Leben und Leiden der berühmtesten siamesischen Zwillinge der UdSSR

Legion Media
Von allen Fällen nicht getrennter siamesischer Zwillinge auf der Welt, überlebten Mascha und Dascha Kriwoschljapowa am längsten. Doch es war kein glückliches Leben.

Schwierige Geburt

Die ersten Tage des Jahres 1950 wurden für die schwangere Näherin Jekaterina Kriwoschljapowa zur Hölle. Zwei Tage und Nächte lag sie in den Wehen. Ein Kaiserschnitt wurde notwendig. Ultraschallgeräte gab es damals noch nicht in der UdSSR, sie kamen erst acht Jahre später auf. So wusste Jekaterina bis zum letzten Augenblick nichts über das, was sie in ihrem Leib trug.  

Während Jekaterina noch halb betäubt war, hatten die Geburtshelfer beschlossen, die beiden Babys, die sie geboren hatte, vor ihr zu verstecken. Jekaterina erzählten sie, sie hätte eine Totgeburt gehabt. 

Diese Entscheidung wurde unter Beteiligung des Vaters der Mädchen getroffen – Michail Kriwoschljapow, der während der Geburt dabei war. Er arbeitete als persönlicher Chauffeur von Lawrenti Beria, auch bekannt als Stalins Henker. Die Sterbeurkunde der Zwillinge wurde am selben Tag ausgestellt.

Jekaterina konnte ihr Krankenbett zwei Wochen später verlassen. Sie wollte nicht glauben, dass ihre Babys tot geboren worden waren. Eine junge Krankenschwester hatte Mitleid mit ihr und führte sie zu einem Inkubator, in dem die Zwillinge lagen. Der Anblick der Kinder war ein solcher Schock für Jekaterina, dass sie einen schweren Zusammenbruch erlitt und die folgenden zwei Jahre in einer psychiatrischen Klinik verbrachte. 

Der Staat kümmerte sich in umfassend um die Zwillinge - sie verbrachten die ersten sieben Jahre ihres Lebens unter der Aufsicht des bekannten Physiologen Pjotr Anochin am Pädiatrischen Institut der Akademie der Medizinischen Wissenschaften der UdSSR, wo Untersuchungen zu diesem sehr seltenen Fall durchgeführt wurden. Denn Jekaterinas Zwillinge waren am Becken zusammengewachsen.  

Überlebenskampf 

In der Sowjetunion waren sie eine Sensation: Die ersten in der UdSSR geborenen siamesischen Zwillinge, die überlebt haben! Die Mädchen wurden mit zwei Köpfen, vier Armen und drei Beinen geboren (das dritte stand rechtwinklig zur Wirbelsäule und bestand aus zwei zusammengewachsenen Beinen mit neun Zehen). Jede der Schwestern hatte eigene Lungen, Herz, Magen, Nieren und Dünndarm. Die beiden teilten sich einen Dickdarm und eine Blase.

Die Mädchen waren sowohl physisch als auch auf der Ebene der Gefühle und Empfindungen untrennbar miteinander verbunden. Sie hatten identische Träume. Trank eine Alkohol, wurde auch die andere betrunken. Wenn eine satt war, hatte auch die andere keinen Hunger mehr. Die eine setzte die Gedanken der anderen fort. Zum damaligen Zeitpunkt konzentrierten sich die Physiologen lediglich darauf, die Grenzen ihrer gegenseitigen Reaktionsfähigkeit zu ermitteln - durch grausame Experimente.

Die Wissenschaftler wollten die Auswirkungen des jeweils unabhängigen Nerven- und Herz-Kreislaufsystems sowie die Fähigkeit der Zwillinge zur Anpassung an extreme Situationen wie Schlafentzug oder starke Temperaturschwankungen herausfinden. Im Alter von drei Jahren wurden sie lange Zeit eisigen Temperaturen ausgesetzt. Danach bekam eines der Mädchen eine Lungenentzündung, während das andere Mädchen keine Symptome hatte. Juliet Butler, eine britische Journalistin und Maschas Biografin, begleitete die Zwillinge 15 Jahre lang, während sie mit ihrem Mann in Russland lebte. Sie erklärte (eng): „Ihnen wurden verschiedene Substanzen injiziert, einschließlich radioaktivem Jod, um zu sehen, wie schnell es die andere Schwester beeinflusste. Dann kontrollierten sie die Strahlung mit Geigerzählern.“ 

In der „Stalin-Ära“ waren der Grausamkeit im Dienste der Wissenschaft keine Grenzen gesetzt. Erst unter Nikita Chruschtschow änderte sich die Situation und die Experimente wurden eingestellt. 

