Wie kam die Pizza in die Sowjetunion?

Geschichte
ANNA SOROKINA
Die ersten Pizzerien in Russland entstanden mit dem Beginn der Perestroika in den 1980er Jahren. Obwohl dafür nicht geworben wurde, kannte jeder dieses Gericht und kreierte zu Hause eine eigene Variante.

Frischer Wind von Westen  

Die ersten Restaurants, in denen man den „Geschmack des Westens erleben“ konnte, wurden in Moskau und anderen Großstädten im Vorfeld der Olympischen Spiele 1980 eröffnet, für die das Land Restaurants benötigte, die ein hohes Maß an Kundenservice und moderner Küche boten.

So eröffnete in der Gorki-Straße (der heutigen Twerskaja) eine Pizzeria. Hier wurden verschiedene Pizzen und Pasta-Gerichte sowie Lambrusco-Schaumwein serviert.

In dem Restaurant mit den rot-weiß karierten Tischdecken einen Tisch zu bekommen war, wie in vielen anderen beliebten Lokalen in Moskau, ein Glücksfall. Die Pizzen waren ähnlich wie die, die wir heute kennen.

Eine weitere Pizzeria eröffnete Mitte der 1980er Jahre in Simferopol (Krim), doch dort gab es weder Margarita noch Neapolitana.

Stattdessen boten die Pizzabäcker der Krim den Sowjetbürgern etwas an, das man nur als kühne kulinarische Experimente bezeichnen kann. Zum Beispiel eine Pizza mit Schinken und Ei, eine Pizza mit Huhn und Pilzen oder eine Pizza mit Krabbenstäbchen. Die Pizzen hatten einen sehr dicken Boden. Noch heute kann man diese Gerichte dort bestellen. 

Eine Pizzeria, die 1984 in Odessa eröffnet wurde, befand sich in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Pfannkuchen-Restaurants. Dort gab es Pizzen mit Tintenfisch, Rindfleisch oder Eiern.

In vielen Städten der Sowjetunion, z. B. in Kiew, Riga und Lemberg, gab es Pizzerien, die ihre eigenen Varianten des traditionellen italienischen Gerichts servierten.

Echte italienische und amerikanische Pizza tauchte in der UdSSR jedoch erst Ende der 1980er Jahre auf, nach einem Gipfeltreffen zwischen Michail Gorbatschow und Ronald Reagan. 1987 erlaubte die UdSSR die Gründung sogenannter Joint Ventures, und damit begann der Zustrom ausländischer Fastfood-Produkte und anderer westlicher Produkte ins Land.

Pizza auf Rädern

Im Frühjahr 1988 tauchte im Viertel Lenin Hügel (heute Sperlingshügel) ein riesiger Lastwagen mit sowjetischen und amerikanischen Flaggen auf. Die italienisch-amerikanischen Köche hinter der Theke demonstrierten, wie sie den Teig formten  - ein Trick, den man bisher nur aus Filmen kannte. Als Belag verwendeten sie Salami und Käse und luden die Zuschauer ein, Pizza nach amerikanischer Art zu probieren. Der Food-Truck hieß Astro Pizza und war ein russisch-amerikanisches Joint Venture.

Es war kein billiges Vergnügen: Ein Rubel und 25 Kopeken für ein Stück (nicht einmal eine ganze Pizza!). Das entspricht heute etwa 300 Rubel (ca. drei Euro). Die Kunden hat dies  jedoch nicht abgeschreckt. Die Beliebtheit des Trucks wurde durch den Überraschungseffekt noch gesteigert, denn die Moskauer wussten nie, wo er als nächstes auftauchen würde. 

Und doch verließ das Unternehmen nach nur sechs Monaten die UdSSR, weil sich der rechtliche Status eines Joint Ventures für amerikanische Unternehmen als problematisch erwies. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis in der Sowjetunion einige der wahren Giganten des Gaststättengewerbes auftauchten. 

Mittagessen gegen Devisen

1990 eröffneten in Moskau gleich zwei Pizza Hut-Restaurants (ebenfalls ein Joint Venture). Sie waren damals die größten der Welt und boten alle modernen Pizzavarianten an.

Ursprünglich plante die Unternehmensleitung, hauptsächlich sowjetische Zutaten zu verwenden, aber es stellte sich heraus, dass es im Land einfach keine Mozzarella-Lieferanten gab und dass es im Winter fast unmöglich war, frisches Gemüse in den erforderlichen Mengen zu finden.

Außerdem waren die Pizza Hut-Restaurants auch für die Einheimischen recht teuer und wurden weniger als Fast Food-Restaurants betrachtet. 

Sie akzeptierten nicht nur Rubel, sondern auch US-Dollar, die nicht viele Menschen in der UdSSR hatten (und die, die sie hatten, waren meist Ausländer). Eine große Pizza kostete etwa 18 Rubel (heute wären dies 4.000 Rubel), während der Preis in Dollar fast doppelt so hoch war. Dennoch wählten Ausländer oft die Abteilungen der Restaurants, die in Dollar abrechneten, um nicht anstehen zu müssen.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war Pizza Hut in Russland weiterhin recht erfolgreich. In der Werbekampagne der Kette war 1997 sogar Michail Gorbatschow zu sehen. Die Finanzkrise von 1998 überlebte das Unternehmen jedoch nicht. In den 2000er Jahren eröffnete Pizza Hut erneut Restaurants in Moskau, aber diesmal waren es ausschließlich russische Betriebe.

Fast Food und nationale Qualitätsstandards 

Viele Sowjetbürger konnten es sich nicht leisten, oft auswärts zu essen, also bereiteten sie Pizza zu Hause zu. Selbstgemachte Pizzen wurden aus allen Resten im Kühlschrank hergestellt, wobei exotische Zutaten wie Sardellen durch etwas Vertrauteres ersetzt wurden.

In den späten 1980er Jahren entwickelte das Leningrader Institut für sowjetischen Handel Pizzarezepte, die in den Kochbüchern dieser Zeit zu finden waren. Die Grundlage bildete ein gewöhnlicher Hefeteig, der mit Tomatenmark und wahlweise mit Mayonnaise, einer damals bei den Sowjetbürgern sehr beliebten Zutat, belegt wurde. Dann gab es noch die Möglichkeit, entweder eine Fisch- oder eine Fleischpizza zu machen. Für die Fischpizza brauchte man 75 Gramm Fisch (beliebige Sorte), zehn Gramm Zwiebeln, einige Oliven (die auch durch Essiggurken ersetzt werden konnten) und 30 Gramm Käse und getrocknete Kräuter. Für die Fleischpizza brauchte man gekochtes Hackfleisch oder Huhn, ein gekochtes Ei, Käse, Tomaten und Kräuter. Die Garzeit betrug acht Minuten bei 300 Grad.