Wie Russland 1812 Napoleon besiegte (BILDER)

Geschichte
BORIS JEGOROW
Die Franzosen glaubten, dass die Einnahme Moskaus ihnen den Sieg im Krieg gegen Russland bringen würde. Es stellte sich aber heraus, dass die Stadt zum Grab für die „Grande Armée“ werden sollte.

1. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 1812 entdeckte eine Abteilung des Kosakenregiments der Leibgarde, die an der Grenze zum Russischen Reich am Fluss Neman in der Nähe von Kowno (heute Kaunas) patrouillierte, dass eine Kompanie französischer Pioniere an Land ging. „Wer da?“, rief ihnen ein russischer Offizier auf Französisch zu. „Frankreich“, antworteten Soldaten im Flüsterton. „Was wollt ihr hier?“, fuhr der Russe fort. „Das werdet ihr schon sehen, verdammt!“ Auf diese trotzige Antwort hin feuerten die Kosaken der Leibgarde eine Salve auf die Pioniere ab und zogen sich zurück. Damit endete das erste Scharmützel im Vaterländischen Krieg von 1812.

2. Napoleon hoffte, dass der Feldzug in Russland schnell voranschreiten würde. Vor allem wollte der Kaiser Russland wieder in das System der Kontinentalblockade einbinden, mit dem Frankreich versuchte, England wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. 

3. Die „Grande Armée“, die in das Russische Reich einmarschierte, zählte über 400.000 Mann. In den folgenden Monaten wurden sie durch Reserven in Höhe von 200.000 verstärkt. 

4. Drei zusammengewürfelte russische Armeen mit einer Gesamtstärke von 230.000 Mann stellten sich dem Aggressor entgegen. Um eine von Bonaparte angestrebte große Schlacht zu vermeiden, zogen sie sich planmäßig tief ins Land zurück. Am 3. August schlossen sich die 1. und 2. Westliche Armee bei Smolensk zusammen. Der amtierende Oberbefehlshaber Prinz Barclay de Tolly wollte den Rückzug fortsetzen, sah sich aber unter dem Druck der Öffentlichkeit gezwungen, den Franzosen eine Schlacht zu liefern. Nach zwei Tagen des Widerstands wurde Smolensk aufgegeben.

5. Bereits zu diesem Zeitpunkt schien der Russlandfeldzug für die „Grande Armée“ kein Spaziergang mehr zu sein. Auf dem Vormarsch nach Moskau unter der Führung von  Napoleon hatte das Hauptheer in Scharmützeln mit den russischen Truppen ständig schwere Verluste erlitten. Das Korps von Marschall Jacques MacDonald, das bis zur Hauptstadt des Reiches vorgedrungen war, konnte nicht einmal Riga einnehmen. Gleichzeitig weitete sich der Volkskrieg als Reaktion auf die französische Brutalität rasch aus.

6. Eine „fliegende“ Partisanentruppe aus Husaren und Kosaken operierte hinter den feindlichen Linien. „Der vorherrschende Gedanke der Partisanen jener Zeit sollte sein, den Feind zu bedrängen, zu stören, zu plagen, zu entwurzeln und sozusagen mit kleinem Feuer zu verbrennen, ohne zu zögern und ohne nachzugeben“, schrieb Denis Dawydow, der Kommandeur einer dieser Abteilungen, in seinem Tagebuch der Partisanenaktion.

7. Michail Kutusow, der am 17. August Barclay de Tolly als Oberbefehlshaber ablöste, teilte im Allgemeinen die Strategie seines Vorgängers – den Feind aufzureiben und sich dann tief ins Land zurückzuziehen. Die Öffentlichkeit verlangte jedoch nach einer großen Schlacht und am 7. September trafen die Russen und die Franzosen im Dorf Borodino, 125 Kilometer von Moskau entfernt, aufeinander.

