Wie die Schokolade nach Russland kam

Geschichte
MARIA BUNINA
Die Schokolade wurde nicht in Russland erfunden, aber die Russen lieben sie. Ein Günstling von Katharina der Großen kombinierte Kakao sogar mit Schinken oder Hühnchen.

Einer Version zufolge wurde heiße Schokolade Anfang des 18. Jahrhunderts von Zar Peter I. aus Europa nach Russland gebracht. Der Adel lehnte das aus Kakaobohnen hergestellte Getränk ab und bezeichnete es als „Hexentrank" und „Ruß-Sirup". Vielleicht kam deshalb eine andere Version auf, die mit dem Namen von Katharina II. verbunden ist. 

Demnach brachte der venezolanische Botschafters Francisco de Miranda die heiße Schokolade Ende des 18. Jahrhunderts nach St. Petersburg als Geschenk für Fürst Potjomkin, einen Günstling von Katharina der Großen, der das schokoladige Heißgetränk sehr schätzte. Es gibt Aufzeichnungen darüber, dass Potjomkin sehr viel Kakao getrunken hat und dazu sogar Schinken oder Huhn aß. Auch die Kaiserin muss die Schokolade gemocht haben, denn der Hof begann, Kakao zu bestellen. Die Schokolade fasste in Russland Fuß, obwohl sie sehr teuer blieb, nur in Form von Getränken beliebt und auch nur für die gehobene Gesellschaft erhältlich war. 

Generalleutnant Konstantin Stakelberg, Leiter der Hofkapelle von Kaiser Alexander III., notierte Ende des 19. Jahrhunderts in seinen Aufzeichnungen, dass „am kaiserlichen Hof nach den Mahlzeiten zusätzlich zum Kaffee eine Tasse Schokolade serviert wurde", ein Brauch, der sich während der Herrschaft von Katharina II. etabliert hatte.  

Erst im 19. Jahrhundert wurden billigeres Kakaopulver und Rübenzucker verfügbar, so dass das Getränk erschwinglicher wurde. Im Jahr 1818 schrieb ein Besucher von St. Petersburg über ein Geschäft am Newski-Prospekt, der Hauptstraße der Stadt, in dem „man bei einer Tasse heißer Schokolade angenehm entspannen“ könne. 

Die Schokolade begann in den literarischen Werken von Dostojewski, Gogol und anderen aufzutauchen. So beschrieb der Schriftsteller Iwan Turgenjew 1872 das Servieren von Kakao in der Erzählung „Quellwasser" wie folgt: „...eine riesige Porzellankanne, gefüllt mit duftender Schokolade, umgeben von Tassen, Karaffen mit Sirup, Keksen und Brötchen, sogar Blumen.“

Das Rezept für heiße Schokolade aus dieser Zeit steht in einem populären Kochbuch aus dem Jahr 1861 mit dem Titel „Ein Geschenk für junge Hausfrauen" von Elena Molochowez: „Für drei Tassen Milch nimmt man 50 bis 100 Gramm Schokolade. Man kann sie raspeln oder in Stücke brechen, zusammen mit der Milch unter häufigem Rühren aufkochen, in Tassen füllen und Zucker separat dazu reichen. Manchmal wird auch ein Löffel Schlagsahne in diese Schokolade gegeben.“

Die größten Schokoladenfabriken vor der Revolution 

In der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden etwa 600 Schokoladenfabriken eröffnet. Bis 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs, gab es 170 Schokoladenfabriken in St. Petersburg und 213 in Moskau.  

Einem's Fabrik: 1851 eröffnete Ferdinand Theodor von Einem, ein deutscher Unternehmer aus dem Württembergischen, der in Russland den Namen „Fjodor" annahm, ein Schokoladen- und Süßwarengeschäft in der Arbat-Straße im Zentrum von Moskau. Das Unternehmen war sehr erfolgreich und 1867 konnte er eine Fabrik am Sofijskaja-Ufer errichten. Die Produktion stieg beträchtlich und 1871 wurde die Hälfte der Moskauer Süßigkeiten von Theodor von Einem und seinem deutschen Partner Julius Geiss hergestellt. In diesem Jahr wurden 32 Tonnen Schokolade, 160 Tonnen Schokolade, 24 Tonnen Teegebäck und 64 Tonnen Bruchzucker produziert. 

