Sowjetischer General erfror lieber als mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten

Geschichte
BORIS JEGOROW
Die Deutschen ließen während des 2. Weltkriegs kaum etwas unversucht, um den Gefangenen Dmitri Karbyschew auf ihre Seite zu locken: Dieser ehemalige Offizier der zaristischen Armee sprach fließend Deutsch, kannte sich mit allem aus, was Schanzkunst betraf, und wäre daher dem Dritten Reich sehr von Nutzen gewesen.

Generalleutnant der Pioniertruppen Dmitri Karbyschew war einer der wertvollsten Repräsentanten der Roten Armee. Zum Zeitpunkt der Intervention der deutschen Streitkräfte in der UdSSR hatte der sechzigjährige Truppenführer schon vier Kriege hinter sich und wurde mit zahlreichen zaristischen und später auch sowjetischen Auszeichnungen versehen.

Karbyschew bewies mehrmals seinen Mut auf dem Schlachtfeld zu Zeiten des Russisch-Japanischen Krieges in den Jahren 1904/1905, wurde aber später eher als geschickter und talentierter Schanzenkünstler berühmt. Im Laufe des Bürgerkriegs leitete Karbyschew erfolgreich den Bau von sieben Schanzanlagen in der Wolgaregion und in Sibirien und bereitete ingenieurtechnisch den Angriff auf die feindlichen Verteidigungsanlagen auf der Halbinsel Krim vor.

Während des Winterkriegs gegen Finnland erkundete der Kommandant persönlich die Mannerheim-Linie auf der Karelischen Landenge.Seine Vorschläge und Hinweise erwiesen sich als sehr nützlich bei der Planung des Überfalls auf die Linie. Der promovierte Militärwissenschaftler Karbyschew war Autor von mehr als hundert wissenschaftlichen Abhandlungen über Schanzkunst und Militärgeschichte und er war Pionier bei der Entwicklung von ingenieurtechnischen Barrieren. Seine Werke wurden in Militärschulen regelmäßig zur Vorbereitung der Rotarmisten verwendet.

Im Sommer 1941 begutachtete der General den Bau von Schanzanlagen im verschanzten Gebiet Grodno, im Westen Weißrusslands, wo ihn der verheerende Blitzkrieg erwartete. Als Karbyschew im August bei dem Versuch, aus der Einkesselung zu entkommen, in Gefangenschaft geriet, wurde den Deutschen schnell klar, dass sie einen äußerst wichtigen Mann im Trumpf hatten.

Die Heldentat

Karbyschew wurden geradezu königliche Bedingungen im Gegenzug für die Zusammenarbeit angeboten: die Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager, den Umzug in eine eigene Wohnung, volle materielle Unterstützung, den Zugang zu allen Bibliotheken und Archiven, persönliche Assistenten und die Möglichkeit, wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen, beliebige Forschungen durchzuführen und an beliebigen Projekten zu arbeiten. Er durfte mit an die Front und seine Berechnungen vor Ort überprüfen. Die Front sollte jedoch nicht nur die Ostfront sein.

In Berlin war man zuversichtlich dem gegenüber, dass die Rekrutierung eines sowjetischen Generals kein Problem darstellen würde: ein Mann gehobenen Standes und ehemaliger zaristischer Offizier, der fließend Deutsch sprach (seine erste Frau war Deutsche). Es schien, als würde er ohne weiteres auf die Seite des Dritten Reiches übertreten.

Am Ende verlief die Sache aber alles andere als reibungslos. Der Kommandant lehnte eine Zusammenarbeit kategorisch ab und war an keinerlei Versprechen interessiert. Die Deutschen gingen zu Einschüchterungen, Drohungen und Folter über und verschlechterten stetig die Bedingungen seiner Inhaftierung, aber auch das half nicht. Zwei Jahre widmeten sie sich ihren Versuchen,  doch am Ende vergebens – die Nationalsozialisten gaben auf. „Dieser berühmte sowjetische Schanzkünstler, ein Berufsoffizier der alten russischen Armee und ein Mann in den Sechzigern, erwies sich als loyaler Fanatiker der militärischen Pflicht und des Patriotismus...“, so hieß es in einem der vielen deutschen Berichte von 1943. „Karbyschew ist ein hoffnungsloser Fall, was seine Verwendung als Spezialist für unsere ingenieurtechnische Rüstung angeht.“

Das Schicksal des Generals wurde damit besiegelt: Er wurde zur Zwangsarbeit in das Konzentrationslager Flossenburg deportiert. Gleichzeitig wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sein Dienstgrad und Alter nicht berücksichtigt werden sollten.

Das tödliche Ende

Der tapfere Kommandant wurde von Lager zu Lager gebracht. Er überlebte Auschwitz und Sachsenhausen. Aber Mauthausen, wohin Karbyschew im Februar 1945 verlegt wurde, gehörte nicht mehr dazu – es wurde zu seiner Ruhestätte.

Der in Kriegsgefangenschaft geratene kanadische Armeemajor Seddon de St. Clair wurde Zeuge des Todes des Generals: „Als wir das Konzentrationslager Mauthausen betraten, jagten uns die Deutschen in den Duschbereich, forderten uns auf, uns auszuziehen und ließen eiskaltes Wasser von oben auf uns herab. Das Ganze kam einem ewig vor. Alle liefen blau an. Viele fielen zu Boden und starben auf der Stelle: Ihre Herzen verkrafteten es nicht.“ 

Karbyschew, der schon auf die siebzig zuging, überlebte auf wundersame Art und Weise. Ihm und den anderen wurde befohlen, Unterwäsche und Holzschuhe anzuziehen und wurden dann so nach draußen in die eisige Kälte getrieben. „General Karbyschew stand in einer Gruppe russischer Mitstreiter nicht weit von mir“, erinnerte sich St. Clair. „Uns war bewusst, dass das letzte Stündlein geschlagen hatte. Nach ein paar Minuten begannen die Gestapo-Männer, die hinter uns standen, uns mit kaltem Wasser aus Feuerwehrschläuchen zu bespritzen. Diejenigen, die versuchten, dem Wasserstrahl auszuweichen, wurden mit Schlagstöcken auf den Kopf geschlagen. Hunderte von Menschen fielen erfroren oder mit zerschmettertem Schädel zu Boden. Ich habe auch General Karbyschew fallen sehen.“

Die Sowjetunion wusste nichts von Dmitri Karbyschews Schicksal und hielt ihn für verschollen. Erst nach dem Ende des Krieges wurden seine Lebensjahre nach und nach bekannt.

Am 16. August 1946 wurde Dmitri Karbyschew, Generalleutnant der Pioniertruppen der Roten Armee, „für seine außergewöhnliche Standhaftigkeit und seinen Mut im Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht während des Großen Vaterländischen Krieges“ mit dem Ehrentitel Held der Sowjetunion ausgezeichnet.

Zwei Jahre später wurde in Mauthausen ein Denkmal für den Kommandanten errichtet, das folgende Inschrift trägt: „Für Dmitri Karbyschew. Wissenschaftler. Krieger. Kommunist. Sein Leben und sein Tod sind gleich einer Heldentat, die zum Zwecke des Lebens vollbracht wurde.“

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