„Mit zwölf haben wir angefangen zu trinken.“ 

Mit dem Ende der wissenschaftlichen Forschung ließ das Interesse an den Mädchen nach. Sie wurden an das Zentrale Forschungsinstitut für Traumatologie und Orthopädie geschickt, wo ihr drittes Bein amputiert wurde und sie eine Grundschulbildung erhielten. Die Kriwoschljapowas lernten, gemeinsam an Krücken zu laufen. 

Im Alter von zwölf Jahren landeten sie in einer anderen Einrichtung - einem Internat in Nowotscherkassk für Kinder mit motorischer Beeinträchtigung.

„Während wir dort waren, kam uns zum ersten Mal in unserem Leben der Gedanke an Selbstmord in den Sinn. In der Schule mussten wir ständigen Spott, Demütigungen und Beleidigungen ertragen. Als Gegenleistung für eine Flasche Wodka zeigten uns Jungen aus der Klasse zum Beispiel den örtlichen Dorfkindern…“, erzählten sie. Damals begann auch ihr Alkoholmissbrauch. 

Unglückliche Berühmtheiten 

Die Alkoholprobleme wurden mit der Zeit immer schlimmer. Wohlgemerkt, nur Dascha litt unter Alkoholismus, während Mascha viel rauchte. Zur Überraschung vieler waren die beiden in ihrer Persönlichkeit völlig unterschiedlich. 

Dascha war fokussierter, ruhiger und verantwortungsbewusster. Mascha hatte eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, zeigte Stimmungsschwankungen, war rebellisch und körperlich stärker. Wenn sich die Schwestern bewegten, war es Mascha, die praktisch das gesamte Gewicht ihres gemeinsamen Körpers stützte. Während Daschas Schulzeugnisse ausgezeichnet waren, schaffte Mascha selten eine gute Note. 

Im Erwachsenenalter stritten sich die Schwestern häufig. Sie konnten sich nicht einmal darauf einigen, ob sie ihre leibliche Mutter ausfindig machen sollten. Am Ende haben sie sie gefunden und festgestellt, dass sie zwei Brüder haben. „Statt freudiger Umarmungen begrüßte uns eine kalte, versteinert wirkende Fremde“, erinnerte sich Mascha. Die Brüder, zwei gesunde Burschen, weigerten sich zu akzeptieren, dass sie verwandt sein könnten. Der Vater der Schwestern war zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Sie zogen 1989 nach Moskau und bekamen ein Zimmer in einem Heim für Kriegs- und Arbeitsveteranen. Aber auch dort ging ihre Stigmatisierung weiter. In den 1990er Jahren interessierten sich westliche Journalisten für die Kriwoschljapowas (die Zwillinge weigerten sich meist, mit russischen Journalisten zu sprechen). 1993 besuchten die Schwestern Deutschland, wo ein Film über sie gedreht wurde, und gingen dann nach Paris. Maschas Autobiografie, die von Juliet Butler verfasst wurde, brachte ihnen schließlich eine große Menge an Lizenzgebühren ein - etwa 10.000 Pfund. Die Zwillinge gaben es für ausländische Lebensmittel, einen Computer und Zigaretten aus. Der Rest wurde in einem Safe, der in ihrem Zimmer stand (und nach ihrem Tod verschwand), in bar aufbewahrt.

„Im Dezember 1997 erfuhr ich, dass es Mascha und Dascha schlecht ging, erzählte Sergei Fedortschenko, Chefarzt des Perm-Zentrums für die Behandlung von Drogenmissbrauch. „Sie haben extrem viel getrunken.“ 

Bei den Zwillingen wurden Leberzirrhose und Lungenödem diagnostiziert, woraufhin sie eine Suchttherapie begannen. Aber aus Angst, sie könnten einen Zusammenbruch erleiden und sterben, beendeten die Ärzte die Behandlung vorzeitig. 

An ihrem 50. Geburtstag sagten sie: „Wir trinken, weil wir erkannt haben, was für Freaks wir sind. Alles, was wir im Leben erreicht haben, haben wir selbst erreicht, unter Tränen und Schmerz und mit viel Leiden. Und das alles, trotz der Tatsache, dass die Menschen uns immer versicherten, einzigartig zu sein und besondere Ansprüche stellen zu können. Aber was nutzt das, wenn man als verrückt betrachtet wird? Nur, weil wir so starke Charaktere sind, sind wir überhaupt 50 Jahre alt geworden.

Im April 2003, gegen Mitternacht, blieb Maschas Herz stehen. Dascha wurde nicht erzählt, was mit ihrer „anderen Hälfte“ passiert war. Ihr Zustand verschlechterte sich schleichend. Siebzehn Stunden nach Mascha starb sie im Schlaf an einer Blutvergiftung. Die siamesischen Zwillinge wurden 53 Jahre alt.

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