Komsomol: Warum traten die Jugendlichen der kommunistischen Jugendorganisation bei?

Wladimir Granowski/Sputnik
In den 73 Jahren des Bestehens hatte die Organisation Komsomol über 160 Millionen Mitglieder. Brachte es jungen Menschen Ansehen oder Vorteile, sich in der sowjetischen Jugendorganisation zu organisieren?

Im Juni 1917, noch vor der bolschewistischen Revolution, schrieb Nadeschda Krupskaja, Lenins Frau, ein Statut der Union der arbeitenden Jugend Russlands, das in der bolschewistischen Zeitung „Prawda“ veröffentlicht wurde. Das Statut besagte, dass „alle Jungen und Mädchen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, in der Union der arbeitenden Jugend Russlands organisiert werden“.

Nadeschda Krupskaja

Ziel der Union war es, ihre Mitglieder darauf vorzubereiten, „freie, verantwortungsbewusste Bürger zu werden und rechtmäßige Teilnehmer an dem großen Kampf zu sein, den sie als Proletarier für die Befreiung vom Joch durch das Kapital führen werden.

Nach dem Statut von Krupskaja wurden in russischen Städten verschiedene kleinere Gewerkschaften organisiert. Der Komsomol wurde am 29. Oktober 1918 offiziell als russische kommunistische Jugendunion gegründet. Die Organisation änderte ihren offiziellen Namen mehrmals, war jedoch allgemein als „Komsomol“ (Kommunistitscheskij Sojus Molodjoschi) bekannt. Nach dem Statut von 1920 konnte jeder, der zwischen 14 und 23 Jahre alt war und die kommunistischen Ideale unterstützte, Mitglied werden. Was hat die Menschen dazu bewogen, sich der Organisation anzuschließen?

„Ich bin Komsomol-Mitglied. Fürchte dich und gehorche mir!“ 

Der Historiker Wladimir Ippolitow aus Tambow schrieb, dass seit Anfang der 1930er Jahre der Komsomol der Region Tambow zur Durchsetzung der Kollektivierung eingesetzt wurde, um den wohlhabenden Bauern ihre Ersparnisse und Lebensmittel mit demonstrativer Grausamkeit zu entziehen. „Die Enteignung der Besitztümer der Bauern, die Eigentum der Kolchosen werden sollten, erwies sich als reiner Raub. Komsomol-Mitglieder fühlten sich von den Behörden unterstützt und verhielten sich so, als ob ihnen die Dörfer gehörten. Im Bezirk Orlowski schlug ein Sekretär einer Komsomol-Zelle namens Semjonow eine Frau und sagte: ‚Ich bin ein Komsomol-Mitglied! Fürchte dich und gehorche mir!‘“

Die jungen Leute erhofften sich von der Mitgliedschaft im Komsomol häufig, eine Karriere im Sowjetstaat aufbauen zu können. Komsomol hatte eine riesige bürokratische Struktur, die der der Kommunistischen Partei ähnelte, und je höher man innerhalb dieser Hierarchie stand, desto größer waren die Chancen, auch in der Partei aufsteigen zu können. 

„Unsere Komsomol-Organisatorin in den 1970er Jahren im Moskauer Staatlichen Pädagogischen Institut wollte der Kommunistischen Partei beitreten, erzählt die Historikerin Dr. Galina Uljanowa aus Moskau. „In jenen Zeiten musste man Mitglied der Partei sein, um professionell als Historiker zu arbeiten, sonst konnte man nicht in die Archive gelangen!“ Eine gute Stellung innerhalb der Komsomol-Administration konnte wirklich hilfreich sein, den Weg in die Partei zu ebnen. 

Im Jahr 1926 wurde der Komsomol offiziell zum Gesamtsowjetischen Leninschen Kommunistischen Jugendverband umbenannt. Das Höchstalter der Mitglieder wurde auf 28 Jahre begrenzt. Komsomol-Funktionäre durften jedoch älter sein. Der monatliche Mitgliedsbeitrag betrug zwei Kopeken. Das entsprach damals dem Gegenwert einer Tüte Eis. 

