Sind alle Russen Kommunisten?

Eine Kundgebung zum Jahrestag der Oktoberrevolution.

Eine Kundgebung zum Jahrestag der Oktoberrevolution.

Eugene Kurskov/TASS
Selbst zu Zeiten der Sowjetunion waren die meisten Menschen nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei.

Der Kommunismus hat das Leben vieler Generationen des russischen Volkes entscheidend geprägt. Die kommunistische Bewegung in Russland ging von verstreuten ideologischen Gruppen aus. Sie entwickelte sich zu einer offiziellen Staatsideologie, bevor sie, wenn auch nur für kurze Zeit, aus dem politischen Raum verbannt wurde. 

Der Geist des Kommunismus 

W.I. Uljanow unter den Mitgliedern der St. Petersburger

Da die Ideen von Marx zu dieser Zeit in Europa auf dem Vormarsch waren, war auch das Russische Reich nicht vor ihrem Einfluss gefeit. Diese Ideen verbreiteten sich in Russland ungehindert, da die herrschende Elite nicht versuchte, ihre Anhänger zu unterdrücken oder zu verfolgen. Einige wenige Zeitungen, die in den 1890er Jahren veröffentlicht wurden, propagierten den Marxismus, ohne dass dies zu Konsequenzen führte.  

Obwohl das zaristische Regime zu Beginn des neuen Jahrhunderts verstärkt gegen Kommunisten vorging, hielt es die Partei nicht davon ab, sich im Exil zu formieren. Die Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ein Vorläufer der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, wurde 1903 in Brüssel gegründet. Schon damals war der Kommunismus nur eine weitere Strömung in der politischen Landschaft des Landes. Später jedoch verbreitete sich der Kommunismus in Russland wie ein Lauffeuer. 

Obdachlose Kinder und Pioniere bei einer Demonstration zum 1. Mai.

Als die Rote Armee, die für die Bolschewiki kämpfte, die Oberhand gewann, wurde Russland allmählich zum wichtigsten Schauplatz des Weltkommunismus. Doch selbst in dem proklamierten kommunistischen Staat waren die meisten Menschen keine Mitglieder der kommunistischen Partei. 

Die Avantgarde 

Die 1936 verabschiedete Verfassung machte die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zwar freiwillig, zementierte die Partei aber auch offiziell im Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens in der Sowjetunion. 

Künstler Korentsow, Merkulow und Burakow. Poster

„Die aktivsten und bewusstesten Bürger aus den Reihen der Arbeiterklasse, der werktätigen Bauern und der werktätigen Intellektuellen sind freiwillig in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zusammengeschlossen, die die führende Sektion der Arbeiter in ihrem Kampf für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft ist und den führenden Kern aller öffentlichen und staatlichen Arbeiterorganisationen darstellt", hieß es in Artikel 126 der neuen sowjetischen Verfassung. 

In der Realität war jedoch nur ein kleiner Teil der sowjetischen Bevölkerung Mitglied der Kommunistischen Partei. 

„Einer der Slogans der Sowjetzeit lautete, dass die KPdSU die Avantgarde der Erbauer des Kommunismus sei. Das Schlüsselwort ist ‚Avantgarde‘ - was bedeutet, dass nur die Besten der Besten ausgewählt wurden. Es sollte klar sein, dass nicht jeder in die Partei aufgenommen wurde. Obwohl oft das Gegenteil behauptet wurde", so ein Bewohner der früheren UdSSR. 

Auf ihrem Höhepunkt in den späten 1980er Jahren zählte die Kommunistische Partei der Sowjetunion fast 20 Millionen Mitglieder. Zum Vergleich: In der Sowjetunion lebten zu dieser Zeit 286,7 Millionen Menschen. Das bedeutet, dass weniger als sieben Prozent der Bevölkerung Mitglied der Kommunistischen Partei war, obwohl sich das Land offiziell als kommunistischer Staat bezeichnete. 

