Offiziell gab es in der Sowjetunion keine „Linkshänder“. Diejenigen, die das Pech hatten, als Linkshänder geboren worden zu sein, wurden umgeschult, ihre rechte Hand zu nutzen. Dahinter steckte die Annahme, dass es Linkshändern schwerer fiele, zu arbeiten oder zu kämpfen, denn Waffen und Ausrüstung waren für Rechtshänder entwickelt.
Die Linkshänder mussten sich fügen oder die Konfrontation mit den Lehrern suchen. „Mein Vater ist Linkshänder. Er wurde umgeschult. Er erzählte, dass er mit dem Lineal geschlagen wurde, wenn er aus Gewohnheit die linke Hand benutzte. Als ich einmal mit meiner linken Hand geschrieben habe, drohten die Lehrer, mir das abzugewöhnen, doch ich sagte, sie sollen mich in Ruhe lassen. Ich bin noch immer Linkshänder“, berichtet ein Nutzer des sozialen Netzwerkes „Pikabu“.
Die Praxis des Umerziehens zum Rechtshänder wurde erst 1985/1986 aufgegeben. Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass ein Umlernen die psychische Gesundheit einer Person schädige. Das Bildungsministerium schloss sich an und akzeptierte, dass in den Schulen auch mit der linken Hand geschrieben werden dürfe.
Die Sowjetbehörden glaubten, dass diese Stifte der Feind der schönen Schrift seien und daher verboten werden sollten, bis das Kind gelernt habe, ästhetisch in Kursivschrift zu schreiben. Die Maßnahme war jedoch nur vorübergehend in den ersten Lernjahren eines Kindes duchsetzbar.
„Ich bin 48 Jahre alt. In der ersten Klasse mussten wir mit Federkiel schreiben. Es war ein Holzschaft mit Patrone und einer Feder. Es gab Tintenfässer und Löschpapier. Im Schreibunterricht musste man mehrfach gute Noten erzielen, um auf einen Füller umsteigen zu dürfen, erinnert sich Sergei. „In der zweiten Klasse durften wir Kugelschreiber benutzen, aber nur blaue.“ Rot war die Farbe des Lehrers zum Korrigieren und Bewerten, während Schwarz im Klassenbuch verwendet wurde, um den Fortschritt der Schüler zu protokollieren.
Jeans, Pullover, Kleider mit Blumendruck - und sogar bunte Haarbänder - kamen nicht in Frage. Standardisierung war von größter Bedeutung.
„Diese Doktrin gegen das Herausragen aus der Masse und Zeigen der eigenen Individualität erreichte manchmal absurde Höhen", sagt Oleg Krasnow, Kulturredakteur bei „Russia Beyond“. „Wenn sich zum Beispiel jemand wagte, in neuen Turnschuhen aufzutauchen, wurde er oder sie vor der ganzen Klasse ausgeschimpft. Möglicherweise wurden auch die Eltern vom Schulleiter einbestellt. Alle Schüler mussten sich an das Gleichheitsgebot halten.“
Turnschuhe waren in der UdSSR ein seltener Anblick, da nur eine Handvoll Kinder, deren Eltern Geschäftsreisen ins Ausland unternahmen oder andere Sondergenehmigungen für eine Auslandreise hatten, Zugang dazu hatten. Der Rest des Landes musste sich mit sowjetischen Schuhen zufriedengeben, die alle ziemlich gleich aussahen. „Meine Mutter hat früher sozialistische Blockländer besucht und mir Kleidung mitgebracht. Das war immer eine tolle Belohnung, aber ich habe darauf geachtet, so etwas nie in der Schule zu tragen“, erzählt Oleg.
All das hätte zum Ausschluss aus dem Unterricht und öffentlicher Demütigung führen können Jungen mit langen Haaren galten zum Beispiel als Hippies.
„Ich hatte immer schon geschwungene schwarze Wimpern und leicht schräge Augen“, erinnert sich Julia Schichowzewa. „Aber in den höheren Klassen erregte es zunehmend Aufmerksamkeit bei den Lehrern, die dachten, ich würde Make-up verwenden. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich aus dem Unterricht geworfen wurde, um mir auf der Toilette den nicht vorhandenen Eyeliner abzuwaschen.“
Das gleiche galt für Nagellack, aber einige Kinder verstießen grundsätzlich gegen die Regel. „Meine Sitznachbarin Nina lackierte sich die Nägel an einer Hand und versteckte sie in einer Faust, wenn sich der Lehrer näherte. Ich weiß nicht, worum es bei all dem ging. Vielleicht war es nur eine Geste des Protests“, so Julia.
Nur äußerst zurückhaltende Ohrringe in Nelkenform waren gestattet. Alles andere löste beim Lehrkörper die unterschiedlichsten Reaktionen aus.
„Um 1989, zu Beginn der Perestroika, als sich der musikalische Untergrund bereits weit verbreitet hatte, gab es Schüler, die sich als Metalheads und Punkrocker betrachteten. Ich hatte einen Punk in meiner Klasse“, erinnert sich Krasnow. „In der Schule sah er ziemlich gewöhnlich aus. Der einzige Hinweis waren die etwas längeren und ungepflegt wirkenden Haare. Aber eines Tages tauchte er mit einem Kruzifixohrring auf. Es war Geschichtsunterricht - die Art von Geschichte, die aus kommunistischer Sicht gelehrt wurde. Die Lehrerin war in einen Vortrag vertieft, als sie ihn plötzlich ansah und erstarrte. Sie hatte das Kreuz entdeckt und begann zu stottern und sank ganz langsam auf ihren Stuhl. Sie ist fast ohnmächtig geworden. Es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder gefasst hatte und ihn anschrie, den Ohrring herauszunehmen. Der Typ lehnte ganz ruhig ab. Die Lehrerin wurde rot im Gesicht und warf ihn raus.“
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