Wie der „Vater der US-Marine“ in einen angeblichen Sex-Skandal verwickelt wurde

Kira Lisitskaya (Photo: Public Domain; Fedor Rokotov/Tretyakov gallery; Johann Baptist von Lampi the Elder)
Der Dienst in Russland unter Katharina der Großen sorgte für den kometenhaften Aufstieg des US-Nationalhelden John Paul Jones. Doch wurde er hier vom Leben auch hart geprüft.

Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg war die große Zeit des in Schottland geborenen Seemannes John Paul Jones. Er war nicht irgendein Offizier der Kontinentalmarine, sondern einer der erfolgreichsten.

Jones engagierte sich vor der Küste Großbritanniens und machte Jagd auf feindliche Schiffe. Ihm wird auch zugeschrieben, einen der größten amerikanischen Seesiege im Konflikt errungen zu haben: er eroberte die britische Sloop „Drake“ und das Linienschiff „Serapis“.

John Paul Jones.

Als der Krieg 1783 endete, war „der Vater der amerikanischen Marine“, wie Jones oft genannt wurde, arbeitslos. Er fristete als Diplomat in Europa bis 1787 sein Dasein, als er plötzlich die Chance bekam, auf See zurückzukehren. Das russische Reich, das sich damals im Krieg mit den Türken befand, war an seinen Diensten interessiert.

In russischen Diensten

Katharina die Große beförderte Jones sofort in den Rang eines Konteradmirals (in der US-Marine war er nur Kapitän gewesen) und schickte ihn unter dem Kommando von Fürst Grigori Potjomkin ans Schwarze Meer. „Dieser Mann ist sehr fähig. Er steigert die Angst und Besorgnis des Feindes um ein Vielfaches. Sein Name ist Ihnen bekannt. Wenn er zu Ihnen kommt, können Sie selbst feststellen, ob dieser Ruf gerechtfertigt ist“, schrieb die Kaiserin an den russischen Militärführer.

Pawel Jones, wie der Name des amerikanischen Marinekommandeurs russifiziert wurde, erfüllte alle Erwartungen. Er befehligte ein Geschwader von elf Schiffen und besiegte zusammen mit der Ruderflottille von Konteradmiral Karl Nassau-Siegen im Juni 1788 die türkische Flotte in der Nähe der Schwarzmeerfestung Otschakiw. Der Feind verlor 15 Schiffe, 6.000 Soldaten wurden getötet und 1.500 gefangen genommen.

Schlacht von Flamborough Head, East Yorkshire, England, 22. September 1779, zwischen dem Amerikaner John Paul Jones und dem britischen Schiff 'Serapis'. Bild 1780.

Persönliche Beziehungen aufzubauen fiel Jones dagegen sehr viel schwerer. Seine Kommunikation mit Potjomkin war knapp und förmlich, während er und Nassau-Siegen laut dessen Adjutanten, Graf Roger de Dame, „sich von Herzen hassten“.

Infolgedessen wurde Pawel Jones noch vor Kriegsende unter dem Vorwand, der baltischen Flotte zugeteilt zu werden, nach St. Petersburg zurückbeordert. Dort erwartete ihn eine der härtesten Prüfungen seines Lebens.

Der Skandal

Am 31. März 1789 beschuldigte die Mutter der zehnjährigen Ekaterina Stepanowa den Konteradmiral, ihre unschuldige Tochter vergewaltigt zu haben. Der Fall wurde weithin bekannt und auch die Kaiserin erlangte Kenntnis davon.

Katharina die Große.

Am 2. April, sandte Jones eine Nachricht an den Polizeichef von St. Petersburg, Nikita Rilejew, in der er argumentierte, Stepanowa sei weit davon entfernt, ein Unschuldslamm zu sein, sondern sie sei „ein gefallenes Mädchen, das mein Haus mehrmals besuchte und mit der ich mich vergnügte, aber immer gegen Bezahlung.“

Der Konteradmiral änderte jedoch bald seine Geschichte. Er erzählte seinem Freund, dem französischen Botschafter, Graf Louis Philippe de Ségur (der Einzige, der in der St. Petersburger Gesellschaft noch zu ihm hielt), dass er keine sexuelle Beziehung mit Stepanowa gehabt habe, sondern ein Verleumdungsopfer von ihr und ihrer Mutter geworden sei.

Nach dieser neuen Version der Ereignisse war das Mädchen gekommen, um zu fragen, ob er Leinen oder Spitzen hatte, die geflickt werden mussten, aber er hatte keine. „Dann fing sie an, obszöne Gesten zu machen. Ich befahl ihr, diese widerlichen Aktivitäten zu beenden, gab ihr Geld und sagte ihr, sie solle gehen“, gab Ségur die Geschichte, die Jones ihm erzählt hatte, wieder. „Sobald sie aus der Tür war, zerriss sie sich die Kleidung und schrie ‚Vergewaltigung‘. Sie warf sich weinend ihrer Mutter, die plötzlich aufgetaucht war, in die Arme.“

Seine Hoheit Prinz Grigori Potemkin.

Der Konteradmiral befand sich nun im Mittelpunkt eines großen Skandals und geriet in eine tiefe Depression. Ségur rettete ihn sogar vor dem Selbstmord, nachdem er seinen Freund mit einer geladenen Pistole in der Hand zu Hause angetroffen hatte.

Im Verlauf des Verfahrens wurde jedoch festgestellt, dass die Mutter sowohl über das Alter ihrer Tochter (sie war tatsächlich zwölf Jahre alt – was damals noch als zwar frühes, aber akzeptables Alter für sexuelle Aktivitäten angesehen wurde) als auch über die Vergewaltigung gelogen hatte: Stepanowa hatte Jones wiederholt getroffen. Der Amerikaner war sich sicher, dass hinter dem Skandal ein Übeltäter in den höchsten Machtkreisen steckte. Seine (oder ihre) Identität blieb jedoch unbekannt.

Abgang

Trotz der Tatsache, dass alle Anklagen gegen John Paul Jones fallengelassen wurden, war er in Russland immer noch eine Persona non grata. Zu seiner Versetzung zur baltischen Flotte kam es nie. Sein Erzfeind Nassau-Siegen war dagegen erfolgreich. Möglicherweise war er es, der hinter der Intrige steckte.

John Paul Jones.

Katharina die Große gewährte dem US-Marinekommandanten eine zweijährige Beurlaubung unter Beibehaltung von Rang und Gehalt. Dies war de facto eine Entlassung und Jones weigerte sich, dies still hinzunehmen.

Seine zahlreichen Petitionen an die Behörden blieben jedoch unbeantwortet. Im August 1789 verließ ein wütender und verbitterter John Paul Jones Russland endgültig.  

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