Wie ein britischer Geistlicher ein großer Freund der UdSSR wurde

Dr. Hewlett Johnson (1874-1966), ehemaliger Dekan von Canterbury, UK, 1966.

Dr. Hewlett Johnson (1874-1966), ehemaliger Dekan von Canterbury, UK, 1966.

Evening Standard/Hulton Archive/Getty Images
„Ein wahrer Christ kann kein Feind des Kommunismus sein!“ Davon war der Brite Hewlett Johnson, der ab 1931 Dekan an der Kathedrale von Canterbury war, überzeugt.

Die Beziehungen zwischen dem atheistischen Sowjetstaat und den orthodoxen - wie auch den katholischen und protestantischen - Kirchen waren stets kompliziert, um es gelinde auszudrücken. Sie reichten von der Zerstörung von Gotteshäusern und Repressionen gegen Priester bis hin zu den Bemühungen, einen Konsens und eine praktikable Lösung für eine  Koexistenz zu finden. Doch selbst zu Zeiten relativer Ruhe wurde die strenge staatliche Aufsicht über die Religion nicht einen Augenblick lang nachlässig. 

Doch einige Geistliche aus dem kapitalistischen Westen wurden zu wahren Freunden der Sowjetunion. 

Als Pazifisten und Verfechter linker Weltanschauungen kämpften der italienische Priester Andrea Gaggero und der kanadische protestantische Missionar James Endicott aktiv gegen die Verbreitung von Atomwaffen und die Eskalation des Kalten Krieges. Beide wurden mit dem Lenin- bzw. dem Stalinpreis „Für die Stärkung des Friedens unter den Völkern“ ausgezeichnet. 

Keiner der westlichen Glaubensführer war jedoch ein willkommenerer Gast in Moskau als der Dekan der bedeutendsten anglikanischen Institution in ganz Großbritannien - der Kathedrale von Canterbury. Sein Name war Hewlett Johnson. 

Sozialistischer Priester

Der „rote Dekan von Canterbury“, wie Johnson in Großbritannien wegen seiner Liebe zur Sowjetunion genannt wurde, hatte sein Amt von 1931 an inne. Er war 57 Jahre alt und Mitglied der Labour-Partei. Johnson war bekannt dafür, mit kommunistischen Idealen zu sympathisieren. Dem  konservativen britischen Klerus, insbesondere dem Erzbischof von Canterbury, Cosmo Gordon Lang, war er deshalb ein echter Dorn im Auge. 

Dekan Dr. Hewlett Johnson und sein Sekretär bei der Besichtigung der zerstörten Kathedralbibliothek, Juni 1942.

„Hewlett Johnson war auf Lebenszeit angestellt und konnte nicht entlassen werden“, erinnerte sich der sowjetische Diplomat Iwan Maisky, der ein Freund des sozialistischen Priesters wurde. „Der Dekan war entschlossen. Er knickte nicht ein, nur weil der Erzbischof in Nähe war und setzte sich energisch gegen jede Intrige zur Wehr, die die Kirchenbehörden gegen ihn versuchten.“ 

Loyaler Freund der UdSSR

Mitte der 1930er Jahre unternahm der britische Priester mehrere Reisen in die Sowjetunion und verfasste darüber 1939 sein Buch „Sozialismus auf dem sechsten Kontinent“, in dem er die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen in diesem Land sorgfältig beschrieb. Das Buch wurde in 24 Sprachen übersetzt und erlangte große Popularität.

„Die Idee des Kommunismus hat die Welt ergriffen wie keine andere Bewegung seit dem Aufkommen des Christentums...", sagte er. „Ich bin überzeugt, dass eine Synthese der beiden Glaubensrichtungen möglich ist und schließlich der gesamten Menschheit Segen bringen wird (...) Ist (der Kommunismus, Anm. Red.) christlich? Ich sage ‚ja‘, wie ich es schon vor 50 Jahren getan habe. Russland (...) hat trotz aller Fehler seine Wirtschaft auf eine christliche Theorie gegründet."

„Ein echter Christ kann kein Feind des Kommunismus sein“, gab sich der sogenannte „rote Dekan“ gegenüber Maisky überzeugt. „Im Gegenteil, es gibt viele Berührungspunkte zwischen Christentum und Kommunismus“. Johnson wurde dennoch nie Mitglied der kommunistischen Partei Großbritanniens. 

Während des Zweiten Weltkriegs kümmerte sich der Geistliche nicht nur um die Flüchtlinge und seine Kathedrale, die unter den Bombenangriffen litt, sondern beteiligte sich auch aktiv an der Sammlung von Spenden für die Sowjetunion. 

Der Dekan von Canterbury mit seiner Familie im Sommerlager „Lesnije polijani“ (zu Deutsch „Waldlichtungen“) in der Region Moskau, 1956.

1945 wurde der Abt offiziell nach Moskau eingeladen, um den Tag des Sieges zu feiern. Ihm wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Patriarch Alexej I. von Moskau schenkte ihm sogar ein orthodoxes Kreuz, von dem sich Johnson nie trennte. Der neue Erzbischof von Canterbury, Geoffrey Francis Fisher, forderte Johnson immer wieder auf, es zumindest bei offiziellen Anlässen nicht zu tragen - ohne Erfolg. 

Zu Hause unter Fremden 

Johnson war für die britische Gesellschaft seit Jahren eine Quelle der Frustration, da er die Sowjetunion in praktisch allen Bereichen unterstützte, einschließlich des Molotow-Ribbentrop-Pakts und des Winterkriegs 1939-1940 gegen Finnland. Die kontroversen Seiten der sowjetischen Gesellschaft - wie die Massenrepressionen und Säuberungen - wurden vom „roten Dekan“ im Großen und Ganzen ignoriert. 

Im Juli 1945 wurde der Priester mit dem Orden des Roten Banners der Arbeit ausgezeichnet, 1951 dann mit dem Internationalen Stalinpreis „Für die Stärkung des Friedens unter den Völkern“, was die Liste seiner Feinde in der Heimat weiter anwachsen ließ. Johnson wurde unter anderem nicht ohne Sarkasmus geraten, eine lange Missionsreise in die sibirischen Salzminen zu unternehmen. Außerdem erhielt er die folgende anonyme Nachricht: „Verräter. Treten Sie zurück. Sie beschmutzen das Ansehen von Canterbury (...) England ist zu gut für einen Bolschewiken.“

Nowell Johnson überreicht die Medaille des Stalin-Friedenspreisträgers an ihren Ehemann Hewlett Johnson, Dekan von Canterbury.

Dank seines hohen Ansehens blieb Johnson für seine Gegner dennoch unangreifbar.  Winston Churchill rief dazu auf, den Priester zu ignorieren, um ihm keinen Platz im Rampenlicht einzuräumen. Dennoch behielten die Geheimdienste ihn inoffiziell weiter im Auge. 

Der „rote Dekan“ blieb Stalins UdSSR bis zum Schluss treu. Im Jahr 1956 weigerte er sich, die Initiative Nikita Chruschtschows gegen den Personenkults um den „Vater der Nationen“ zu unterstützen. 

1963, im Alter von 89 Jahren, gab Hewlett Johnson, der dem Druck seiner Gegner nie nachgegeben hatte, freiwillig das Amt des Dekans an der Kathedrale von Canterbury auf. Drei Jahre später verstarb er. Trotz aller Skandale um seine Person wurde er neben der Kathedrale beigesetzt, der er so viele Jahre seines Lebens gewidmet hatte.

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