Wer war Tschapajew: Wie ein Kommandeur der Roten Armee zur Legende wurde

Geschichte
BORIS JEGOROW
Die sowjetische Propaganda stilisierte Wassili Tschapajew zum legendären Helden hoch. Auch Stalin trug dazu bei. Doch wer war der Kommandeur der Roten Armee wirklich?

Wassili Iwanowitsch Tschapajew war kein bedeutender sowjetischer Militärbefehlshaber. Er war zwar durchaus tapfer, tat sich jedoch nicht durch außergewöhnliche Leistungen hervor. Wie kommt es, dass jemand, der während des Bürgerkriegs ein einfacher Kommandant war, nicht nur zum Kulthelden seiner Generation wurde, sondern auch noch 100 Jahre später im modernen Russland unvergessen ist. ´

Ein Held zweier Kriege 

Die militärische Karriere von Wassili Tschapajew begann auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, auf denen er zum Sergeant-Major aufstieg. Im September 1917, kurz vor der Oktoberrevolution, schloss sich Tschapajew den Bolschewiki an. 

Da er den passenden bäuerlichen Hintergrund hatte und über viel militärische Erfahrung und herausragende Führungsqualitäten verfügte, stieg er schnell die Karriereleiter der Roten Armee hinauf. Während des Bürgerkriegs brachte er es vom Regimentskommandeur zum Divisionskommandeur.  

Die spätere sowjetische Propaganda stellte Wassili Tschapajew als schneidigen Kavalleristen dar. Tatsächlich konnte Tschapajew aufgrund einer im Ersten Weltkrieg erlittenen Wunde nicht lange auf einem Pferd sitzen und bevorzugte ein Auto oder ein Motorrad mit Beiwagen. Außerdem befahl er nicht die Kavallerie, sondern die Infanterie.

Im Frühjahr und Sommer 1919 nahm Tschapajew an militärischen Operationen gegen die Weiße Armee von Alexander Kolchak in der Wolga-Region und im Südural teil. Den Bolschewiki gelang es, die feindliche Offensive zu stoppen und das große Industriezentrum Ufa zu erobern. Zur gleichen Zeit stürmten Einheiten der 25. Gewehrdivision unter Tschapajews Kommando in die Stadt. 

Tschapajew beteiligte sich auch an der Unterdrückung von Bauernaufständen, die gegen das sogenannte System der Aneignung von Überschüssen gerichtet waren - die Beschlagnahme von überzähligem Brot und anderen Nahrungsmitteln aus der Bevölkerung für die Bedürfnisse des Staates. Die UdSSR zog es vor, nicht über diese Details zu sprechen.

Tod eines Helden

Die Umstände von Tschapajews Tod bleiben die mysteriöseste Episode seiner Biographie. Es ist immer noch nicht genau bekannt, wie der legendäre Divisionskommandeur starb.

Am 5. September 1919 führten tausend Kosaken der Weißen Armee einen gewagten Überfall auf die hinteren Stellungen der Roten Armee durch und griffen Tschapajews  Divisionshauptquartier in der Stadt Lbischtschensk (heute Tschapajew-Siedlung in Kasachstan) überraschend an. Die Streitkräfte der Roten erlitten eine verheerende Niederlage: 1.500 Menschen starben in der Stadt selbst und weitere 1.000 wurden entweder in der Steppe abgeschlachtet oder ertranken auf der Flucht im Fluss Ural.

Laut der offiziellen Version starb der berühmte Kommandant ebenfalls im Fluss. Er sei dort von einer feindlichen Kugel tödlich getroffen worden. Einem anderen Bericht zufolge erreichte der verwundete Tschapajew noch das andere Ufer, starb dort dann jedoch. Jedenfalls wurden seine tödlichen Überreste nie gefunden.

Wie Tschapajew zum Helden wurde 

Tschapajews Tod war in keiner Weise außergewöhnlich. 1923 ereignete sich jedoch ein Ereignis, das seinen Ruhm für kommende Generationen festigen sollte. In diesem Jahr wurde Dmitri Furmanows Roman „Tschapajew“ veröffentlicht, der sich mit den Heldentaten des schneidigen Divisionskommandanten befasste. Der Autor kannte ihn gut, er war Kommissar in der 25. Gewehrdivision gewesen.

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass Furmanow und Tschapajew keine Freunde waren. Ganz im Gegenteil - sie hatten einen heftigen Streit. Dabei ging es um die Avancen, die Tschapajew der Ehefrau Furmanows machte. 

Kurz vor dem Massaker von Lbishchensk verließ Furmanow den Ort, an dem die Division stationiert war. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die beiden Streithähne vor seiner Abreise versöhnt hatten und Furmanow dies durch die positive Darstellung Tschapajews in seinem Roman unterstreichen wollte. 

Ursprünglich hieß Tschapajew Tschepajew. Doch da Furmanow in seinem Roman einen Buchstaben geändert hatte, wurde er der breiten Öffentlichkeit als Tschapajew bekannt und unter diesem Namen wurde er auch bewundert. Das ging so weit, dass sogar Tschapajews Kinder ihren Namen in ihren Ausweispapieren ändern mussten. 

Ein allgemein beliebter Held 

Tschapajew wurde durch den gleichnamigen Film von 1934 auf ein neues und viel höheres Maß an Popularität gebracht. Der Film basiert auf dem Roman von Furmanow, der 1926 starb. 

Josef Stalin persönlich schrieb am Drehbuch mit. Auf seinen Wunsch hin wurde eine Liebesgeschichte hinzugefügt, und zwar zwischen Tschapajews Ordonnanz Petka und der Gewehrschützin Anka. 

Stalin trug bewusst zur Schaffung des Kultes der toten Helden des Bürgerkriegs bei. Es war unklug, die Überlebenden zu verherrlichen - sie hätten im Kampf um die Macht zu ernsthaften Rivalen werden können.

Der Film erwies sich als großer Erfolg. Mehr als 40 Millionen Menschen haben ihn in den Jahren nach seiner Veröffentlichung im Kino gesehen. Stalin schien der größte Fan. Er hat den Film „Tschapajew“ wohl gleich 38 Mal angesehen. 

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Wassili Tschapajew zu einer der bekanntesten Figuren der sowjetischen Propaganda. Ein Plakat zeigte sein Bild mit dem Slogan: „Wir kämpfen hart, wir schlagen entschlossen zu, wir Enkel von Suworow, wir Kinder von Tschapajew!“ 

1941 wurde der Kurzfilm „Tschapajew mit uns“ gedreht. Darin gelingt es ihm, auf der Flucht ans andere Ufer des Urals zu gelangen. Er trifft dort, nun im Zweiten Weltkrieg, auf Soldaten der Roten Armee und appelliert leidenschaftlich an sie, unbarmherzig gegen den Feind vorzugehen. 

Held vieler Witze 

Im Laufe der Jahre verlor die Figur von Tschapajew ihren erhabenen Status und die Zuschauer weinten nicht mehr bei seiner Todesszene. 

Dennoch ist er fester Bestandteil der Populärkultur. Wassili Iwanowitsch Tschapajew wurde zum Helden zahlreicher Witze, in denen er mit seiner treuen Ordonnanz Petka und Anka, der Maschinengewehrschützin, permanent in lustige Situationen gerät. Inzwischen gibt es sogar Computerspiele mit ihm als Protagonisten. 

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