Was taten die Komsomol-Mitglieder? 

Abgesehen vom Einsatz bei der Kollektivierung sollte der Komsomol seine Mitglieder auch weiterbilden. In den 1930er Jahren erhielten Tausende junger Menschen eine technische Grundausbildung, wobei die Komsomol-Organisation den Prozess kontrollierte. Dann machte man sich die Begeisterung der Mitglieder in Form von studentischen Bau-Brigaden zunutze. 

Komsomol-Organisationen jeder Hochschule bildeten eine Bau-Brigade, die in den Sommerferien verschiedene Aufgaben erledigte. In den 1930er Jahren waren diese Brigaden damit beschäftigt, beim Bau des Wasserkraftwerks Dnjepr oder der Moskauer U-Bahn mitzuwirken. In den 1970er Jahren waren sie noch am Bau der Baikal-Amur-Bahnstrecke beteiligt. Aber meist waren die Brigaden als Landwirtschaftshelfer unterwegs. 

Die Behörden wollten die jungen Menschen schon frühzeitig im Sinne der kommunistischen Ideologie beeinflussen. So hielt der Komsomol regelmäßige politische Treffen ab. Auch ein großer Teil der kulturellen Aktivitäten in Schulen und an Instituten wurde durch den Komsomol organisiert. „Wir haben auch alle wichtigen staatlichen Feiertage gewürdigt“, berichtet Tatjana Koroljowa, ein ehemaliges Komsomol-Mitglied. „Der 1. Mai, der 9. Mai und der 7. November waren unsere wichtigsten Feiertage. Am Morgen des Festtages gingen alle zur Arbeit, und dort stellten wir uns in Kolonnen auf und gingen anschließend zu einer kommunistischen Veranstaltung in der Innenstadt.“ 

Sowjetisches soziales Netzwerk 

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Komsomol-Mitglieder exponentiell. Im Jahr 1941 gab es etwa elf Millionen Mitglieder, bis 1969 wuchs die Organisation auf 24 Millionen und erreichte 1984 mit 42 Millionen Mitglieder ihren Höhepunkt.

Diese Zahlen bedeuteten jedoch nicht aktive Teilnehmer. Der Historiker Dr. Anatoliy Slesin aus Tambow hat ermittelt, dass der Komsomol bis 1957 64 Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von über 13 Millionen Exemplaren herausgegeben hat. Aber nur wenige lasen sie tatsächlich - nicht einmal die Komsomol-Funktionäre.

Für die meisten sowjetischen Jugendlichen war der Komsomol vor allem eine Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und Spaß zu haben. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die Komsomol-Mitgliedschaft nur zur Erreichung einiger einfacher Ziele verwendet.

„Ein Institutsmitarbeiter konnte nicht einfach zum Sicherheitsdienst kommen und sagen: ‚Gib uns die Schlüssel für die Halle, wir wollen einen Tanzabend organisieren‘, sagt Galina Uljanowa. „Ein Komsomol-Funktionär konnte das dagegen schon, indem er einen Kulturabend für Komsomol-Mitglieder anmeldete. Es gab dann zuerst einen ideologischen Vortrag, doch den ließ man über sich ergehen, um anschließend tanzen zu können. Die Ideologie nahmen nur die in den oberen Sphären der Komsomol-Struktur ernst, für alle anderen war Komsomol nur ein sowjetisches soziales Netzwerk.“

Ende der achtziger Jahre sank die Zahl der Mitglieder auf 35 Millionen - bis 1991 auf 26 Millionen. Die jungen Leute verloren das Interesse am Beitritt zum Komsomol, auch weil sich die Kommunistische Partei selbst zu diesem Zeitpunkt in einer tiefen Krise befand. Der Gesamtsowjetische Leninsche Kommunistische Jugendverband wurde im September 1991 endgültig aufgelöst.

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