Unter den Bannern der Revolution
Im Jahr 1917 lebten in Russland bis zu 200.000 ethnische Chinesen, von denen die meisten niedere Arbeiten in der Industrie, der Landwirtschaft und auf dem Bau verrichteten. Die zaristische Regierung versuchte, den aus dem Ersten Weltkrieg resultierenden Arbeitskräftemangel durch die Anwerbung billiger Arbeitskräfte aus China zu lösen.
Als jedoch die Bolschewiki an die Macht kamen und der Bürgerkrieg begann, fanden sich die Chinesen in Russland in einer schwierigen Situation wieder. Da das Land immer tiefer ins Chaos stürzte, gab es für sie nicht viele Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als Sibirien sowie die nördlichen und südlichen Häfen unter die Kontrolle der Weißen Garde und der alliierten Truppen fielen, war für die chinesische Bevölkerung in Zentralrussland der Weg zurück nach Hause abgeschnitten.
So war es für das chinesische Proletariat, das sich in den russischen Großstädten angesammelt hatte, vielleicht die einzige Möglichkeit, sich und seine Familie zu ernähren und genug Geld für eine Heimreise zu verdienen, sich für den Dienst in der Roten Armee zu melden. „Den Chinesen war ihr Sold sehr wichtig. Sie setzten ihr Leben bereitwillig aufs Spiel, doch sie erwarteten, pünktlich bezahlt und gut ernährt zu werden", schrieb der sowjetische Kommandeur Iona Jakir in seinen Memoiren.
Und doch war Geld nicht der einzige Grund, warum sich Tausende von Chinesen zum Kriegsdienst meldeten. Viele von ihnen hatten eine Affinität zur Ideologie einer sozialistischen Revolution und des Kommunismus.
Die Bolschewiki waren sich der in der chinesischen Gemeinschaft vorherrschenden Gefühle sehr wohl bewusst und zielten mit unerbittlicher Propaganda auf sie ab. In den großen Städten erschienen Zeitungen in chinesischer Sprache mit Titeln wie „Große Gleichheit“, „Kommunistischer Stern“, „Chinesischer Arbeiter“ usw.
In der Folge meldeten sich zehntausende chinesische Freiwillige zur Roten Armee. Einige hofften, sich eine warme Mahlzeit zu verdienen, andere träumten davon, in die Heimat zurückzukehren, wieder andere waren von der Idee einer Weltrevolution beseelt, und wieder andere waren nicht abgeneigt, die Unruhen, die in Russland herrschten, für Raubzüge und Plünderungen auszunutzen.
Rote Garde
Die chinesischen Soldaten erwarben schnell den Ruf, zu den diszipliniertesten und effektivsten der Roten Armee zu gehören. Sie konnten nicht desertieren und sich in einem fremden Land unter die fremde Bevölkerung mischen, daher war ihre Loyalität unbestritten. „Chinesische Soldaten vollführten ihre Aufgaben immer äußerst ehrlich und gewissenhaft und gewannen daher großes Vertrauen bei den befehlshabenden Offizieren“, schrieb der Soldat Zhang Zi-xuan in seinen Memoiren.
Die Weißen ärgerten sich besonders über die Chinesen in der Roten Armee, zusammen mit anderen Ausländern in ihren Reihen: Letten, Esten, Ungarn.
Von Polen bis zum Pazifischen Ozean
Die 40.000 chinesischen Soldaten der Roten Armee traten nie als einheitliche Truppe auf. Stattdessen wurden sie in Abteilungen von jeweils nicht mehr als 2.000 bis 3.000 Soldaten aufgeteilt und in größere, über das Land verstreute Einheiten integriert. So gab es chinesische Soldaten in der 25. Gewehrdivision des legendären roten Kommandeurs Wassili Tschapajew und sogar in Lenins Leibgarde.
Eine der stärksten und zuverlässigsten Einheiten der Roten Armee im Ural und in Sibirien war das 225. chinesische Internationale Regiment unter dem Kommando von Ren Fuchen. Nach seinem Tod am 29. November 1918 wurde er posthum mit dem Orden des Roten Banners ausgezeichnet und Lenin traf sich persönlich mit seiner Witwe und seinen Kindern.
Etwa 500 chinesische Kavalleristen dienten in der besten militärischen Einheit der Bolschewiki, der 1. Kavalleriearmee von Semjon Budjonny. Während des sowjetisch-polnischen Krieges schnitt ein feindlicher Gegenangriff an der Weichsel sie und einen Teil der Armee von den Hauptkräften ab und zwang sie zum Rückzug auf deutsches Gebiet, wo sie interniert wurden. Die Deutschen hielten die Chinesen getrennt und versuchten, sie zu überreden, überzulaufen, aber die Chinesen weigerten sich und kehrten bald zusammen mit den anderen Gefangenen nach Russland zurück.
Im russischen Fernen Osten war eine der berühmtesten chinesischen Einheiten die Partisaneneinheit des Kommunisten San Di-wu, die erfolgreich gegen die örtlichen Weißen Kosakentruppen, japanische und amerikanische Invasoren sowie chinesische Banditen, die Honghuzi, kämpfte.
Chinesen kämpften auch auf der Seite der Weißen Garde. Es gab Fälle, in denen sie, als sie an der Front auf ihre Landsleute in der Roten Armee trafen, ohne zu zögern auf deren Seite übergingen.
Strafeingriffe
Die eiserne Disziplin der chinesischen Soldaten zeigte sich nicht nur im Kampf. Ihr Fleiß und ihr bedingungsloser Gehorsam gegenüber Befehlen waren besonders bei der Durchführung von Strafaktionen und Exekutionen von Nutzen. Wo die Russen Skrupel hatten, handelten die chinesischen Soldaten mit Präzision und ohne Emotionen.
Nicht alle von ihnen waren Kommunisten und hassten ihre Klassenfeinde. Viele behandelten Zusammenstöße mit dem Feind und Hinrichtungen von aufständischen Bauern und Arbeitern mit Gleichgültigkeit, als Routinearbeit, für die sie ein Gehalt erhielten.
„Ein schneller Angriff von Infanteriespähern und dem 1. Bataillon besiegte die Chinesen“, erinnerte sich der Offizier der Weißen Garde Anton Turkul. „Etwa 300 wurden gefangen genommen. Viele hatten goldene Eheringe an den Fingern, die den Hingerichteten abgenommen worden waren, und Zigarettenetuis und Uhren in den Taschen, die ebenfalls einkassiert wurden. Die asiatischen Henker der Tscheka mit ihrem rattenähnlichen Gestank, ihren filzigen schwarzen Haaren und den flachen dunklen Gesichtern hatten unsere Soldaten in Rage gebracht. Alle 300 chinesischen Soldaten wurden erschossen."
Nach dem Krieg
Nach dem Ende des Bürgerkriegs dienten die Chinesen weiterhin in der sowjetischen Polizei, der Roten Armee und den Sicherheitsdiensten. Hunderte von ihnen entschieden sich, für immer in der Sowjetunion zu bleiben. Sie heirateten russische Frauen und fanden Arbeit in Industrie und Landwirtschaft.
Die meisten, die das chinesische Kontingent der Roten Armee bildeten, kehrten jedoch in ihre Heimat zurück. Mit einer Fülle von Kampferfahrungen und zusätzlicher Spezialausbildung unterstützten sie Mao Zedong und bildeten bald den Kern der chinesischen Kommunistischen Partei.