Der Siegeszug der TV-Werbung in der Sowjetunion

Mikhail Kukhtarew/Sputnik; Russia beyond; Juri Levjant/МАММ/МDF/russiainphoto.ru
In den 1960er Jahren erschienen die ersten Werbespots auf den TV-Bildschirmen in der Sowjetunion. Es war nichts Geringeres als eine Sensation.

In den ersten Spots ging es nicht um schicke Autos, Lippenstift oder trendige Kleidung.

Der erste Werbespot zeigte eine Maiskolben-Band, die Lieder sang, um zu gesunden Essgewohnheiten zu motivieren.  

Die erste Werbung unterschiedet sich deutlich von modernen Werbespots.

„Es gab keine kommerzielle Werbung im sowjetischen Fernsehen“, erklärt Lubow Platonowa, eine preisgekrönte TV-Produzentin des Kultursenders „Rossija Kultura“. Damals hatte Fernsehwerbung keine Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten und die Kultur in der UdSSR.

„Angesichts der Tatsache, dass die UdSSR eine staatlich kontrollierte Wirtschaft ohne jeglichen Privatsektor hatte, waren Instrumente, die auf einem freien Markt angewendet wurden, grundsätzlich unerwünscht. Darüber hinaus lautete die Frage damals, in Zeiten des Mangels, nicht so sehr: ‚Was kaufen?‘, sondern eher ‚Wo und wann?‘. Es hatte keinen Sinn, in diesem Umfang wie heute Werbung zu zeigen“, so Platonowa.

Der zweiminütige Maiskolben-Clip wurde 1964 während der Tauwetterperiode unter Chruschtschow ausgestrahlt. Der ehrgeizige sowjetische Führer, inspiriert von der erfolgreichen Erfahrung der USA, wollte das Land zum zweitgrößten Maisproduzenten der Welt machen.

Chruschtschows landwirtschaftliche Bemühungen spiegelten sich in diesem ersten historischen Fernsehwerbespot wider. Im Mittelpunkt standen skurrile Maisfiguren und ein Koch mittleren Alters, der von dem bekannten Charakterdarsteller Iwan Ryschow dargestellt wurde.  

Er sang, dass man Mais essen solle, wolle man gesund bleiben und 100 Jahre alt werden. Die Werbung versprach, dass sowjetische Hausfrauen mit Mais alles zubereiten konnten, was sie wollten: Salate und Suppen oder süße Puddings und Kuchen.

Ideologie statt Werbung

Die seltene Fernsehwerbung wurde als visueller Aspekt staatlicher Propaganda konzipiert. „Im Großen und Ganzen haben Werbespots nichts anderes beworben oder verkauft als die aktuelle Agenda, die offizielle Ideologie“, sagt Platonowa. Sie wurden zwar „Werbespot“ genannt, waren das jedoch nur auf dem Papier.  

Seltene Fernsehwerbung wurde als visueller Aspekt staatlicher Propaganda konzipiert.

Die ersten Clips waren unglaublich lang und sie verbanden oft verschiedene Genres miteinander.

Außerdem gab es in den 1960er und 1970er Jahren kein wirkliches Verständnis für die Kosten von Sendezeit, Marketing und Primetime, so dass sowjetische Werbespots in großem Maßstab als Kinofilme gedreht wurden. Die ersten Werbetreibenden konnten bis zu 5-minütige Werbespots drehen, fast wie Kurzfilme. „Der Werbespot für Mais von 1964 ist das beste Beispiel für sowjetische Werbung. Es ist keine Werbung, sondern eine Ballade im wahrsten Sinne des Wortes“, erklärt Platonowa.

In den 1960er und 1970er Jahren gab es kein wirkliches Verständnis für die Kosten der Sendezeit in der Sowjetunion.

Sowjetische Fernsehwerbung gab es schon lange bevor die sowjetische Wirtschaft zur Marktwirtschaft wurde. Der erste Werbeverband wurde bereits Anfang der 1970er Jahre im Dokumentarfilmstudio in Leningrad (heute St. Petersburg) gegründet.

