kolonialgouverneur Russlands", heißt es auf der Gedenktafel auf der Statue, die die Tlingit-Nachfahren aus dem Küstenpark in Sitka entfernen wollen. Auf den ersten Blick scheint das völlig legitim zu sein. Doch schon die Inschrift am Denkmal ist fehlerhaft. 

Baranow wurde 1746 geboren, nicht 1747, wie es auf dem gestifteten Denkmal steht. Außerdem war er kein „Kolonialgouverneur“. Er war nur der Hauptverwalter der Russländisch-Amerikanischen-Kompagnie, einer russischen Aktiengesellschaft. Selbst, wenn einige der Aktionäre der russischen kaiserlichen Familie angehörten, bedeutete das nicht, dass die Kompagnie vollständig von der russischen Regierung kontrolliert wurde. Das war tatsächlich erst der Fall, nachdem Alexander Baranow schon nicht mehr der Hauptverwalter war. 

Außerdem hatte Baranow nie den Titel eines „Gouverneurs“. Er hatte nie einen militärischen Posten inne. Im Jahr 1802 wurde er in den bürgerlichen Rang eines „Collegiate Councilor“ erhoben, ein Erbadelstitel. Baranow blieb jedoch ein gewöhnlicher Kaufmann und war für den russischen Adel kaum bedeutender als ein Bauer oder Kleinbürger. Das passt nicht zu der Person, die „für Mord, Versklavung, Vergewaltigung und Völkermord verantwortlich war“, wie es Nikolas Galanin (der ironischerweise offenbar russische Wurzeln hat), ein Bewohner Sitkas, als Sprecher einer lokalen indigenen Gemeinschaft Ende Juni formulierte

Spirale der Gewalt 

Schon in der Jugend in seiner Heimatstadt Kargopol in der Region Archangelsk lernte Baranow den Handel. Deshalb kam er nach Alaska, wo er sich den Folgen der Handlungen eines anderen russischen Geschäftsmannes namens Grigori Schelichow, Gründer der North-Eastern American Company, die nach seinem Tode als Russländisch-Amerikanische-Kompagnie bekannt wurde, stellen musste.  

Schelichow kam 1784 nach Alaska und versuchte, mit den Einwohnern von Koniag Alutiiq (Sugpiaq) auf der Insel Kodiak zu verhandeln, aber er und seine Männer wurden angegriffen. Die Ureinwohner mobilisierten ihre Kräfte gegen die Eindringlinge, doch Schelichow und seine Männer widersetzten sich ihnen mit Waffen und Kanonen ... Was folgte, wurde als Awa'uq-Massaker bekannt, was dazu führte, dass Hunderte oder vielleicht sogar Tausende indigener Bewohner Alaskas getötet und verwundet wurden.

Wer hat zuerst angegriffen? Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Schelichow schrieb, dass er zuvor versucht habe, zu verhandeln. Dagegen erklärte später der Ureinwohner Arsenti Aminak, der das Massaker überlebt hat, dem finnischen Ethnographen Henrik Johan Holmberg (1818–1864) die Russen hätten „ein schreckliches Blutbad angerichtet“, ohne zu erwähnen, wer den Kampf begonnen hat. Doch das spielt alles keine so große Rolle. 

Dieses Ereignis löste eine lange Reihe von Kämpfen zwischen den Russen und verschiedenen lokalen Stämmen aus. Als Alexander Baranow 1792 als Geschäftsführer von Schelichows Firma erstmals nach Alaska kam, überlebte er einen Angriff der Tlingit nur knapp. Für die Einheimischen war es selbstverständlich, ihr eigenes Land zu schützen. Doch Baranows Absicht war nicht „Mord, Versklavung und Vergewaltigung“. Ihm ging es um den Handel mit Seehundfellen. Den wollten die Einheimischen gerne für sich beanspruchen. 

Wir können nicht behaupten, dass Baranow ein Mann war, der die indigenen Stämme mit größtem Respekt behandelte - er bedrohte die Aleuten vor Ort, ließ sie für seine Männer schuften und tötete Seeotter, um den Pelzhandel anzukurbeln. Nach zehn Jahren, im Jahr 1802, revanchierten sich die Tlingit und griffen Fort Michael (das Fort, das die erste Siedlung auf dem Territorium der heutigen Stadt Sitka war) an, töteten 24 Russen und über 200 Aleuten… Die Tlingit griffen weiterhin Gruppen von Russen an, die entlang der Küste Alaskas Seeotter jagten. Erst 1804 konnten Baranow und seine Männer Fort Michael zurückerobern. Sie töteten im Gefecht etwa 30 Tlingit und gründeten die Stadt Sitka.

Der Krieg ging weiter und weiter und weiter. Lange nach Baranows Tod im Jahr 1819 setzten sich die Kämpfe zwischen Russen und Tlingit (und zwischen den Tlingit und anderen lokalen Völkern) fort. Einer der Hauptgründe war weiterhin Seehundfell. Es sollte nun klar sein, dass es keine einseitige „Eroberung“ war und sicherlich kein „Völkermord“, wie einige Zeitgenossen jetzt behaupten. 

Die Geschichte wird ignoriert   

Bemerkenswerter ist, dass 2004, 200 Jahre nach der „Schlacht von Sitka“, eine direkte Nachfahrin von Alexander Baranow, Irina Afrosina aus Moskau, mit den Einheimischen im Sitka National Historical Park zu einer traditionellen Tlingit-Trauerzeremonie zusammenkam, um offiziell der toten Vorfahren zu gedenken. Diese Zeremonie sollte die 200 Jahre währende Feindschaft endgültig beenden. 

Nach dem zu urteilen, was jetzt passiert, war die Zeremonie 2004 erfolglos. Oder erinnert sich niemand mehr daran? Oder könnte es sein, dass es einfach bequemer ist, die oben erzählte Geschichte zu ignorieren? 

Das ist falsch an der Entscheidung, Baranows Statue zu entfernen: Die Gründe, die jetzt dafür angeführt werden, sind zu einfach. Die Gegner ignorieren ihre eigene Geschichte völlig, stellen nur einige Teile davon heraus und unterschlagen die anderen Ereignisse. Macht das irgendeinen Sinn? War die Trauerzeremonie sinnlos? Dauert der Konflikt zwischen Russen und Tlingit tatsächlich bis heute an? Wir können nur hoffen, dass sich diejenigen, die so vehement für die Entfernung der Baranow-Staue eintreten, sich diese Fragen durch den Kopf gehen lassen. 

>>> Mythos oder Fakt: War Alaska eigentlich nur verpachtet und nie verkauft?

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