Rettet die Wale: Sowjetischer Eisbrecher bewahrte 2.000 Belugawale vor Kältetod (FOTOS)

Geschichte
NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Musik war der Schlüssel zum Erfolg bei dieser einzigartigen Rettungsaktion zwischen Tschukotka und Alaska, die rund 2.000 Walen das Leben rettete.

1985 steckten etwa 2.000 Belugawale im dicken Eis fest. Ihnen drohte der Tod. Der Eisbrecher „Moskwa“ wurde eingesetzt, um die Wale zu befreien, aber sie scheuten sich, dem Schiff mit seinen dröhnenden Motoren ins offene Gewässer zu folgen. Doch dann kam die rettende Idee. 

In der Falle  

Ende Dezember 1984 sahen einheimische Jäger und Fischer in der Nähe der Insel Yttygran im Beringmeer, nahe der Küste von Tschukotka und nur etwa 130 Seemeilen von Alaska entfernt, etwas Beunruhigendes: Eine Herde von etwa 2.000 Belugawalen war in der Nähe der Küste im Packeis gefangen.  

Belugawale, in Russland als „Beluchas“ oder „Polardelfine“ bekannt, sind Säugetiere, die zum Atmen auftauchen müssen. Im sich schnell schließenden Eis gefangen zu sein, bedeutet für die Tiere den sicheren Tod. Ohne die Hilfe von Menschen wären die Wale also bald gestorben. 

Die spärliche örtliche Bevölkerung kam schnell zur Hilfe. Wochenlang zerkleinerten die Einheimischen das Eis, um das kleine Wasserbecken vor dem Zufrieren zu bewahren, und fütterten die Tiere mit gefrorenem Fisch. Doch ihre Bemühungen reichten nicht aus, da das Packeis unweigerlich immer näher kam.  

Der Eisbrecher 

Dank der Einheimischen überlebten die Tiere mehr als einen Monat. Dann schickten die sowjetischen Behörden einen Eisbrecher in die Region, um die schwächer werdenden Tiere zu befreien.  

„Der Eisbrecher ‚Moskwa‘ kämpfte gegen die Zeit und die sinkenden Temperaturen an, um die Wale zu erreichen, bevor sie in dem immer kleiner werdenden Wasserbecken erstickten oder verhungerten“, berichtete die „New York Times“, die das Ereignis „eine der ungewöhnlichsten Rettungsaktionen in der Geschichte der arktischen Schifffahrt" nannte. 

In den folgenden Tagen verfolgte die ganze Welt die Entwicklung der so genannten „Operation Belucha“ (zu Deutsch „Operation Belugawal“).  

Unter der Führung von Aufklärungsflugzeugen eilte der Eisbrecher „Moskwa“ unter dem Kommando von Kapitän Anatoli M. Kowalenko zur Rettung. Zunächst schaffte der Eisbrecher Wasserstellen, in denen die Wale verschnaufen und neue Kraft schöpfen konnten. Dabei galt es jedoch sicherzustellen, dass die Wale nicht in den flachen Gewässern bleiben, die bald wieder gefrieren würden. Die Tiere mussten ins offene Meer getrieben werden. 

Die Besatzung überlegte, wie sie es bewerkstelligen könnte, dass die Wale freiwillig dem riesigen und lauten Schiff folgen würden. Die Seeleute hatten eine ungewöhnliche Idee: Sie wollten es mit Musik versuchen. 

Folgt dem Klang  

Nach tagelangen vergeblichen Bemühungen, die Wale aus ihrer Falle zu locken, kam die Besatzung auf diese originelle Lösung.

„Jemandem fiel ein, dass Delfine sehr stark auf Musik reagieren. Und so begann Musik vom Oberdeck zu erklingen. Populär, martialisch, klassisch. Die klassische Musik traf den Geschmack der Belugas am besten. Die Herde begann, dem Schiff langsam zu folgen“, zitiert die „New York Times“ lokale sowjetische Nachrichtenberichte.  

Aufzeichnungen aus dieser Zeit widersprechen sich in der Frage, welche Musik den Walen vorgespielt wurde. In einigen Berichten heißt es, es sei sowjetische Popmusik gewesen, in anderen, den Säugetieren hätte klassische Musik am besten gefallen. In jedem Falle ging der Plan der Besatzung der „Moskwa“ auf. 

„Unsere Taktik war folgende: Wir ziehen uns zurück, stoßen dann wieder ins Eis vor, schaffen einen Durchgang und warten. Das wiederholen wir mehrere Male. Die Belugas beginnen, unsere Absichten zu ‚verstehen‘ und folgen dem Eisbrecher. So bewegen wir uns Kilometer für Kilometer weiter", sagte Kapitän Anatoli M. Kowalenko.  

Ende Februar waren alle gefangenen Wale befreit und konnten ins offene Meer schwimmen.  Einigen Schätzungen zufolge kostete die Rettungsaktion die Sowjetunion damals rund 55.000 US-Dollar (heutzutage entspricht das ungefähr 131.000 Euro).