Die Käufer liebten nicht nur den Geschmack der Süßigkeiten, sondern auch die Blechdosen, in denen sie verkauft wurden. Die besonders teuren Dosen waren mit Samt, Leder, Seide und Goldprägung verziert. In der Schachtel wartete auch eine Überraschung auf die Kunden, so etwa die Noten des „Schokoladenwalzers" oder „Cupcake Galop".

Eines der berühmtesten Süßwaren war das Konfekt „Tollpatschiger Bär" (auf Russisch „Mischka Kosolapy"), der erstmals 1913 hergestellt wurde und sich noch immer großer Beliebtheit erfreut. Das Bild auf der Verpackung zeigt ein berühmtes Gemälde von Iwan Schischkin, den „Morgen in einem Kiefernwald". 

Fabrik Abrikosow und Söhne: Die russische Schokoladengeschichte und die Neuausrichtung von Schokoladenprodukten auf Kinder als Zielgruppe ist eng mit dem Namen von Alexei Abrikosow verbunden. Und das ist kein Zufall - er und seine Frau hatten selbst 22 Kinder. Im Frühjahr 1879 kaufte das Handelshaus „A. I. Abrikosow und Söhne" im Moskauer Stadtteil Sokolniki ein Grundstück für eine Süßwarenfabrik. 1880 wurde die „Fabrik- und Handelsvereinigung von A. I. Abrikosow und Söhnen" gegründet.

Abrikosow war der erste in Russland, der Trockenfrüchte mit Schokoladenglasur überzog; zuvor waren sie aus dem Ausland importiert worden. Im Jahr 1899 hatten sie den größten Erfolg: Das Abrikosow-Unternehmen wurde zum Hoflieferanten Seiner Kaiserlichen Majestät und durfte das Wappen des Kaisers auf dem Etikett anbringen. Die Fabrik war die erste, die „Gänsefüße"-Bonbons herstellte (damals hießen sie noch „Gänseschnabel“). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dort etwa viertausend Tonnen Karamell, Bonbons, Schokolade und Kekse hergestellt. 

Die französische Familie Sioux: 1855 eröffnete ein französisches Ehepaar, Adolphe und Eugenie Sioux, in Moskau ein kleines Süßwarengeschäft mit handgefertigten Schokoladenbonbons. Später führten ihre Söhne das Geschäft ihrer Eltern weiter und gründeten in den 1880er Jahren die Firma „S. Sioux und Co. Trading House" und bauten eine Fabrik. Sie stellten feste Schokolade, Karamell, Nougat, Marshmallows und Marmelade her. Läden der Marke Sioux entstanden in allen größeren Städten des Landes. 

Nach der Revolution von 1917 

Die sowjetischen Behörden standen der Schokolade zunächst ablehnend gegenüber, da sie als eine Delikatesse der Bourgeoisie galt. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, preiswerte Süßigkeiten mit Bildern der neuen sowjetischen Führer auf den Verpackungen zu produzieren. Dennoch wurde Schokolade nicht als Grundnahrungsmittel angesehen zu einer Zeit, in der die Ernährungslage im Lande katastrophal war.

Nach der Revolution wurden die Einem- und Abrikosow-Fabriken verstaatlicht und 1922 in „Rote-Oktober-Fabrik" („Krasni Oktjabr“) und „Babajew-Fabrik" (benannt nach dem Vorsitzenden des Bezirksexekutivkomitees) umbenannt. Die meisten der kleinen Fabriken wurden geschlossen. Die Familie Sioux verließ das Land und ihr Unternehmen wurde ebenfalls verstaatlicht.

Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Haltung der sowjetischen Regierung gegenüber Schokolade. Sieg wies die Fabriken an, Milchschokolade zu produzieren, die für die sowjetischen Bürger erhältlich sein sollte.

Im Jahr 1946 begann Babajews Fabrik mit der Produktion der ersten Schokoladentafeln in mehrfarbiger Folie in Russland. In den 1960er und 1970er Jahren kreierte Babajew  neue Schokoladen- und Bonbonsorten. Die berühmtesten unter ihnen waren die „Babajewski“ und „Wdochnowenje“ (zu Deutsch „Inspiration") - Schokoladen. Etwa zur gleichen Zeit, im Jahre 1966, brachte die Fabrik Krasni Oktjabr eine Schokoladentafel mit einem blauäugigen Mädchen mit Schal auf der Verpackung heraus und nannte sie „Aljonka", die später weltweit berühmt werden sollte.

Heute gehören die Fabriken Krasni Oktjabr und Babajewski zusammen mit einem Dutzend anderer Schokoladenfabriken zur großen United Confectioners Holding.