Die Mitgliedschaft war schwer zu erlangen, versprach aber Chancen, die den meisten Sowjetbürgern verwehrt blieben. Die Kandidaten wurden sorgfältig ausgewählt; als Gegenleistung für ihr Engagement winkte Unterstützung bei der Karriere. 

„Formal hatten Kommunisten keine besonderen Rechte und Privilegien, aber in der Realität gab ihnen der Parteiausweis die Möglichkeit, schneller aufzusteigen, Verwaltungsposten in der Partei zu bekleiden und einige Vorteile vor anderen zu erhalten. Das heißt nicht, dass Nicht-Parteimitglieder nicht weit kommen konnten, aber bei der Überprüfung einer Personalakte wurde die Mitgliedschaft in der KPdSU vorrangig berücksichtigt", schrieb ein ehemaliger Bürger der UdSSR. 

Enttäuschung  

Trotz gewisser Privilegien vermieden manche Menschen bewusst eine Mitgliedschaft in der KPdSU. 

Denn diese war auch mit einigen schwerwiegenden Verpflichtungen verbunden. Ein Mitglied der KPdSU musste soziale und agitatorische Dienste leisten, die nicht bezahlt wurden. Oft investierte man einen großen Teil seiner persönlichen Zeit und viel Mühe, um diese Verpflichtungen zu erfüllen. Dafür erhielt man aber nur wenig Gegenleistung, da die größten Privilegien nur für die Crème de la Crème der sowjetischen Führungselite galten.  

Die Enttäuschung über die kommunistische Ideologie in der UdSSR wuchs mit der Zeit.  

„In den 1970er Jahren glaubten nur noch wenige Menschen an die [kommunistische Ideologie], aber es gab einige. Als ich an die Universität kam, war ich überrascht, mehrere solcher Studentinnen zu treffen. Unter unserem Einfluss haben sie sich schnell geändert.  Aber ich habe mich gefragt, wie sie so aufwachsen konnten", sagt Ludmila Nowikowa aus Moskau.  

Während sich die KPdSU durch die Aufnahme neuer Mitglieder vergrößerte, wurden immer mehr einfache Sowjetbürger von den verkündeten kommunistischen Slogans und der offiziellen Propaganda desillusioniert. Schließlich ging das goldene Zeitalter des Kommunismus in Russland mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 zu Ende. 

Verbotene Ideologie 

Panzer und Stadtbusse bilden eine Straßensperre vor dem russischen Weißen Haus während eines Putschversuchs 1991.

Nach einem gescheiterten Putschversuch politischer Hardliner, die Michail Gorbatschow gewaltsam die Kontrolle über das Land entreißen und die UdSSR in ihrer ursprünglichen Form wiederherstellen wollten, kam es im August 1991 in Moskau zu massiven antikommunistischen Protesten. Der Putsch scheiterte und führte zum Zusammenbruch der Kommunistischen Partei und in der Folge zur endgültigen Auflösung der UdSSR.  

Bald darauf verbot der erste Präsident Russlands, Boris Jelzin, die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) in Russland. Die Anhänger der kommunistischen Ideologie im modernen Russland organisierten sich in der neuen Kommunistischen Partei der Russischen Föderation neu. Die Partei ist nun im modernen Russland legal tätig. 

Obwohl die Zahl ihrer Mitglieder im Vergleich zur späten Sowjetzeit drastisch gesunken ist - 162.000 Mitglieder in den 2020er Jahren gegenüber 20 Millionen Mitgliedern in den 1980er Jahren - hat die Partei im Jahr 2021 57 von 450 Sitzen im Unterhaus des russischen Parlaments gewonnen und damit das zweitbeste Ergebnis nach der Regierungspartei erzielt.

Doch ihre Anhängerschaft ist überaltert. Durchschnittlich sind die Mitglieder 55,6 Jahre alt. 

Obwohl es heute in Russland noch einige engagierte Kommunisten gibt, bezeichnet sich der Großteil der russischen Bevölkerung nicht als Kommunisten.

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