Am 20. April 1945 marschierte die 3. Sowjetische Gardepanzerarmee in einen kleinen Ort namens Wünsdorf ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Kommandozentrale der Wehrmacht, die 1943 vor den Luftangriffen auf die Reichshauptstadt hierher geflohen war, wurde von der Roten Armee nahezu unbeschadet aufgefunden. Als sich die Sowjets näherten, verließen die Nazis Wünsdorf in aller Eile.
Nach der Kapitulation Deutschlands lag die Stadt in der sowjetischen Besatzungszone. Sie war verwüstet und bedurfte einer grundlegenden Sanierung. Gleich nach dem Kriegsende erfolgte der Ausbau von Wünsdorf zum Hauptquartier des Oberkommandos der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, kurz GSSD genannt.
Noch 1937 war streng geheim mit dem Bau von Bunkeranlagen in Wünsdorf begonnen worden. Eine davon war ein Hochbunker der Bauart Winkel, dessen spitzes, steil abfallendes Dach eine geringe Angriffsfläche für Bomben bieten sollte. Fast alle Bauten dieser Art überstanden die 78 Minuten dauernde Bombardierung der US Air Force am 15. März 1945. Der Zeppelin-Bunker blieb unzerstört und wurde von der Sowjetarmee in Betrieb genommen. Bis zum Abzug 1994 befanden sich hier unter dem Decknamen Ranet die Fernsprechzentrale und der Befehlsstand des Kommandeurs der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Über die verbliebenen Bunker gibt es zahlreiche Geschichten, die unter ehemaligen Wünsdorf-Einwohnern noch heute weit verbreitet sind.
„Es gab zwei Falltüren in unserem Korridor, direkt im Haus. Von dort kam oft ein dumpfes Geräusch. Die Männer (Mieter des Hauses) versuchten herauszufinden, was das für ein Klopfen war. Sie öffneten die Luken und versuchten, hinunterzugehen, aber es ging nicht, es war sehr tief. Sie sagten, dass sich in unserem Haus das deutsche Hauptquartier befand und dass die Gänge unter den Luken nach West-Berlin führten. So hat sich mir das Gespräch der Erwachsenen eingeprägt. Damals war ich ein kleines Mädchen. Ich weiß nicht, was davon wahr oder unwahr ist. Aber das Rumpeln unter der Erde direkt im Haus war beängstigend. Normalerweise begann es am Geburtstag von Adolf Hitler (ich erinnere mich auch daran nur aus den Gespräche der Erwachsenen, ich selbst hatte wenig Ahnung von solchen Daten)“, teilt eine der ehemaligen Einwohnerin ihre Erinnerungen im sozialen Netzwerk VKontakte mit.
Wünsdorf verfügte über großflächige Sporthallen und ein Schwimmbad. Hier trainierten deutsche Sportler für die Olympischen Spiele 1936. Aus derselben Zeit stammten auch eine Konzerthalle, eine Bäckerei, prachtvolle Villen und eine Vielzahl Exerzierplätze zum Marschieren.
Nach dem Ende des Krieges fingen die sowjetischen Soldaten mit der Wiederbelebung der Stadt an. Aus Sicherheitsgründen wurde das Areal in fünf streng voneinander getrennte Zonen bzw. „Städtchen“ aufgeteilt. Jede Garnison hatte Verkaufseinrichtungen, Wohnblöcke, Kasernen, einen Sportplatz und sollte ein eigenes „Haus der Offiziere“, also ein Kulturhaus, haben. Dort fanden wichtige Veranstaltungen statt. Es gab Räume für die Truppenteile und neben der gastronomischen Infrastruktur auch Räume für die kulturelle Freizeitgestaltung der Offiziere und deren Familien. Zu diesem Zweck wurde Anfang der 50er Jahre die ehemalige Offizierssportschule der Wehrmacht umgebaut. Aus vier Turnhallen wurde ein großer Saal für Feierlichkeiten und offizielle Empfänge sowie ein Theater mit Foyer und großer Bühne. Der Nordflügel wurde durch ein Restaurant, ein Café und einen Kinosaal ergänzt. Im Südflügel wurde das 1916 erbaute Schwimmbad renoviert und aus der ehemaligen Offizierskantine wurde das Haus der Pioniere. Es beherbergte Räume für Arbeitsgemeinschaften, eine Bühne für Theateraufführungen sowie einen internationalen Verein namens Freundschaftshaus. Auch ein Museum wurde dort eingerichtet. Das kostbarste Stück war das Diorama Schlacht um Berlin. Das Museum wurde bis zu seiner Schließung von über 600.000 Gästen besucht.
