Noch in den späten 1990er Jahren wurden in Russland Pässe mit den Symbolen der UdSSR ausgestellt. Der erste ausländische Pass, den ich 1998 im Alter von 13 Jahren erhielt, trug beispielsweise das sowjetische Wappen auf dem Einband und auf jeder Seite. Das Wappen hat die UdSSR überdauert. Wie konnte das passieren?
Emblem ohne Schwert
Unmittelbar nach der bolschewistischen Revolution von 1917 wurden die Staatsdokumente der neu gegründeten Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSFSR) auf Papier aus der Zarenzeit mit einem Doppeladler unterzeichnet und mit veralteten Staatssiegeln gesiegelt, die ebenfalls die Symbole des Kaiserreichs verwendeten. Als ein neues Siegel gebraucht wurde, gab es auch ein neues Wappen.
Der Antrag zur Schaffung eines neuen Staatssiegels wurde im Januar 1918 vom Rat der Volkskommissare (der sowjetischen Regierung) gestellt. Im März 1918 war eine Skizze fertig. In der Mitte des Emblems befanden sich Hammer und Sichel als Hauptsymbole des neuen Staates - sie symbolisierten die Vereinigung des arbeitenden Volkes (Hammer) und der Bauernschaft (Sichel).
Im ersten Entwurf waren Hammer und Sichel auf dem Schild platziert und von einem Schwert durchbohrt, links und rechts von der Mitte befanden sich Weizenähren. Alle waren mit dem Entwurf einverstanden. Nur Lenin bestand darauf, dass das Schwert aus dem neuen Staatssiegel entfernt werden müsse. Lenin fügte auch den Namen des Staates und das berühmte Motto „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!", das erstmals von Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem Manifest von 1848 verwendet wurde, hinzu. Diese Worte sind auch auf Marx' Grabstein eingraviert.
Am 10. Juli 1918 wurde die erste Verfassung von Sowjetrussland eingeführt. Sie enthielt die Beschreibung des neuen Staatswappens der RSFSR: „Das Wappen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik besteht aus der Darstellung eines goldenen Hammers und einer goldenen Sichel. Sie sind mit den Griffen nach unten kreuzweise angeordnet, vor einem roten Hintergrund in den Strahlen der Sonne, umgeben von einer Krone aus Weizenähren und mit den Inschriften: Russische Föderative Sozialistische Sowjetrepublik' und ‚Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!‘"
Revolution weltweit
Das Emblem wurde 1920 leicht verändert: Ein rotes Band wurde hinzugefügt, das die kommunistische Losung trug, und der Name des Staates wurde zu einer Abkürzung mit Punkten zwischen den einzelnen Buchstaben (R.S.F.S.R.). Dieses wurde zum Emblem der 1922 gegründeten UdSSR - allerdings wurde anstelle des Schildes die Erdkugel hinzugefügt, was bedeutete, dass alle Länder der Welt willkommen waren, sich der Sowjetunion anzuschließen.
Ab 1923 wurde die kommunistische Losung in den sechs Sprachen der ersten sozialistischen Republiken auf die sechs Bänder geschrieben, die um die Weizenähren gelegt wurden: Russisch, Ukrainisch, Weißrussisch, Armenisch, Georgisch und Turkmenisch. Als die Zahl der Republiken in der UdSSR wuchs, kamen die Bänder hinzu. 1956 gab es bereits 15 davon.
Das Staatswappen der UdSSR bildete die Grundlage für die Entwürfe der Wappen aller Unionsrepubliken, so dass die Hauptelemente der Wappen der Republiken ebenfalls Hammer und Sichel und die Aufschrift ´“Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!" in der Sprache der jeweiligen Republik waren.
Das Emblem der UdSSR wurde unzählige Male auf Banknoten, offiziellen Dokumenten, in Büchern und auf deren Einbänden abgebildet. Es zierte die Uniformen aller Schulkinder und sogar die Einbände der Schulhefte.
Warum gibt es noch sowjetische Pässe?
Das Emblem wurde auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 weiterverwendet. Bis 1995 war es noch auf Geldscheinen, offiziellen Dokumenten und Pässen zu sehen. Der Grund für die Geldscheine und Dokumente liegt auf der Hand: Der Staat konnte die Gelddruckmaschinen aus der Sowjetzeit, die das Geld mit Wasserzeichen und anderen Schutzsymbolen bedruckten, um die Echtheit des Geldes zu gewährleisten, nicht sofort ersetzen. Bei Pässen ist die Geschichte etwas komplizierter.
Im Jahr 2020 gab es in Russland über 350.000 Menschen, die noch immer einen sowjetischen Pass als primäres Ausweisdokument besaßen. Sie weigerten sich, ihre Staatsbürgerschaft zu wechseln, und sind formell immer noch Bürger des nicht mehr existierenden Staates.
1997 erließ die russische Regierung ein Dekret, in dem es hieß, dass die Pässe der UdSSR ersetzt werden sollten, ohne dass der genaue Zeitpunkt genannt wurde. Im Jahr 2002 wurde die Ausstellung neuer UdSSR-Auslands- und Inlandspässe eingestellt. Im Jahr 2003 entschied der Oberste Gerichtshof der Russischen Föderation jedoch, dass die Pässe der UdSSR kein Verfallsdatum haben, so dass sie für alle, die derzeit einen UdSSR-Pass besitzen, für den Rest ihres Lebens gültig sind.
Die Russische Föderation ist derzeit der einzige Staat, in dem die Pässe der UdSSR noch gültig sind: Alle ehemaligen Sowjetrepubliken haben die Pässe der UdSSR für ungültig erklärt.