Wer sind die altrussischen mythologischen Gestalten Sírin, Alkonóst und Gamajún (FOTOS)?

Wiktor Wasnezow / Die Staatliche Tretjakowgalerie / Public Domain
Warum war es ein schlechtes Zeichen, Sírin zu treffen? Warum wurden weibliche Vögel mit nackten Brüsten abgebildet? Wir erzählen von Kreaturen aus mittelalterlichen slawischen Legenden.

Im vorchristlichen Russland hatte das Bild des weiblichen Vogels mehrere Bedeutungen und war in der heidnischen Vergangenheit verwurzelt. Einige hielten es für Glück, diesen Wesen zu begegnen, andere glaubten, dass ihnen ein Unglück bevorstünde. Sírin, Alkonóst und Gamajún sind die Namen, die ihnen in der slawischen Mythologie zugeordnet werden. Sie sehen aus wie Vögel mit weiblichen Gesichtern, spielen aber verschiedene Rollen. Worin genau bestehen die Unterschiede?

Der Legende nach sind Sírin und Alkonóst Vögel aus dem slawischen Paradies Irij, in dem die höheren Götter wohnten. Sie sind in der Lage, sich zwischen den Welten zu bewegen, so dass sie sich manchmal in der irdischen Welt wiederfinden. Beide haben bezaubernde, magische Stimmen, die einen Menschen in Trance versetzen und sogar in den Wahnsinn treiben können.

Sírin und Alkonóst. Vögel der Freude und des Leids, 1896, Viktor Vasnetsov

Für die Slawen waren Sírin und Alkonóst Inkarnationen des Gottes Weles – der zweitmächtigsten Gottheit im slawischen Pantheon. Mit der Zeit wurde Sírin zur Verkörperung der dunklen Seite der Gottheit und Alkonóst zur Verkörperung der hellen Seite. Deshalb werden Sírin und Alkonóst oft gemeinsam als unzertrennliche Vögel der Freude und des Leids dargestellt.

Der Vogel Alkonóst, der Paradiesvogel Sírin.

Die Vögel unterschieden sich durch ihr Aussehen: Alkonóst wird sehr oft mit weiblichen Armen dargestellt (an der Taille ist sie ein Mann, aber mit Vogelflügeln und Vogelkrallen); Sírin wird als Vogel dargestellt, aber nur mit einem weiblichen Gesicht.

Kupferstich, Russland, ca. 1840.

Man glaubte auch, dass ihr Gesang von einer besonderen Art sei. Während das Singen der Alkonóst keinen Schaden anrichtete und Freude bereitete, konnte das Singen der Sírin manchmal zerstörerisch auf den Menschen wirken. Beim Hören ihrer Stimme vergisst man alles in der Welt und verliert seinen Willen, fällt in Trance und kann den Übergang in eine andere Welt schaffen, das heißt, einfach den Verstand verlieren oder sterben. Aus diesem Grund sagt der Volksglaube, dass die Sírin Angst vor lauten Geräuschen hat, und um sie zu erschrecken, läuten die Menschen Glocken und blasen das Horn.

Forscher glauben, dass die Sirenen aus der griechischen Mythologie der Prototyp von Sírin war, denn ihre Beschreibung ähnelt stark dem Verhalten jener Kreaturen, die Seeleute in den Tod locken. Doch mit dem Aufkommen des Christentums erhielt das heidnische Bild eine Bedeutung, die besser zu dem neuen religiösen Paradigma passte.

Es sind nur wenige Abbildungen des paradiesischen Vogels mit nackten Brüsten erhalten geblieben. Dieses Bild gilt als eher archaisch und verweist auf die Zeit, als der Animismus – die Verehrung der Naturkräfte – weit verbreitet war. In dieser Form wurde die Kreatur als weiblich und als Verkörperung der Nährmutter der gesamten menschlichen Rasse interpretiert. Durch den antiken griechischen Einfluss wurde sie jedoch im Laufe der Zeit verändert.

Alkonóst dagegen ist einem anderen griechischen Mythos entlehnt, dem Mythos von Alkyone. Demnach stirbt der Ehemann Alkyones während eines Sturms und sie stürzt sich vor lauter Trauer ins Meer. Doch die Götter hatten Erbarmen mit ihr und verwandelten sie in einen tapferen Vogel. Das Auftauchen des Wortes Alkonóst wird auf einen Fehler in der Übersetzung der Legende von Alkyone zurückgeführt.

Bemalte Holzlöffel aus der Sammlung der Moskauerin Lilia Richter.

Die Bilder der magischen Vogelfrau waren in der Volkskunst sehr beliebt. Ihr Bildnis findet sich auf allen Alltagsgegenständen, von Truhen über Spinnräder bis hin zu Schlitten. In diesem Zusammenhang wirkten die Kreaturen jedoch im Gegenteil als Amulette gegen das Unglück.

Sírin und Alkonóst ähneln stark einem anderen Vogel aus dem Paradies – Gamajún. In der Rus war sie als prophetischer Vogel bekannt und galt als Bote der Götter. Die Menschen glaubten, dass Gamajún alles über die Vergangenheit und die Zukunft wusste, aber nur diejenigen, die ihre Vogelsprache verstehen konnten, vermochten, ihre Weissagungen zu verstehen. Jedenfalls glaubten die Slawen, dass der Schrei der Gamajún bereits ein gutes Zeichen sei.

Baba-Jaga und die Weibsvögel. Eine Illustration zu einem russischen Märchen, 1902

Die Ursprünge ihres Bildes liegen in der iranischen Folklore, und zwar in dem mythischen Vogel Huma bzw. Simorgh.

Gamajún , ein prophetischer Vogel, 1898, Wiktor Wasnezow.

Das relativ moderne Bild der Gamajún stammt von Wiktor Wasnezows Gemälde Gamajún, der Vogel der Verheißung aus dem Jahr 1897, in dem der Künstler einen schwarz geflügelten Vogel mit einem schwermütigen weiblichen Gesicht „ohne jede Königswürde“ und mit kindlichen Zügen darstellte.

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