Seeschlacht von Çeşme 1770: Der größte Sieg der russischen Flotte

Jacob Philipp Hackert
Der Sieg über die osmanische Flotte markierte einen Wendepunkt: Die Vormachtstellung Russlands im gesamten östlichen Mittelmeer.

„Das Wasser, vermischt mit Blut und Asche, hatte ein fauliges Aussehen. Verbrannte Leichen trieben auf den Wellen, so viele, dass es schwierig war, durch den Hafen zu fahren, beschrieb ein Augenzeuge die Folgen der Niederlage der türkischen Flotte in der Seeschlacht von Çeşme 1770.

Weit weg von zu Hause

Im Jahr 1768 brach der letzte in einer Reihe von Kriegen zwischen dem russischen und dem osmanischen Reich aus. Die Hauptschauplätze der militärischen Operationen waren der Balkan, das nördliche Schwarzmeer und der Kaukasus.

Währenddessen plante die russische Kaiserin Katharina II. einen unerwarteten Schlag im türkischen Hinterland. Kurz nach Ausbruch des Konflikts stach ein russisches Geschwader unter dem Kommando von Admiral Grigorij Spiridow von der Ostsee in Richtung Mittelmeer in See.

Grigorij Spiridow

Nachdem er ganz Europa umrundet hatte, beabsichtigte Spiridow, nach Griechenland durchzubrechen, den sich dort zusammenbrauenden Aufstand der Lokalpatrioten zu unterstützen, vor Istanbul ein Bedrohungsszenario aufzubauen und so die Aufmerksamkeit der Türken vom Schwarzen Meer abzulenken, wo Russlands Seestreitkräfte zu dieser Zeit nur schwach vertreten waren. 

Nie zuvor hatte die russische Flotte so weit von ihren Nachschubbasen entfernt gekämpft. Ein Scheitern unter diesen Umständen hätte katastrophal enden können. Dennoch errang die Flotte den größten Sieg in der russischen Marinegeschichte.

Der erste Schlag 

Das Geschwader erreichte im Februar 1770 die Küste Griechenlands, wo die lokale Bevölkerung einen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft probte. Im Laufe des Frühjahrs nahmen die russischen und griechischen Verbündeten den Kampf gegen die Osmanen auf dem Peloponnes auf.

Im Mai desselben Jahres schloss sich Spiridows Geschwader mit Konteradmiral John Elphinston zusammen, einem britischen Offizier in Diensten der russischen Marine, dessen Geschwader wenig später die Ostsee verlassen hatte. Nun zählten die russischen Streitkräfte neun Schlachtschiffe, drei Fregatten und ein Bombardierungsschiff für den Angriff feindlicher Befestigungen sowie bis zu 20 kleinere Hilfsschiffe. Die Militärexpedition ins Mittelmeer stand unter dem Oberbefehl von Graf Alexej Orlow.

Die Schlacht von Chios.

Die türkische Flotte, die die Russen am 5. Juli 1770 in der Straße von Chios vor der Westküste Kleinasiens entdeckten, war ein bemerkenswerter Gegner. Sie bestand aus 16 Schlachtschiffen, sechs Fregatten, 19 Galeeren und Schebecken (Segelschiffen) sowie 32 Hilfsschiffen.

Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit waren die osmanischen Matrosen den Russen in Bezug auf ihre Ausbildung weit unterlegen. Es fehlte ihnen an Zusammenhalt und Abstimmung, und oft herrschte Chaos und Verwirrung. Die osmanische Flotte war in zwei bogenförmigen Linien aufgereiht, aber die Formation war so eng, dass nur die Schiffe in der ersten Linie ihre Artillerie effektiv einsetzen konnten. Das russische Kommando wusste, dass es angesichts des Ungleichgewichts der Kräfte keine langen Kanonenduelle führen konnte, und verließ sich daher auf den Nahkampf und das Entern der Schiffe.

Das kombinierte Geschwader bildete keine Linie wie das türkische. Stattdessen wandte es eine Linienschiff-Taktik an, bei der jedes Schiff im Kielwasser des vorausfahrenden folgte und sich der ersten Linie der osmanischen Flotte fast im rechten Winkel näherte.

