Warum ist Russland das Heimatland der Elefanten?

Kira Lisitskaya (Photo: Konstantin Kokoshkin/Global Look Press; Pixabay)
Wie ein surrealer Ausdruck den neuen politischen Kurs verkörperte und was er wirklich bedeutet – wir erzählen Ihnen von den Ursprüngen dieser populären Redewendung.

Wenn Sie in den späten 40er und 50er Jahren in der Sowjetunion gelebt hätten, wären Sie mit Nachrichten über die Erfindungen der Russen in dieser Zeit überschüttet worden: Fast jeden Tag hörten die Sowjetbürger von einem anderen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt ihrer Landsmänner. Irgendwann, wenn Sie in Ihrer Küche gesessen und an einem Kombucha-Tee genippt hätten, wäre Ihnen erzählt worden, dass Russland die Heimat der Elefanten ist.

Was bedeutet das?

Einer Version zufolge tauchte der Ausdruck erstmals in den 1940er Jahren in der Sowjetunion auf, als die Innen- und Außenpolitik der UdSSR einen anderen Kurs einschlug: Nach dem Krieg, als die Vereinigten Staaten und der kollektive Westen als Verbündete angesehen wurden, vollzog der sowjetische Staat eine scharfe Wende hin zur Suche nach einem neuen Feind – in den eigenen Reihen.

Diese Zeit wird in der Geschichte als Kampagne gegen den Kosmopolitismus bezeichnet – die Fokussierung der Behörden auf die Suche nach „antipatriotischen“ Tendenzen in Kunst, Wissenschaft und öffentlicher Meinung. Diese Ideologie beinhaltete, dass Verehrer des Westens identifiziert und aus den öffentlichen Strukturen entfernt werden sollten, während die eigenen Errungenschaften ständig hervorgehoben werden mussten. Von 1948 bis 1953, also bis zum Tod Josef Stalins, führten die Kommunisten eine massive Propagandakampagne für die „wissenschaftliche und technologische Überlegenheit der Sowjetunion“ durch, die wie jede Propaganda u. a. auf Geschichtsfälschungen beruhte.

So wurde beispielsweise behauptet, dass der Bauer Artamonow aus dem Ural bereits um 1800 das Fahrrad erfunden hat, so dass die Russen unbestreitbar sich diese Erfindung zuschreiben können. Oder dass der erste Pionier der Luftfahrt ein gewisser russischer Beamter Krjakutnyj (eine – wie sich später herausstellte – fiktive Figur) war und nicht etwa die französischen Brüder Montgolfier.

In derselben Kampagne wurde Bezeichnungen, die auf eine ausländische Herkunft hindeuteten, massenhaft russifiziert: Französisches Baguette wurde in StädtischesBaguette umbenannt, aus Wiener Semmeln wurde einfaches Gebäck, der aus dem Deutschen stammende Begriff Gandboll (Handball) wurde ins Russische übersetzt und lautete nun Rutschnój mjátsch, der französische Ringkampfstil wurde zum klassischen, das Schweizer Ringen zum Gürtelringen usw. Der Ausdruck Russland ist das Land der Elefanten ist also die Überspitzung des Wunsches, alle möglichen Entdeckungen und Phänomene dem eigenen Land zuzuschreiben.

Eine andere Version

Einer anderen Version zufolge ist die Formulierung über die Heimat der Elefanten angeblich spanischen Ursprungs. „Der Ausdruck Russland – Heimatland der Elefanten wurde im 18. Jahrhundert von einem spanischen Reisenden erfunden, der auf diese Weise das Fazit seines Besuchs der Petersburger Kunstkammer zog, in der er Überreste von Mammuts gesehen hatte“, so der sowjetische Mathematiker Wladimir Arnold.

Im modernen Sprachgebrauch wird der Ausdruck Heimatland der Elefanten auch in einem weiteren Sinne verwendet: Er bezieht sich nicht unbedingt auf die UdSSR oder Russland, sondern auch auf andere Länder oder Organisationen, die sich selbst auf irgendeinem Gebiet eine ungerechtfertigte Führungsrolle zuschreiben.

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