Inna Li: Das Schicksal der russischen Tochter des Mitbegründers der Kommunistischen Partei Chinas

Kira Lisitskaya (Photo: Russian Cultural Center in Beijing)
Inna Li verbrachte ihre Kindheit im stalinistischen Moskau, ihre Jugend in Peking unter Mao Zedong. Sie erlebte sowohl die „Kulturrevolution“ in China als auch den Zusammenbruch der UdSSR, wurde inhaftiert und verbannt... Aber ihr ganzes Leben lang fanden beide Kulturen einen Platz in ihrem Herzen, obwohl sie doch so unterschiedlich sind.

„Woher kommt denn so ein chinesisches Mädchen her?“ - wurde Jelisaweta Kischkina, die Mutter der kleinen Inna, in den 1940er Jahren von Passanten auf Moskauers Straßen gefragt. Zu diesem Zeitpunkt hinterfragte sich das Mädchen natürlich nicht, ob sie nun Chinesin oder Russin war.

Die Mutter aus Russland, der Vater aus China stammend

Innas Mutter Jelisaweta wurde in die Familie eines Gutsbesitzers aus Saratow geboren, der die Revolution von 1917 nicht wahrhaben wollte und Selbstmord beging. Ihr ganzes Leben lang war sie schüchtern und verbarg ihre Herkunft - in einem sowjetischen Land verursachte das Probleme.

Innas Vater, Li Lisan, stammte aus einer wohlhabenden chinesischen Familie. Als Student studierte er in Frankreich und es zog ihn immer öfter zu den Ideen des Kommunismus. Als er einen Arbeiterstreik organisierte, wurde er infolgedessen nach China deportiert, wo er sofort der neu gegründeten Kommunistischen Partei beitrat. Der Aktivist Lisan eröffnete in ganz China mehrere Parteibüros  und wurde schon bald zum De-facto-Parteivorsitzenden.

Li Lisan mit seiner Frau und seiner Tochter Inna.

Nach einem gescheiterten Revolutionsversuch in den 1920er Jahren, den er in der Hoffnung auf Unterstützung durch die Rote Armee initiiert hatte, wurde Lisan vor das Komintern-Gericht (Kommunistische Internationale) in Moskau berufen. Dort verbrachte er einige Zeit im Gefängnis, weil er versucht hatte, die UdSSR in den Krieg zu involvieren. Wie durch ein Wunder entging Lisan den Repressionen, durfte aber 15 Jahre lang das Land nicht verlassen - in dieser Zeit heiratete er Elisabeth, und 1943 bekamen sie eine Tochter, Inna. 1946 durfte Lisan nach China zurückkehren - schon bald folgte ihm seine auch Familie.

Wie es sich anfühlte russischer Herkunft sein in China

In der Grenzstadt Harbin erhielten sie offiziell ein Haus: Es war zwar eher bescheiden, aber nach der Gemeinschaftswohnung in Moskau erschien es Inna riesig. Ihre Mutter bemühte sich, einen russischen Lebensstil aufrechtzuerhalten und Inna wurde in einen russischen Kindergarten geschickt. 1949 wurde Lissan von Mao eine neue Stelle angeboten und die Familie zog in ein großes Haus mit Bediensteten nach Peking um.

Die russische Diaspora (Anteil an russischer Bevölkerung) in der Hauptstadt war klein, aber Inna schloss bald Freundschaft mit anderen Kindern aus Mischehen. „Wir haben versucht, uns Rusakity (so etwas wie „Russnesen”) zu nennen, aber der Ausdruck blieb nicht haften und später haben wir eine passendere Bezeichnung gefunden: Kitarusy („Chinerussen”). Dann passte alles. Die chinesische Kultur ist generell sehr in sich gekehrt - sie mögen keine Fremden”, zitiert Alexander Archangelski Inna in seinem Buch „Russische Hieroglyphen. Inna Lis Lebensgeschichte aus Innas eigener Sicht”.

Li Lisan.

Als Inna in der 10. Klasse war, verbrachten sie und ihre Mutter ein Jahr in Moskau, damit sie dort die Schule abschließen und ein sowjetisches Zeugnis und einen Reisepass erhalten konnte. Ihre Mutter bot ihr an, dort zu bleiben und zu studieren, aber Inna fühlte sich in der poststalinistischen Welt der 1950er Jahre nicht wohl und...die Tatsache, dass sie wieder in einer Kommunalka (Gemeinschaftswohnung) leben müsste.

Das Doppelleben: Der Konflikt zwischen China und der UdSSR

In den 1960er Jahren hatte Mao keinen Bezug mehr zu der UdSSR und das autoritäre Regime in China begann sich zu festigen. Aufgrund seiner Beziehung zu den Sowjets und seiner Frau wurde Lisan mit ersten Probleme konfrontiert: Inna musste ihren sowjetischen Reisepass aufgeben. Ihr chinesischer Name war nun Li Yingnan.

Sie fing ein Übersetzungswissenschaftenstudium an einer Universität in Peking an und trat dem Komsomol (Kommunistische Jugendorganisation in der UdSSR) bei. Das Studentenwohnheim war schäbig und hatte Holzbetten ohne Matratzen. Sie wurde um sechs Uhr morgens von der Klingel geweckt und machte bei jedem Wetter Morgensport - zur Kantine wurde in Formation marschiert. Inna versuchte, unter ihren Mitschülern ein vorbildliches Komsomol-Mitglied zu sein, aber zu Hause lebte sie wie die „goldene Jugend” - mit Tänzen, Musik und ausländischen Gästen. „So fing mein Doppelleben an, Gestalt anzunehmen”.