Einer der Einwohner, der in Wünsdorf Mitte 80er als Militärarzt diente, erinnert sich nostalgisch an diese Zeit: „Mich überraschte die Disziplin, das frühe Aufstehen im Morgengrauen. Ich würde meinen, wir haben uns vieles von den Deutschen abgeschaut. Letztlich hatten wir ein Territorium zu teilen und waren unvermeidlich Nachbarn. DDR-Bürger und -Soldaten besuchten öfters das Haus der Offiziere, wo wir ganz normale Gespräche führten und auch Freundschaften knüpften.“ Vieles bringt ihn heute noch zum Lachen: „Es gab reichlich Sportveranstaltungen und Auftritte, bei denen ich mitgemacht habe. Meine zwei Töchter und meine Frau waren auch dabei. Wenn ich an Feiertagen bei einem Marsch mitmachte, schrien die Wünsdorfer Kinder ‚Doktor! Doktor!‘ zu mir.“
Man baute neue Wohnhäuser, Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und alles, was zum anständigen Wohnen dazugehört. 1979 wurde in Wünsdorf ein Fernsehzentrum errichtet, das Sendungen des zentralen sowjetischen Fernsehens übertrug. Für die Weiterleitung wurden die TV-Satelliten Ekran verwendet.
Im ehemaligen Ärztehaus sicherte ab 1974 eine Luftraumkoordinierungsstelle mit der DDR den gesamten militärischen und zivilen Flugbetrieb, die sogenannte Vereinte Hauptzentrale 14. 1977 wurde ein Bahnhof zur Direktverbindung nach Moskau geöffnet.
Wünsdorf war Heim für mehrere Tausend Offiziere aus der Sowjetunion. Sie lebten hier maximal fünf Jahre lang. Dann mussten sie den Standort wechseln. Der Aufenthalt in der DDR war finanziell vorteilhaft und diente immer der Karriere.
Von 1945 bis 1994 führten die insgesamt 16 Oberkommandierenden eine Streitmacht von rund 400.000 Mann. Wenn man die Ausschreitungen in Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen auslässt, gilt diese Periode als die sicherste Zeit in Europa. Der letzte Generaloberst, Matwej Burlakow, kam im Dezember 1990 nach Wünsdorf, um den Abzug möglichst zügig und reibungslos abzuwickeln.
Die Geschichte des Ortes endet damit nicht. Heute soll auf den 25 Hektar der Wünsdorf-Waldstadt eine Öko-Modellstadt entstehen. Das Projekt heißt Eco City Wünsdorf. Nach dem Konzept werden Menschen, die nachhaltig leben und sich selbst versorgen wollen, in Orangerien und Gewächshäusern Obst, Gemüse und Kräuter anbauen können. Dafür eignen sich die offenen Flächen der ehemaligen Garnison. Aus der Panzerhalle sollen Lehrwerkstätten, Eigenbetriebe und eine Berufsschule werden. Daneben werden Wohnungen, ein interkulturelles Zentrum und ein Forschungszentrum gebaut. Bei diesem Projekt könnten auch die Erinnerungen an den Ort von Ex-Offizieren an den Ort zugutekommen. Denn sie denken an den Ort als kleine Heimat zurück und kennen noch jede Ecke in Wünsdorf.