Wie die furchtloseste sowjetische Fallschirmspringerin den Tod fand

Archivfoto; Georgy Lipskerow/MAMM/MDF/russiainphoto.ru
Ljubow Berlin nannte den Tag, an dem sie Stalin traf, den schönsten ihres Lebens. Sie wollte den „Vater der Nationen“ unbedingt beeindrucken und bezahlte dafür mit ihrem Leben.

Tollkühn

Ljubow Berlin (1915 - 1936), sowjetische Fallschirmspringerin.

„Man sagt, ich sei mutig. Wenn ich spät in der Nacht spazieren gehe, habe ich nicht die geringste Angst. Ich habe auch nie Angst vor Wasser gehabt. An jedem unbekannten Ort kann ich springen und schwimmen." So schrieb Ljubow Berlin über sich selbst - eine der besten sowjetischen Fallschirmspringerinnen und wahrscheinlich die furchtloseste unter ihnen.    

Seit Ljubow ihren ersten Fallschirmsprung im Alter von siebzehn Jahren absolviert hatte, war der Himmel ihr zweites Zuhause. Sie arbeitete als Schriftsetzerin bei der Zeitung „Prawda“ („Wahrheit") und verbrachte ihre gesamte Freizeit auf dem Flugplatz.

Nicht ein einziges Mal schwebte Berlin bei ihren Sprüngen aufgrund von Fehlkalkulationen oder eines plötzlichen Wetterumschwungs in Lebensgefahr: Sie landete in Bäumen oder auf Dächern und verfing sich einmal sogar in den Leitungen auf dem Dach eines Hochhauses - die Sportlerin wurde von Feuerwehrleuten gerettet, die sie durch ein offenes Fenster zogen. Dennoch wagte sie sich immer wieder furchtlos in die Lüfte.

Fallschirmspringerin Lyuba Berlin vor ihrem letzten Sprung auf dem Flugplatz Lyubertsy. Region Moskau. 26. März 1936.

Im Jahr 1935 sprang Ljubow als erste Frau im weltweiten Fallschirmsport aus einem Segelflugzeug. „Die Schwierigkeit beim Absprung aus einem Segelflugzeug besteht darin, dass man sehr vorsichtig aussteigen muss“, erinnerte sich Berlin: „Wenn man zu viel nachdenkt, macht man zwangsläufig etwas falsch. Jede Bewegung muss perfekt getimt sein.“    

Berlins Lieblingssprünge waren die weiten Sprünge, die sie aus 3.000 und 5.000 Metern übte. Der Fallschirm öffnete sich nicht sofort nach dem Verlassen des Flugzeugs, sondern musste nach einem kurzen freien Fall von Hand umgesteuert werden. Das war eine sehr gefährliche Tätigkeit, denn wenn der beschleunigte Sportler zu lange wartete, bestand die Gefahr, dass er ins Trudeln geriet und wie ein Stein auf den Boden fallen konnte. 

Ein Versprechen an Stalin

Josef Stalin (2. von links), Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, und Kliment Woroschilow (links), Volkskommissar für Verteidigung, im Gespräch mit Piloten und Fallschirmspringern auf dem Flugplatz von Tuschino.

Ljubow Berlin schrieb eine erstaunliche Erfolgsgeschichte im sowjetischen Fallschirmsport. Sie wurde eine wahre Meisterin ihres Fachs, entwickelte neue Sprungtechniken und brachte sie ihren Schülern bei.

Der Name der berühmten Sportlerin blieb in den Zeitungen präsent, und natürlich erfuhr auch der Kreml von ihr. Im Herbst 1935 hatte Ljubow die Gelegenheit, die Mitglieder der sowjetischen Regierung und den „Vater der Nationen", Josef Stalin, bei ihrem Besuch im Zentralen Aero-Club in Moskau persönlich kennenzulernen.

„Ich werde diesen Tag immer als den glücklichsten in meinem Leben in Erinnerung behalten“, so die Fallschirmspringerin. „Als Genosse Stalin mir die Hand schüttelte, war mir das sehr peinlich. Aber der sanfte Blick des Führers, sein zärtliches, väterliches Lächeln haben mir sofort alle Angst genommen.“ 

In diesem Moment versprach die verzauberte Ljuba, dem Führer einen neuen Rekord aufzustellen. Das Versprechen sollte sie das Leben kosten. 

Der schicksalhafte Tag

Der Sprung von Luba Berlin aus dem Pravda-Flugzeug beim Tuschino Air Festival.

Am 26. März 1936 traf Ljubow Berlin mit ihrer Kollegin Tamara Iwanowa, die sie ihre „Fallschirmschwester“ nannte, auf dem Flugplatz von Ljubertzy ein. Die Mädchen waren bester Laune, lachten viel und scherzten.

Ihre Aufgabe bestand darin, aus 5.000 Metern Höhe abzuspringen, 80 Sekunden lang zu fallen und aus 1.000 Metern Höhe wieder aufzutauchen. Doch allem Anschein nach hatten sich die Sportlerinnen mehr vorgenommen. 

Der Korrespondent der Zeitung „Roter Sport“, Lazar Brontman, der auf dem Flugplatz anwesend war, schrieb in sein Tagebuch: „Später erinnerten sich Fotografen daran, dass Iwanowa, nachdem sie ins Flugzeug gestiegen war, fröhlich lachte und rief: ‚Weiter als 100 Meter werde ich mich nicht entfalten!‘“ Wenn das stimmt, dann war offensichtlich die Überlegung, dass Kamnewa in 250 Metern Höhe über dem Boden, Jewsejewa in 200 Metern und Jewdokimowa in 150 Metern Höhe ihre Fallschirme öffnen würden.   

Berlin erklärte ihrerseits: „Dies wird mein 50. Sprung sein - ein Rekord und ein Jubiläum in einem. Ein gemeinsamer Bekannter gab ihre Bitte weiter, ihr zu helfen, nach dem Flug einen Brief an Stalin zu schreiben, in dem stand, dass das Versprechen eingelöst worden war.

Das Flugzeug mit den Athleten hob in den Himmel ab, aber die Zuschauer sahen nie die Fallschirme am Himmel. Bald darauf wurden die Leichen von Berlin und Iwanowa, 400 Meter voneinander entfernt, mit halb geöffneten Fallschirmen auf einem schneebedeckten Feld gefunden. Die medizinische Untersuchung ergab, dass sie fast jeden Knochen gebrochen hatten. 

Iwanowas Stoppuhr war intakt geblieben und zeigte 91,7 Sekunden an. Aus nicht bekannten Gründen zog sie den Auslösering des Fallschirms fast 12 Sekunden nach der geplanten Zeit, nur 200 Meter über dem Boden.

Beerdigung der Fallschirmjägerinnen Ljuba Berlin und Tamara Iwanowa. Moskau. 28. März 1936.

Am 29. März nahmen einige tausend Menschen an einer Abschiedszeremonie für die Fallschirmspringer im Haus der Druckerei in Moskau teil. Stalin erschien nicht. 

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