Dann wurde das Land von einer Hungersnot heimgesucht, Lebensmittel und Lebensmittelkarten wurden eingeführt, aber Inna hatte immer noch einen persönlichen Koch zu Hause.

Mao Zedong und Josef Stalin.

China bereitete sich darauf vor, auf jegliches Verhältnis mit der UdSSR zu verzichten und es begann eine „Kulturrevolution”. Es kam zu „Entlarvungen” und Säuberungen in der Kommunistischen Partei, Innas Vater wurde immer mehr verdächtigt und vorübergehend von seinem Dienst suspendiert. 1967 wurde ihrem Vater Spionage für die UdSSR unterstellt und wurde deshalb ins Gefängnis gebracht. Offiziell heißt es, Li Lisan habe im Gefängnis Selbstmord begangen, nachdem er eine große Dosis Schlaftabletten eingenommen hatte, aber Inna ist sich sicher, dass ihm „geholfen” wurde, zu sterben.

Strafvollzug und Rehabilitierung

Nicht lange nach der Verhaftung ihres Vaters wurden auch Inna, ihre jüngere Schwester und ihre Mutter inhaftiert. Zwei Jahre später beschloss Mao, die Strafen der Kinder, die anstelle ihrer Eltern inhaftiert worden waren, durch Erziehungsmaßnahmen - „Kurse mit Einblick in die Ideen von Mao Zedong” – zu ersetzen und hat sie zur Umerziehung geschickt. Von ihren Eltern gab es keine Neuigkeiten und erst nach ihrer Freilassung erfuhr Inna, dass ihr Vater längst verstorben war.

Inna wurde zur Umerziehung in ein weit entferntes Dorf gebracht: Sie arbeitete tagsüber auf den Reisfeldern und besuchte abends den Aufklärungsunterricht. Bald kamen Ausländer nach China und Inna wurde als Dolmetscherin in Peking gebraucht. Sie erkrankte an Hepatitis und verbrachte einen Monat im Krankenhaus. Danach wurde sie als „ehemalige Infektionskranke“ nicht mehr in die politische Arbeit einbezogen und sogar in ein separates Zimmer gebracht. Auf diese Weise wurde sie frei und unter den anderen „ehemalig Infektionskranken” lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen und bekam schon bald ein Kind.

Von rechts nach links: Inna, Li Lisan, Jelisaweta Kischkina, ihre zweite Tochter Alla

1979, nach acht Jahren Gefängnis und anschließendem Exil, hat sich Innas Mutter vollständig rehabilitiert. Jelisaweta Kischkina, in China als Li Sha bekannt, wurde zur Begründerin der chinesischen Russischstudien ernannt und erhielt den Titel einer Professorin für die russische Sprache. Sie verfasste ein autobiografisches Buch „Von Russland nach China - ein hundert Jahre langer Weg”. Inna gelang auch die vollständige Rehabilitierung ihres Vaters.

In die Heimat und wieder zurück

1984 reiste Inna zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder in die UdSSR. Sie wartete zwanzig Monate auf ihren Reisepass und ihr Visum. Aus dem fernen China schien es, als würde sich ihr Heimatland in rasant weiterentwickeln. Bei ihrer Ankunft stellte sie fest, dass alles - die Lebensweise, die Gespräche und die Interessen - gleich geblieben waren. Aber bald brach die Ära von Gorbatschow, Perestroika und neuen bilateralen Beziehungen zu China an. Als Russistin wurde Inna immer wieder zu offiziellen Besuchen in die UdSSR eingeladen.

Inzwischen hatte sie zwei Söhne, die eine chinesische Schule besuchten, aber sie sprach mit ihnen auf Russisch. Die Situation der Russen (oder „Kitarusskis”, wie Inna zu Kindheitszeiten sagte) in China hatte sich verbessert, sie konnten sich untereinander treffen und ihre Kindern mit ihrer zweiten Kultur vertraut machen. 1989 nahm Inna ihre Kinder mit nach Moskau, wo sie sechs Jahre lang blieben und sie sie in die Schule schickte. In dieser Zeit sprach sie zu Hause mit ihnen Chinesisch, damit die Sprache nicht in Vergessenheit gerät. Die beiden Söhne von Inna studierten in Moskau, kehrten aber später mit ihrer Mutter nach China zurück, da sie sich in den 1990er Jahren in Russland nicht mehr wohl fühlten.

Heute ist Inna Li (Li Yingnan) eine bekannte chinesische Russistin und Professorin an der Pekinger Fremdsprachenuniversität. Sie selbst beschreibt sich als Chinesin mit einer russischen Vorliebe. „Es gab eine Zeit, in der meine beiden ethnischen Hälften miteinander in Konflikt gerieten. Gott sei Dank habe ich jetzt sowas wie eine Harmonie gefunden. Es hat sich herausgestellt, dass ich gerne auf zwei Stühlen sitze: Wenn ich in einer Kultur gefangen bin, fange ich an zu ersticken.”

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