Totale Kontrolle und Planwirtschaft: Was in der UdSSR im Argen lag

Wsewolod Tarasewitsch/МАММ/МDF
Die UdSSR war sicher nicht das „Reich des Bösen“, als das es die westliche Propaganda darstellte. Es wäre aber auch falsch, die Lebensbedingungen in der Sowjetunion zu glorifizieren. Wie war es wirklich? Wir haben die gefragt, die es wissen müssen.

Wir haben ganz normalen Bürgern der ehemaligen Sowjetunion die folgende Frage gestellt: „Abgesehen von allem, was Sie gut fanden, was hat Ihnen in Ihrem Leben in der UdSSR nicht gefallen? Welche Erinnerungen haben Sie daran?“ 

1. Totale Kontrolle durch den Staat in allen Lebensbereichen 

Wera Iwanowa, 89, leitete früher die Planungsabteilung eines Luftfahrtindustrieunternehmens 

Ich habe den größten Teil meines Lebens in der Sowjetunion verbracht und erinnere mich gut an dieses Land. Das Unternehmen, in dem ich arbeitete, stellte Triebwerke für die Luftfahrt her. 

Wir wurden gut bezahlt, aber wofür könnten wir unser Geld ausgeben? Es gab wenig, was wir frei über den Ladentisch kaufen konnten. Um ein Auto zu kaufen, musste man seinen Namen Jahre im Voraus registrieren lassen. Land wurde zugeteilt und konnte nicht gekauft werden. Zu der Zeit hatte noch niemand von Genossenschaftswohnungen gehört. Wir waren ständig mit einer Situation konfrontiert, in der wir mit dem verdienten Geld nicht kaufen konnten, was wir wollten.

Ich habe es sehr genossen zu reisen und wollte immer fremde Länder sehen. Solche Reisen mussten von der Kommunistischen Partei genehmigt werden, und für die Ausstellung eines Auslandsreisepasses war eine Genehmigung der staatlichen Sicherheitsbehörden erforderlich. Und selbst dann konnten die Menschen nur sozialistische Länder besuchen. Ich durfte nie eine Touristenreise ins Ausland machen und hatte nie einen Auslandsreisepass.

2. Die Kommunistische Partei und ihre Macht über die Bürger 

Raissa Semjonowna, 89, früher Mitarbeiterin im Ministerium für chemische Industrie der UdSSR 

Ich war verantwortlich für die Überwachung der staatlichen technischen Standards (bekannt als GOSTs) für Chemikalien. Diese Produkte werden von verschiedenen Branchen benötigt.

Unsere staatlichen Standards wurden unter Berücksichtigung der ausländischen festgelegt. Der Staat stellte sicher, dass sowjetische Produkte nicht schlechter waren als westliche. Und um mit ausländischen Chemikern zusammenzuarbeiten, gingen sowjetische Spezialisten in sozialistische Blockländer wie Polen, Ungarn oder Bulgarien… Aber ich wurde nie zur Arbeit ins Ausland geschickt, weil ich kein Mitglied der KPdSU war!

Ich musste mich um meine Familie kümmern und einkaufen, kochen und putzen. Wenn ich der KPdSU beigetreten wäre, hätte ich außerdem an Versammlungen und an pro-kommunistischen Kundgebungen und anderen Veranstaltungen teilnehmen müssen. Ich wollte das alles nicht tun und hatte daher keine Chance, befördert zu werden. Nur Parteimitglieder wurden in leitende Positionen berufen, und um ehrlich zu sein, waren sie nicht immer bekannt für ihre Kompetenz. Auch ihre Lebensweise war alles andere als „sozialistisch“. 

3. Informationsdefizit  

Tatjana Alexandrowna, 62, früher Modedesignerin 

Das Hauptproblem für mich und meine Designerkollegen war die fehlende Möglichkeit, sich Informationen zu beschaffen. Es war unmöglich, weltweite Trends kennenzulernen und Know-how im Bereich Design zu erlangen. Wir haben alle diese Informationen post factum erhalten. Wir wurden ganz von unserer eigenen Intuition geleitet.

Ausländische Mode- und Designmagazine waren Gold wert, aber es war sehr schwierig, sie zu bekommen. Man hätte sie in nicht-öffentlichen Bibliotheken bekommen können, aber man benötigte die richtigen Papiere dafür. Entweder hatte man eine Erlaubnis vom Arbeitgeber oder man hatte einen Studentenausweis. Außerdem verkauften diese Bibliotheken Informationen an andere Organisationen - sie fotografierten und überprüften diese Magazine, verschickten Ausschnitte und Muster per Post usw.

Wir normalen Studenten taten uns zusammen und besuchten diejenigen, die es geschafft hatten, an eine Ausgabe einer solchen Zeitschrift zu kommen. Wir stapelten uns fast in deren Wohnung und schauten uns die Magazine die ganze Nacht an. Wir lasen sie immer wieder und machten uns Notizen. 

4. Warenknappheit 

Georgi Gennadjewitsch, 64, früher Manager 

Es gab Menschen, die aus beruflichen Gründen ständig das Ausland besuchten - Seeleute, Piloten, Eisenbahner und Sportler - und Waren mitbrachten, die von Schwarzhändlern aufgekauft und weiterverkauft wurden, die in allen großen Städten der UdSSR existierten. Es war ein so florierender Handel, dass die Schwarzhändler von überall in diese Städte reisten, um solche Waren - Schallplatten, Magazine, illustrierte Kunstbücher, Tonbandgeräte, Uhren, Film- und Standbildkameras usw. - zu erwerben und sie dann in ihren Heimatstädten weiterzuverkaufen. Indem die sowjetischen Behörden den freien Import ausländischer Waren untersagten, förderten sie die Entstehung und das Fortbestehen des illegalen Handels - und profitierten davon durch Bestechung.

5. Ineffiziente Planwirtschaft 

Jewgeni Semjonowitsch, 81, früher Arbeiter im AZLK Automobilwerk 

Unsere Fabrik arbeitete nach den Produktionsplänen der Ministerien. Doch der Plan war nicht gut genug, um die vollständige Lieferung von Teilen für den Herstellungsprozess sicherzustellen - weil er von Bürokraten erstellt wurde, die bequeme Zahlen benötigten, von Personen, die die spezifischen Besonderheiten der tatsächlichen Produktion nicht berücksichtigten.

Angenommen, die verschiedenen Fabriken eines Werks stellten 100 Prozent der vom Plan vorgegebenen Teile her. Mehr Teile hätten wir gar nicht produzieren können, denn wir haben nur die Menge Bauteile bekommen, die für 100 Prozent ausreichten. Was war also, wenn einige dieser Bauteile fehlerhaft waren? Diese Komponenten wurden zunächst aussortiert und gelagert. Nehmen wir an, 80 Prozent der hergestellten Komponenten wurden für die Montage von Fahrzeugen weitergeleitet. Wurden mehr gebraucht, wurde auf die fehlerhaften Komponenten zurückgegriffen.  

Man nahm, was man kriegen konnte. Und damit auch nichts verschwendet wurde, wurden Komponenten, die nicht gut genug waren, an Ersatzteilläden verkauft. So kamen minderwertige Fahrzeuge vom Band und mangelhafte Ersatzteile tauchten in den Läden auf.

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