Wie das Russische Reich bei seinen letzten Olympischen Spielen 1912 abschnitt

Geschichte
RUSSIA BEYOND
Die Sommerspiele in Stockholm waren die letzten Olympischen Spiele, an denen das Russische Reich teilnahm. Erst vierzig Jahre später sollten wieder russische Athleten an den Start gehen. Dann aber unter der Flagge der Sowjetunion.

Die Geschichte der olympischen Bewegung im Russischen Reich ist recht kurz und endet vorhersehbar mit der Auflösung des Reiches selbst. Das Land hatte nur an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Nach dem Verzicht auf die ersten Spiele der modernen Geschichte in Athen im Jahr 1900 nahm Russland erstmals an den zweiten Spielen in Paris teil. 

Dann nahmen die russischen Sportler an den Spielen 1908 in London teil, wo der Eiskunstläufer Nikolai Panin die erste und einzige olympische Medaille für Russland gewann.

Und schließlich nahm Russland 1912 an den Spielen in Stockholm teil, die sich als seine letzten herausstellten. Hier sind einige Fotos der russischen Mannschaft bei den Olympischen Spielen vor 110 Jahren. 

Am 6. Juli 1912 fand die Eröffnungsfeier im Stockholmer Olympiastadion statt, das eigens für die Spiele gebaut worden war. Die schwedische Königsfamilie war zugegen, als alle Nationalmannschaften ins Stadion einmarschierten. Auf dem Bild sind die russischen Athleten bei der Eröffnungsfeier zu sehen.  

Die russische Mannschaft bestand aus 181 männlichen Athleten, von denen viele ursprünglich aus St. Petersburg, Estland und dem baltischen Gebiet Livland stammten, das damals zum russischen Reich gehörte. Gleichzeitig nahm Finnland, das ebenfalls zu Russland gehörte, separat an den Spielen teil.

Die Mannschaft wurde von Großfürst Dmitri Pawlowitsch von Russland, einem Cousin von Nikolaus II. angeführt. Der Prinz selbst nahm an den Reitwettbewerben der Spiele teil, sowohl im Einzel- als auch im Mannschaftsspringen. Später erlangte der Prinz als Mitverschwörer bei der Ermordung von Grigori Rasputin zweifelhaften Ruhm. 

Das russische Team schnitt bei den Spielen nicht besonders gut ab und gewann nur fünf Silber- und Bronzemedaillen, aber keine einzige Goldmedaille. Der Eiskunstlauf-Champion der Londoner Spiele, Nikolai Panin, nahm dieses Mal übrigens als Schütze teil und belegte nur den 8. Platz.

Der estnische Ruderer Mart Kuusik gewann Bronze im Skull-Einer, der lettische Sportschütze Haralds Blaus gewann Bronze im Trapschießen. Baus nahm zudem als Läufer an den Spielen teil. Eine weitere Bronzemedaille ging an eine Gruppe von sieben russischen Seglern (Esper Beloselski, Ernst Brasche, Karl Lindholm, Nikolai Puschnizki, Aleksandr Rodionow, Josef  Schomaker und Philipp Strauch). Im Segeln auf einer Zehn-Meter-Yacht belegten sie den dritten Platz und mussten sich nur Schweden und Finnland geschlagen geben.

Eine Silbermedaille gewann auch ein Team aus vier russischen Sportlern, Amos Kasch, Nikolai Melnizki, Grigori Panteleimonow und Pavel Woiloschnikow im 30-Meter-Schnellfeuerpistolenschießen.

Die russische Fußballmannschaft (Bild unten) belegte den 6. Platz und beendete den Wettbewerb nach einer 2:1-Niederlage gegen Finnland im Viertelfinale. Danach, im so genannten "Trostturnier", erlitt die russische Fußballmannschaft mit einer 0:16-Niederlage gegen Deutschland ihre bisher schwerste Niederlage in der Geschichte.

Doch eine Episode des russischen Teams bei den Olympischen Spielen 1912 ist es wirklich wert, erzählt zu werden! Ein estnischer Ringer namens Martin Klein gewann eine Silbermedaille, nachdem er im längsten jemals aufgezeichneten Ringkampf durchgehalten hatte. Er kämpfte gegen den amtierenden Weltmeister, den Finnen Alfred Asikainen, insgesamt 11 Stunden und 40 Minuten lang! 

Nach einer derart erschöpfenden Leistung konnte er am nächsten Tag nicht mehr antreten und verlor das mögliche Gold. Im Gegensatz zu anderen Athleten des Russischen Reiches setzte sich seine olympische Geschichte fort. 1919 wurde er Ringer-Trainer und bereitete estnische Ringer auf die Olympischen Spiele 1920 vor. 

Die schlechten Ergebnisse der russischen Athleten stellten Prinz Dmitri nicht zufrieden, und er plante, jährlich nationale Wettkämpfe zu veranstalten, um sich auf künftige Olympische Spiele vorzubereiten... In den folgenden beiden Jahren wurden zwei innerrussische Olympische Spiele veranstaltet, 1913 in Kiew und 1914 in Riga, die damals beide zum Russischen Reich gehörten.

Dann kam der Erste Weltkrieg, der alle Sportveranstaltungen verhinderte. Die nächsten Olympischen Spiele fanden 1920 in Antwerpen statt, aber Russland, das in die Revolution und den Bürgerkrieg verwickelt war, wurde nicht eingeladen, da die Welt die Macht der Bolschewiki nicht anerkannte. Die 1922 gegründete Sowjetunion beschloss ihrerseits, nicht an den „kapitalistischen" Sportwettbewerben teilzunehmen und veranstaltete ihre eigene „Spartakiade" für internationale Arbeiter und Kommunisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg  nahm die UdSSR an den Olympischen Spielen teil - 1952 fuhren sowjetische Sportler zu den Spielen in Helsinki.