Diese Schokolade gehört zu den bekanntesten Marken Russlands. Sie wurde ursprünglich in einer Süßwarenfabrik hergestellt, die ein deutscher Einwanderer gegründet hat. Ferdinand Theodor von Einem kam im Alter von 25 Jahren voller Hoffnungen und Träume nach Russland. Später wurde die von ihm gegründete Fabrik Hoflieferant hoch angesehen. Seine erste Produktionsstätte hatte er in der Masnitskaja-Straße im Moskauer Stadtzentrum, wo Köstlichkeiten allererster Güte entstanden, die bis dahin eigens aus Europa importiert werden mussten.
Ferdinand Theodor von Einem und Julius Heuss
Krasny Oktyabr1851 eröffnete der Jungunternehmer ein Geschäft in der Arbat-Straße. Seine Pralinés erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. Mit seinem Geschäftsfreund und Landsmann Julius Heuss baute er an der Sofijskaja-Uferstraße eine Süßwarenproduktion.
Im Jahr 1876 starb von Einem in Deutschland, doch beigesetzt wurde er in Russland, das hatte er zuvor in seinem Testament verfügt. Heuss übernahm die Leitung der Fabrik. 1889 erwarb er Land an der Bersenewskaja-Uferstraße und errichtete dort eine riesige Fabrik mit 23 Gebäuden aus rotem Backstein. Dort wurde bis zum Jahr 2007 produziert. 1913 wurde die Einem-Süßwarenfabrik kaiserlicher Hoflieferant. In Simferopol, Riga und Nischni Nowgorod entstanden Zulieferbetriebe, Niederlassungen und Ladengeschäfte. Einer der Erfolgsfaktoren war eine für damals innovative Marketingstrategie.
Einem-Geschäft in der Pokrowka-Straße
Archive photoDie Qualität der Ware war von großer Wichtigkeit, doch in der Einem-Süßwarenfabrik schuf man zudem eine Marke. Zur Marketingstrategie gehörte eine einheitliche Gestaltung der Ladengeschäfte und besondere Ereignisse und Geschichten, die nachhaltig in Erinnerung blieben.
Für die Geschäfte komponierte Karl Feldmann eine eigene Musik. Die Angestellten des Unternehmens spielten den Kunden beim Kauf passend zu den Waren den Waltz Montpensier, Cupcake Gallop oder Cocoa Dance vor. Die Verpackungen waren ansprechend gestaltet, hell und freundlich und oft aus hochwertigen Materialien. Pralinenschachteln wurden mit Samt, Seide oder Leder überzogen. Die angesagtesten Künstler der Zeit wie Wrubel, Bakst oder Benoit wurden ermutigt, Illustrationen zu entwerfen. Diese gab es zum Sammeln in den Deckeln der Pralinenschachteln, darunter Ansichten eines futuristischen Moskaus, Gemälde russischer Künstler, Trachten, Vögel oder Schmetterlinge. Wer mehrere Motive zusammen hatte, bekam eine Schachtel gratis.
Eine weitere Innovation waren Süßwarenautomaten. Es kostete nur zehn Kopeken und nachdem man einen Hebel bewegt hatte, kam Einem-Schokolade aus dem Automaten.
Das wahre Geheimnis des Erfolges war aber möglicherweise der faire Umgang mit der Belegschaft. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren bei Einem gut, während die meisten Fabriken zur Kaiserzeit in Russland ihre enormen Gewinne auf Kosten der Arbeiter erwirtschafteten. In 15-Stunden-Schichten, von 4 Uhr früh bis 21 Uhr abends, dazwischen nur wenige Pausen, wurden die Beschäftigten unter unwürdigen Bedingungen ausgebeutet.
In der Süßwarenfabrik Einem wurden 10-Stunden-Tage eingeführt, es gab Schlafmöglichkeiten und saubere, helle Aufenthaltsräume und Speisesäle. In der Fabrik arbeitende Kinder – Kinderarbeit war damals üblich – bekamen zusätzlich eine schulische Ausbildung. Mit 20 Rubel und jährlichen Lohnsteigerung von je zwei Rubel, waren die Gehälter die höchsten, die in der Branche gezahlt wurden. Wer länger als 25 Jahre im Betrieb war, bekam eine silberne Medaille und eine Rente. Dies war für diese Zeit beispiellos und der Grund, warum viele Arbeiter sich nicht an der revolutionären Bewegung beteiligen wollten.
Die Einem-Schokoladenfabrik wurde nach der Oktoberrevolution 1917 verstaatlicht und in „Krasnyj Oktjabr” (zu Deutsch: Roter Oktober, zur Würdigung des Revolutionsmonats) umbenannt. Doch da der Name Einem bereits eine feste Größe in der Bevölkerung war, musste noch lange Zeit in Anzeigen der Zusatz „zuvor Einem” zugefügt werden.
Anders als viele Unternehmen, für die die Revolution den Ruin brachte, war die Schokoladenfabrik „Krasnyj Oktjabr” weiter erfolgreich und konnte selbst Rekorde aus der Kaiserzeit brechen. Während des Zweiten Weltkriegs konzentrierte sich die Fabrik auf die Herstellung von Waren für die Front. Diese Süßigkeiten für Piloten und Soldaten enthielten spezielle Zusätze und Vitamine, damit die Männer länger wach und bei Kräften blieben.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Fabrik privatisiert und in einer Holding zusammengefasst, die ehemalige Konkurrenten wie Babajewski und die Schokoladen- und Süßwarenfabriken Rot Front umfasst.
Es ist gelungen, die hohe Qualität der Waren sowohl vor als auch nach der Revolution zu bewahren und Schokoladen herzustellen, die untrennbar mit der russischen Kultur und Mentalität verbunden sind. Dutzende Produkte haben im Laufe der Jahre überlebt. Eine so reiche Geschichte und Tradition wäre ohne den vor 170 Jahren innovativen Marketingansatz und die Kreativität definitiv nicht möglich gewesen.
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