Warum hatte Stalin zwei Geburtsdaten?

Geschichte
RUSSIA BEYOND
Eine genaue Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht, aber wir werden die wichtigsten Versionen vorstellen, darunter auch die okkulte.

Josef Stalin ist wahrscheinlich der einzige Staatschef des 20. Jahrhunderts, dessen genaues Geburtsdatum bis heute noch nicht geklärt ist. Wobei sein offizieller Geburtstag – der 21. Dezember 1879 – jedem Sowjetbürger bekannt war.

Zum „kanonischen“ Geburtsdatum ist der 21. Dezember nach 1929 geworden, als das Land den Jahrestag von Joseph Stalin feierlich beging. Der 60. Jahrestag wurde 1939 nicht offiziell gefeiert, aber die Zeitungen waren voll von Glückwünschen und Lobeshymnen. Die Feierlichkeiten erreichten 1949 ihren Höhepunkt, als Stalins 70. Geburtstag mit ausgefallenen Geschenken, ausländischen Delegationen, einer großen Festveranstaltung im Bolschoi-Theater und anderen wesentlichen Attributen zur Befriedigung der immensen Eitelkeit des Führers gefeiert wurde.

Absichtliche Verschleierung

1990 veröffentlichte die Zeitschrift Mitteilungen des Zentralkomitees der KPdSU einen Bericht: Im Messbuch der Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale von Gori ist vermerkt, dass am 6. Dezember 1878 den Bauersleuten Wissarion Iwanowitsch und Jekaterina Gawrilowna Dschugaschwili ein Sohn Joseph geboren wurde. Aber der 6. Dezember ist nach der neuen Zeitrechnung, dem Gregorianischen Kalender, der 18. Dezember. Die Diskrepanz zum offiziellen Datum beträgt ein Jahr und drei Tage!

Das gleiche Geburtsdatum (6. Dezember 1878) findet sich auch in Joseph Dschugaschwilis Abschlusszeugnis des Theologischen Seminars in Gori und in einem Vermerk der G endarmerieabteilung des Gouverneurs von St. Petersburg aus dem Jahr 1911 über Stalins „Unzuverlässigkeit“. Außerdem füllte Stalin 1920 persönlich einen Fragebogen der schwedischen Zeitung Folkets Dagblad Politiken (dt.: Politisches Tagesblatt des Volkes) aus, die in Stockholm erschien. Auch hier stand als Geburtsdatum 1878.

Gleichzeitig heißt es in der gleichen Veröffentlichung der Mitteilungen des Zentralkomitees der KPdSU, dass Stalin 1922 persönlich biografische Informationen über sich herausgegeben hat, die sein Sekretär Iwan Towstucha an die Historiker der Partei schickte. Towstucha fügte der Bescheinigung einen Vermerk bei: „Die beigefügten biografischen Informationen wurden von Genosse Stalin persönlich überprüft und korrigiert.“ Das Geburtsjahr in dieser Quelle ist 1879. Außerdem geben seine Sekretäre in vielen Fragebögen, die in Stalins Auftrag für ihn als Delegierten aller Parteikongressen ausgefüllt wurden, ab 1921 das Geburtsjahr 1879 an.

Ein Tippfehler, ein Irrtum oder Okkultismus?

Die erste Version, die mir in den Sinn kommt: Stalin hat in seiner Jugend sein Alter um ein Jahr herabgesetzt, damit er nicht zur Armee eingezogen wurde. Es ist jedoch bekannt, dass Stalin ein Einzelkind war und nach dem frühen Tod seines Vaters der Ernährer seiner Mutter blieb und somit die sogenannte Vergünstigung 1. Klasse – die Befreiung von der Wehrpflicht – genoss.

Dass Stalin seine Geburtsdaten überhaupt änderte, war für Revolutionäre auf der Flucht üblich. Als Josef Dschugaschwili 1910 als Mitglied der RSDRP in Baku verhaftet und für 5 Jahre nach Sibirien verbannt wurde, lautete sein Geburtsjahr in den Akten 1880. Aber wie wir gezeigt haben, begann Stalin viel später, in den 1920er Jahren, als er bereits einer der Führer des Landes war und niemand ihn verfolgte, sein Geburtsjahr bewusst zu ändern.

Wenn wir davon ausgehen, dass sich ein Schreibfehler in die Dokumente eingeschlichen hat, ist es unerklärlich, warum Stalin selbst 1920 in dem Fragebogen der schwedischen Zeitung als Geburtsjahr 1878 und im Jahre 1922 in einer Bescheinigung wieder 1879 angab.

Stalins Enkel, Alexander Burdonskij, entlarvte 2007 in einem Interview mit der ukrainischen Publikation Gordons Boulevard die Legende, Stalin sei der angebliche Sohn von Nikolai Przewalskij: „Ich glaube nicht, dass das stimmt. Vielmehr geht es um etwas anderes. Stalin war von den Lehren des religiösen Mystikers Gjurdschijew angetan. Dieser schlug vor, dass die Menschen ihre wahre Herkunft verbergen und sogar ihr Geburtsdatum verschleiern sollten. Die Legende von Przewalskij hat natürlich Wasser auf diese Mühle gegossen.“

Über persönliche Kontakte zwischen Stalin und Georg Gjurdschijew sind keine verlässlichen Informationen überliefert, außer dass sie am selben Theologischen Seminar in Tiflis studiert haben. Allerdings ist auch Gjurdschijew genaues Geburtsdatum unbekannt und es existieren mehr als drei verschiedene Versionen.