Der Untergang des russischen Flaggschiffs „Sankt Eustachius“.

Als das Geschwader das Zentrum der feindlichen Linie erreichte, schoss Admiral Spiridow mit seinem Flaggschiff „Sankt Eustachius“ auf das osmanische Flaggschiff „Real Mustafa“. Der intensive Austausch von Kanonenfeuer zwischen „Sankt Eustachius“ und „Real Mustafa“ zerstörte schließlich beide Schiffe. Die meisten Besatzungsmitglieder wurden getötet, aber dem Kommandanten gelang es, sich in Sicherheit zu bringen. 

Die Türken beschlossen, sich unter dem Schutz ihrer Küstenartilleriegeschütze in die Çeşme-Bucht zurückzuziehen. Dies erwies sich jedoch als ein fataler Fehler.

Rückzug der türkischen Flotte in die Bucht von Chesme.

Die verheerende Niederlage der Türken 

Eingeklemmt in der kleinen Bucht verloren die osmanischen Schiffe jeglichen Spielraum. In diesem Moment beschloss das russische Kommando, die Brise, die vom Meer zum Ufer wehte, zu nutzen, um die feindliche Flotte in Schutt und Asche zu legen. 

Im Laufe des 6. Juli lieferte sich das Geschwader ein heftiges Artillerieduell mit den türkischen Schiffen und beschädigte dabei mehrere von ihnen.

Um 2 Uhr morgens des 7. Juli fuhr diese Angriffsgruppe in die Bucht von Çeşme ein. Nur eines der Feuerboote kam durch, aber das reichte bereits aus. Nachdem es gelungen war, ein osmanisches Schlachtschiff mit 84 Kanonen in die Luft zu jagen, setzte dies eine aus türkischer Sicht katastrophale Kettenreaktion in Gang. Brennende Trümmer wurden über die Bucht verstreut, was dazu führte, dass auch auf anderen Schiffen Feuer ausbrach.

Der Beginn der Schlacht von Chesme in der Nacht des 7. Juli 1770.

„Es ist leichter, sich das Entsetzen, die Fassungslosigkeit und die Verwirrung, die den Feind überwältigte, vorzustellen als es zu beschreiben, berichtete später Kommandeur Samuel Greig, ein weiterer Brite in der kaiserlich-russischen Marine: „Die Türken gaben jeden Widerstand auf, selbst auf den Schiffen, die noch kein Feuer gefangen hatten. Ganze Besatzungen stürzten sich aus Angst und Verzweiflung ins Wasser, die Oberfläche der Bucht war übersät mit unzähligen Menschen, die zu überleben versuchten und sich dabei gegenseitig ertränkten.

Schließlich waren die russischen Schiffe gezwungen, das Feuer einzustellen und mit der Rettung der noch lebenden Türken zu beginnen. „Das Wasser, vermischt mit Blut und Asche, hatte ein fauliges Aussehen. Verbrannte Leichen trieben auf den Wellen, so viele, dass es schwierig war, durch den Hafen zu fahren, erinnerte sich Fürst Juri Dolgorukow.

Die Seeschlacht von Çeşme

Ein glänzender Sieg

Als Ergebnis der Schlacht von Çeşme wurde ein Großteil der osmanischen Flotte zerstört. Die Türken verloren 15 Schlachtschiffe, sechs Fregatten und viele kleine Schiffe. Von 15.000 Seeleuten fanden fast 11.000 den Tod. 

Die russische Flotte wurde zu einem souveränen Machtfaktor nicht nur in der Ägäis, sondern im gesamten östlichen Mittelmeer. Sie konnte die osmanischen Kommunikationslinien abschneiden und die Dardanellen blockieren.

Verbrennung der türkischen Flotte

Nicht zuletzt dank des Triumphs von Çeşme endete der Krieg gegen die Türken 1774 mit einem russischen Sieg. Russland etablierte sich fest an der Schwarzmeerküste und erwarb seine ersten Gebiete auf der Krim. Von da an sollte der russische Einfluss auf der Balkanhalbinsel stetig wachsen.

>>> Helden der Meere: Fünf große russische Marinekommandanten

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