Die Werbespots wurden von sowjetischen Ministerien und Fabriken bestellt. Sie wurden in Kinos vor Filmvorführungen gezeigt und gelegentlich im Fernsehen ausgestrahlt.

Was wurde beworben?

Frauen drehten die Lautstärke auf, als Ende der 1970er Jahre eine Werbung für die von der Sowjetunion hergestellte Waschmaschine „Wjatka“ im Fernsehen Premiere hatte. Die Sprecherin sagte, dass ein derart fortschrittliches Gerät auf dem neuesten Stand der Technik „eine angenehme Überraschung für die Hausfrauen“ sei.

Ein fast vierminütiger Clip, der ebenfalls Ende der 1970er Jahre ausgestrahlt wurde, war eine Werbung für die Arbeit bei der Sparkasse der Staatsbank der UdSSR (Gosbank). Es drehte sich um eine hübsche Frau, die während ihrer Mittagspause durch Moskau eilte. Mascha, gespielt von Aleksandra Jakowlewa, hat eine Million Dinge zu erledigen - von der Reparatur ihrer Stiefel bis zum Einkauf von Gemüse für das Abendessen. Die sehr beschäftigte Frau eilt kurz vor Ende ihrer Mittagspause in die Bank. Sie erkennt in der Bankangestellten Tanja eine Freundin und beginnt, über die alltäglichen Herausforderungen zu klagen:

„Oh mein Gott, Tanja, ich habe es immer so eilig ... Ich muss kochen, putzen, das Haus in Ordnung halten, auf das Kind aufpassen ... mir geht die Puste aus … Du weißt was ich meine ...“, sagt Mascha.

„Nein, das tue ich nicht. Ich arbeite im Schichtdienst. Ich habe Zeit zu kochen, mit meinem Sohn spazieren zu gehen und eine Maniküre zu machen. Ich arbeite in der Nähe von zu Hause und mein Tag im Büro beginnt um 10 Uhr“, antwortet Tanja von der Bank. 

„Klingt so, als wäre Dein Job das Paradies“, ist Mascha beeindruckt.

„Paradies oder nicht, ich mag es. Die Gehälter hier sind nicht schlecht, plus Boni. Wenn Du Dich entscheidest, bei der Gosbank zu arbeiten, löst das viele Probleme!“, empfiehlt Tanja.

In den 1980er Jahren war Fernsehwerbung eine Mischung aus Realismus und Idealismus.

Eine der Werbespots, mit fröhlicher Musik unterlegt, präsentierte einen Touch-Tone-Spannungsregler.  

Ein weiterer Clip zeigte eine Gruppe ernst blickender russischer Männer. Der Sprecher weist auf ihre eleganten Anzüge hin, die aus Möbelstoffen gefertigt wurden.

Einer der Spots bewirbt einen Miniatur-Kassettenrekorder.

„Musik für einen ... und für zwei“, sagte der Sprecher dazu romantisch.

In den späten 1980er Jahren wurde Pepsi in einer Fernsehwerbung für eine Erfrischungsgetränkefabrik in der Nähe von Taschkent, der Hauptstadt der damaligen Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik, vorgestellt. Lokale Theaterkünstler, professionelle Models und eine Rockband nahmen an den Dreharbeiten teil.

Zu diesem Zeitpunkt war die UdSSR bereits auf dem Weg, eine freie Marktwirtschaft zu werden. Die zentrale Botschaft dieser Pepsi-Anzeigen war ideologisch. Sie zeigte, dass eines der Schlüsselsymbole der westlichen Kultur nun auch den sowjetischen Bürgern zur Verfügung stand.

In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eroberten ausländische Werbespots das russische Fernsehen. Die Länge der Clips wurde drastisch reduziert, sodass eine Reihe kurzer kommerzieller Anzeigen in einem bestimmten Zeitfenster geschaltet werden konnte. Russland war schließlich nun ein Land, in dem auch Zeit Geld war.

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