Beliebter Zeitvertreib: So sah die sowjetische Disco aus (FOTOS)

Albert Puschkarew/TASS
Glorreiche Tage: Die Disco war zu Sowjetzeiten eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen, um sich auszutoben. Die vorgeschriebene Kleiderordnung, die allgegenwärtige Polizeipräsenz und die unvermeidlichen Kämpfe zwischen Betrunkenen wurden da fast zur Nebensache.

Für viele Bürger der Sowjetunion waren Diskotheken oder einfach „Tänze“ ein besonderer Zeitvertreib, an den sie sich bis heute gern erinnern, obwohl Nachtclubs inzwischen weitaus liberaler und für jedermann zugänglich sind und man keine großen Anstrengungen mehr auf sich nehmen muss, um zu guter Musik zu tanzen. Damals war es sehr schwer, hineinzukommen und bei dem Spaß mitmachen zu können, wovon es viel zu wenig gab. Es war ein großes Ereignis. 

Arkadi erinnert sich (rus) noch gut an die 1970er Jahren: „Wir mussten die Musikauswahl vorher treffen. Die Titel mussten wir übersetzen. Damals waren die Italiener angesagt mit „Felicita“. Dafür haben wir das Wort „Festra“ erfunden und es mit „Glück“ übersetzt. Hat funktioniert. 

„Acapulco“ war eine andere Geschichte. Der Schulleiter, der auch der Chemielehrer war, forderte einen Beweis, dass dies kein antisowjetischer Schlachtruf oder eine Art Nazi-Gruß war. Wir haben einen Atlas holen müssen, um es ihm zu beweisen.

Es gab zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mal einfache Schultanzveranstaltungen. Zuerst gab es die „Tanzflächen“, mit Live-Musik und der Atmosphäre eines vor-revolutionären Balles. Männer und Frauen kamen getrennt voneinander zusammen. Das Motto des Abends, die Reihenfolge, in der etwas stattfand, all das war im Voraus schon festgelegt. In den 1930ern und 1940ern kamen die Tanzabende auf. 

Die Veranstaltungen fanden in Kulturzentren und Freizeitclubs statt, im Sommer unter freiem Himmel in den Parks. 

Jeder Aspekt des sowjetischen Lebens war geregelt. Tanzveranstaltungen bildeten dabei keine Ausnahme. Tanzen in Arbeitskleidung oder Sportbekleidung war verboten. Auch durfte nicht auf eine unkonventionelle Weise getanzt werden (was auch immer das bedeutete). Der Tänzer musste alle seine Bewegungen formvollendet ausführen und in der richtigen Reihenfolge, erst das rechte, dann das linke Bein. Geraucht oder gelacht werden durfte nur in bestimmten Bereichen. So lauteten die Vorschriften (rus) für einen Tanzabend. 

Mit den 1960er Jahren und der Tauwetterpolitik wurde alles etwas freier. Das Stilbewusstsein nahm zu. Man rebellierte durch das Tragen heller und gewagterer Kleidung. Allerdings konnte es Männern mit langen Haaren und Schlaghose passieren, vom Tanz ausgeschlossen zu werden. Das gleiche Schicksal drohte Frauen, die „provokative“ Kleidung und Make-up trugen.

Der Veranstaltungsort wurde eingezäunt und es musste Eintritt gezahlt werden. Wer nicht bezahlen wollte, kletterte über den Zaun. Drinnen suchte die Polizei nach diesen „Illegalen“ und versuchte zudem, das Überklettern der Zäune zu erschweren, indem sie sie mit Öl beschmierten. 

In den 1970er Jahren sahen die Menschen so aus:

Die ersten Bands tauchten in der UdSSR auf - mit dem obligatorischen Präfix „VIA“ („Vokal-Instrumental-Ensemble“). Sie versuchten, die westliche Musik so weit wie möglich zu kopieren, waren aber doch selbst auch einzigartig. 

Es gab fast keine Fender- oder Gibson-Gitarren in der UdSSR (nur musikalische Eliten hatten sie, die durch spezielle Regierungsaufträge in Fremdwährung aus der Tasche des Staates bezahlt wurden). Viele „VIAs“ spielten sowjetische Instrumente, die aufgrund der oft schlechten Klangqualität als „Schaufeln“, „Paddel“, „Ruder“ oder „Brennholz“ bezeichnet wurden.  

Die Kommunistische Partei und die Verwaltung haben die Szene gründlich überwacht und stets nach „Propaganda der Promiskuität“ und anderen verbotenen Verhaltensweisen Ausschau gehalten, falls unerwünschte Botschaften in der Musik auftauchen sollten. Laut einem LiveJournal-Benutzer (rus) gab es zunächst keine dekadenten Lieder von Untergrundbands. „Ich erinnere mich nicht an alle Details, aber es gab ein paar Songs, die den Mädchen wirklich gefallen haben und die auf die schwarze Liste gesetzt wurden – „Girl in a Bar“ und „Remember, Girl?“.

Die Demokratisierung setzte ihren Marsch fort und in den 1980er Jahren erlebte die sowjetische Szene ein goldenes Zeitalter der Disco: Jede Schule, Fachhochschule und Universität des Landes hatte ihre eigenen Tanzveranstaltungen. Es gab nun Kassettenrekorder und andere Abspielgeräte.

Offiziell gab es zwar noch Zensur, doch wurde sie immer öfter ignoriert. Samoware und Teekannen enthielten oft hochprozentigen Alkohol. Häufig kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen (rus). „Man ging nie alleine in die Disco. Die Mädchen konnten zu zweit gehen, doch die Jungen waren immer in einer Gruppe unterwegs, falls es zu einem Kampf kommen sollte. Das passierte ziemlich oft. Angezettelt wurde der Streit meist von den Jungs aus dem Ort, in dem die Veranstaltung stattfand.“ 

Jeder wollte nun in die Disco. Der Moment der Gästeliste war gekommen. Einige der heißesten Veranstaltungen fanden im Intourist Hotel statt (wo ausländische Touristen übernachteten). Ein durchschnittlicher Sowjetbürger hätte es nie in die Bar geschafft. Sie wurde von verdeckten KGB-Ermittlern, Luxus-Callgirls und der „Nomenklatura“, den hohen Tieren der Kommunistischen Partei, besucht.

Gewöhnliche Menschen mussten weiter die Tanzabende in den Kulturzentren oder in der Dorfdisco besuchen, wo diese schon seit 40 Jahren stattfanden. Die fremde Kultur mit der coolen Musik war damals nicht mehr besonders oder kontrovers. Discos befeuerten den Schwarzmarkthandel. Westliche Kleidung und andere schwer zu beschaffende Gegenstände – Schallplatten, Jeans, ausländische Zigaretten – all das wurde buchstäblich unter dem Tisch verkauft. Discos waren zu einem Ort für frühe alternative Kultur sowie für den privaten Handel geworden.

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