Als sich Katharina die Große im Oktober 1768 nach einer Impfung gegen Pocken plötzlich sehr krank fühlte, zog sie in den Palast in Zarskoje Selo, fernab vom Hof in St. Petersburg. Thomas Dimsdale, der englische Arzt, der den Eingriff durchführte, war an ihrer Seite und dokumentierte den Zustand der Kaiserin fortlaufend.
Auf Befehl der Kaiserin stand jedoch jederzeit eine Kutsche bereit, um Dimsdale und seinen Sohn und Assistenten Nathaniel außer Landes zu bringen. Die Kaiserin befürchtete, dass ihre Höflinge im Falle ihres Todes nach der Impfung Dimsdale in einem Akt der Selbstjustiz lynchen würden. Wer war Dimsdale und warum wurde gerade er ausgewählt, um Katharina der Großen eine Impfung zu verabreichen?
Der Tod greift nach dem Thron
Katharina hatte in ihrer Kindheit keine Pocken und daher auch keine Immunität dagegen entwickelt. Diese Krankheit gehörte zu dem wenigen, was Katharina wirklich Angst machte. Ihr Ehemann Peter III. war als Kind schwer an Pocken erkrankt und litt noch immer unter den Folgen: seine Gesundheit war irreversibel beschädigt und sein Gesicht war für immer entstellt von Pockennarben.
Außerdem gab es 1768 im direkten Umfeld der Kaiserin einen Fall von Pocken. Die Hofdame Anna Scheremetewa, war mit Nikita Panin, dem Minister für auswärtige Angelegenheiten in Russland, verlobt. Nur wenige Tage vor der Hochzeit starb Anna an Pocken. Es war unklar, wo sie sich infiziert hatte.
„Mir wurde geraten, meinen Sohn gegen Pocken zu impfen. Ich antwortete, dass es beschämend wäre, nicht mit mir selbst anzufangen. Wie kann man die Pockenimpfung einführen, ohne selbst mit gutem Beispiel voranzugehen?“, schrieb Kaiserin Katharina in einem privaten Brief an Friedrich II. von Preußen.
Wie wurde gegen Pocken geimpft?
Katharina betraute Nikita Panin mit der Aufgabe, einen Arzt ausfindig zu machen, der sie gegen Pocken impfte. Der Arzt wurde in England gefunden - Tomas Dimsdale, Autor einer kürzlich veröffentlichten Broschüre über eine neue Impfmethode mit Lebendimpfstoff. Der russische Gesandte in England schickte nach Dimsdale und lud ihn nach Russland ein.
1768 traf Dimsdale mit seinem Sohn Nathaniel in St. Petersburg ein. In einem Stadthaus war ein Krankenhaus als Impfzentrum eingerichtet worden. Dimsdale bot Katharina zunächst an, seine Methode an Frauen ihres Alters und ihrer Statur zu testen, aber die Kaiserin lehnte ab - dies hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Dimsdale impfte einige Kadetten, jedoch erfolglos. Dennoch verlangte die Kaiserin, sofort geimpft zu werden.
Die Impfmethode durch sogenannte Inokulation war in Indien seit der Antike bekannt. 10 bis 15 winzige Schnitte wurden in der Haut gemacht, so dass es kaum blutete. Auf die Wunden wurde ein Stück Stoff gelegt, das mit einer Lösung aus Wasser und Flüssigkeit aus Pockenpusteln getränkt war. Diese Methode wurde 1718 vom Osmanischen Reich von Lady Mary Wortley Montagu, der Frau des englischen Botschafters in Konstantinopel, nach England gebracht, die ihre Kinder mit dieser Methode erfolgreich immunisierte.
Auch bei Katharina der Großen fand diese Methode Anwendung. Das Impfmaterial wurde einem 6-jährigen Jungen, Sascha Markow, entnommen. Nachts wurde der schlafende Sascha in eine Decke gewickelt und durch einen Geheimgang in Katharinas Gemächer im königlichen Palast gebracht. Von seinem Arm wurde auf Katharinas Arm infektiöses Material aus einer Pockenpustel übertragen. Unmittelbar danach brach Katharina auf nach Zarskoje Selo.
Fallbericht der Kaiserin
Tomas Dimsdale und sein Sohn folgten ihr. Der Arzt führte ein Tagebuch über Katharinas Zustand: „In der Nacht nach der Impfung schlief die Kaiserin gut, es gab leichte Schmerzen und der Puls beschleunigte sich. Der Gesamtzustand war ausgezeichnet. Das Essen bestand aus Eintopf, Gemüse und etwas Hühnerfleisch.“
Am 18. Oktober hatte Katharina zum ersten Mal Fieber und verlor den Appetit. An ihrem Körper bildeten sich Pockenpusteln, und obwohl sie schwach war und Halsschmerzen hatte, hatte sie sich nach zehn Tagen, bis zum 28. Oktober, vollständig erholt. Am 1. November war Katharina wieder zurück in St. Petersburg und nahm die Glückwünsche ihres Hofstaates entgegen. Am selben Tag wurde auch Paul Petrowitsch, ihr Sohn, erfolgreich geimpft.
Dimsdale und sein Sohn erhielten beide den Titel eines russischen Barons und eine jährliche Rente. Dann impfte der englische Arzt den höchsten russischen Adel. Nach seiner Rückkehr nach England war Dimsdale so reich, dass er eine Pockenimpfklinik und eine Bank eröffnete. Er kehrte 1781 noch einmal nach Russland zurück, um auch Konstantin und Alexander, die Söhne von Paul Petrowitsch, zu impfen.