„Es ist eine große Freude, wieder zu Hause auf dem Wasser zu sein“, schrieb Nikolaus II. in sein Tagebuch, nachdem er an Bord der „Standart“ gegangen war. Als eines der schönsten Schiffe seiner Zeit, stand sie 20 Jahre lang in den Diensten der Familie Romanow und führte sie über die Wellen von den Schären Finnlands bis zur Krimküste.
Die Kiellegung erfolgte 1893 in Dänemark. Das Schiff wurde ursprünglich für Zar Alexander III. gebaut, doch es war sein Sohn Nikolaus II., der es nach seiner Thronbesteigung 1894 nutzte. Mit einer Länge von 122,3 Metern, einer Breite von 15,4 Metern und einem Hubraum von 5,5 Tonnen glich die „Standart“ eher einem Kreuzer. Als Segelschiff konzipiert, war es zusätzlich mit einer hochmodernen Dampfmaschine ausgestattet.
Es war ein „schwimmender Palast mit Büros, getrennten Abteilen, Kabinen und vielen Höflingen“, erinnerte sich der Bordoffizier Nikolai Sablin in seinem Buch über seine Zeit auf der „Standart“. Die Innenausstattung sei schlicht gewesen, beschrieb er: „Kein Gold, keine Ornamente, kein Stuck. Aber diese Einfachheit, diese Gestaltung, wirkte viel edler als jede verschwenderische Pracht.“
An Bord der „Standart“ befanden sich unzählige Kabinen für die Familie von Nikolaus II., die Großherzoge und Großherzoginnen, für hochrangige Gäste, Bedienstete und Besatzungsmitglieder (bis zu 373 Personen). Es gab einen Speisesaal mit einem Tisch für 75 Personen, eine Bordkirche, das Privatbüro des Zaren und viele andere Räume für die Bedürfnisse der Herrscherdynastie.
Wenn Nikolaus II. an Bord seines Lieblingsschiffs war, war er nicht von der Außenwelt abgeschnitten. Jeden Tag brachte ein Kurierboot Sendungen und Berichte zur „Standart“ sowie aktuelle Zeitungen. Und von Zeit zu Zeit kamen Beamte, um sich mit dem Kaiser zu treffen. Im Sommer erlaubte er sich einen speziellen Zeitplan - zwei Arbeitstage und fünf freie Tage. Während dieser Zeit war kein Besuch an Bord gestattet.
„Die Kaiserin wurde geselliger und fröhlicher, sobald sie das Deck der ‚Standart‘ betrat“, schrieb Alexander Mosolow, Leiter der Staatskanzlei am Hof des letzten russischen Kaisers in seinen Memoiren. Das ganze Schiff war ein riesiger Spielplatz für die Kinder des Kaiserpaares, deren Sicherheit von speziell zugewiesenen Seeleuten, sogenannten „Onkeln“, gewährleistet wurde. Für die Unterhaltung der Erwachsenen gab es eine Blaskapelle und Balalaika-Spieler. Aus acht 47-mm-Hotchkiss-Kanonen mit vernickelten Fässern, die an Deck montiert waren, wurden ab und an Feuerwerke gezündet.
Die Lieblingsroute der Romanows verlief entlang der finnischen Küste. „Die Schären waren der einzige Ort, an dem die Majestäten zur Ruhe kamen“, schrieb Nikolai Sablin. Sie gingen regelmäßig zum Picknick an Land, spazierten durch die Wälder und pflückten Beeren. Manchmal erhielt der erstaunte Besitzer eines finnischen Landgutes in Küstennähe am frühen Morgen Besuch vom russischen Kaiser, der darum bat, den Tennisplatz nutzen zu dürfen. Nikolaus II. liebte Tennis.
Die „Standart“ war nicht nur in der Ostsee unterwegs, sondern steuerte auch oft europäische Häfen an. Sie verbrachte viel Zeit insbesondere im Schwarzen Meer vor der Küste der Krim. An Bord der Yacht empfing Nikolaus II. viele bedeutende Persönlichkeiten, darunter König Gustaf V. von Schweden, die britischen Monarchen Edward VII. und George V., die französischen Präsidenten Armand Fallieres und Raymond Poincare. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. war mehrmals zu Gast auf der „Standart“. Fasziniert vom Schiff (seine eigene Yacht „Hohenzollern“ war viel kleiner), deutete er Nicholaus sogar an, dass er es gerne als Geschenk erhalten würde, aber der russische Zar stellte sich taub.
Die Sicherheit der „Standart“ und der kaiserlichen Familie wurde durch eine beeindruckende Eskorte gewährleistet, zu der Zerstörer und U-Boote gehörten. Oft mussten sie neugierige finnische Fischer vertreiben, die einen Blick auf das Kaiserpaar erhaschen wollten. Ein Fischerboot wurde sogar versenkt (zum Glück gab es keine Opfer). Bei einer anderen Gelegenheit wurde das britische Frachtschiff „Woodburn“ leicht beschädigt. Es hatte Warnungen ignoriert und daher hatte man das Feuer eröffnet. Daraus resultierten einige diplomatische Verwicklungen.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte der Zar keine Lust mehr auf Vergnügungsreisen. Stattdessen diente die „Standart“ als Botenschiff zwischen St. Petersburg (wegen seines unpatriotischen „deutschen“ Namens in Petrograd umbenannt) und Helsingfors (Helsinki). Als die russische Monarchie während der Februarrevolution 1917 fiel, wurde die „Standart“ zu Ehren des ersten Tages der Pariser Kommune in „18. März“ umbenannt.
1936 begann die ehemalige kaiserliche Fregatte, die dann den Namen Marty trug (zu Ehren des französischen Kommunisten Andre Marty), ein neues Leben als Minenleger in der Baltischen Flotte. In dieser Eigenschaft nahm sie am Zweiten Weltkrieg teil. Am 25. Juni 1941 versenkte sie erstmals ein feindliches U-Boot.
So großartig die „Standart“ war, so unrühmlich war ihr Ende. Nach dem Krieg wurde sie erneut umbenannt und erhielt den Namen „Oka“. Erst war sie eine schwimmende Baracke und wurde schließlich von der sowjetischen Marine als Raketenziel bei Übungen eingesetzt, bevor sie Mitte der 1960er Jahre verschrottet wurde.
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