Nach einer der blutigsten Schlachten in der Geschichte des 19. Jahrhunderts blieben 80.000 Menschen auf dem Schlachtfeld zurück. Keiner der beiden Seiten gelang es, einen entscheidenden Sieg zu erringen. Napoleon bemerkte später: „Die Schlacht von Borodino war die schönste und furchterregendste; die Franzosen haben sich des Sieges würdig erwiesen, und die Russen haben es verdient, unbesiegbar gewesen zu sein“.   

8. Kutusow verstand, dass die russische Armee einer neuen Schlacht nicht standhalten könne. Am 13. September wurde auf einem Kriegsrat im Dorf Fili beschlossen, sich zurückzuziehen und die Hauptstadt dem Feind zu überlassen. „Mit dem Verlust von Moskau ist Russland nicht verloren. Die erste Aufgabe besteht meines Erachtens darin, die Armee zu retten“, erklärte der Oberbefehlshaber. 

9. Nach der Besetzung Moskaus wartete Napoleon auf die Emissäre Alexanders I. mit Friedensvorschlägen. Stattdessen wurde er von einem schrecklichen Feuer begrüßt, das drei Viertel der Holzgebäude der Stadt zerstörte. „Was für ein schrecklicher Anblick! Sie haben das Feuer selbst gelegt.... Welche Entschlossenheit! Was für Männer! Das sind Skythen!“, äußerte Napoleon, als er vom Kreml aus das wütende Feuermeer betrachtete.  

Die einst „große“ Armee, die gezwungen war, in Moskau untätig zu bleiben, zerfiel schnell durch Trunkenheit und Plünderungen. Da er sich mit den Russen nicht einigen konnte und das Angebot seiner Befehlshaber, in der Stadt zu überwintern, ablehnte, verließ Napoleon mit seinen Truppen die Stadt am 19. Oktober.

10. Die Franzosen beabsichtigten, nach Südwesten in Richtung Kaluga durchzubrechen, wo sich die Lebensmittelvorräte der russischen Armee befanden. Am 24. Oktober trafen sie in der kleinen Stadt Malojaroslawjetz auf die Truppen von Kutusow, die ihnen den Weg abschneiden sollten.

Obwohl die Stadt den Franzosen überlassen wurde, konnten diese aufgrund der hohen Verluste nicht weiter vorrücken. Napoleon schwenkte auf die von seinen Truppen bereits verwüstete Straße nach Smolensk ein. 

11. Mehrere russische Armeen folgten dem sich zurückziehenden Feind in einigem Abstand. Nicht eine Minute lang ließen die „fliegenden“ Partisaneneinheiten die Franzosen in Ruhe.

Mitte November gelang es den russischen Truppen in der Nähe der Stadt Krasnyj, das Korps des Prinzen Eugène de Beauharnais und der Marschälle Louis-Nicolas Davout und Michel Ney abzuschneiden und zu besiegen. Die Franzosen hatten 10.000 Tote und weitere 26.000 Verwundete zu verzeichnen. 

12. Am 24. November näherte sich die 80.000 Mann starke französische Armee (von der nur die Hälfte waffenfähig war) dem Fluss Beresina. Dahinter verlief der direkte Weg zur Grenze des Russischen Reiches und zum Herzogtum Warschau, das mit Napoleon verbündet war. 

„Jeder kümmerte sich nur noch um seine persönliche Selbsterhaltung“, erinnert sich der Offizier Vionnet de Marengonet, „die Fesseln der Disziplin waren endgültig geschwächt, es gab keine Ordnung mehr.“  

13. Die vorrückenden russischen Armeen versuchten, den Franzosen eine Falle zu stellen, doch dem Kaiser, seinem Stab, der Garde und einem Teil der Truppen gelang es dennoch, nach Westen durchzubrechen. Die anderen hatten weniger Glück: Etwa 50.000 Soldaten wurden bei den Kämpfen getötet, gerieten in Gefangenschaft oder ertranken im kalten Wasser der Beresina.

Die „Grande Armée“ hat aufgehört zu existieren. Die russischen Truppen mussten ganz Europa durchqueren und in Paris einmarschieren, bevor der französische Kaiser schließlich auf den Thron verzichtete.