Die künftigen Baumeister des Kommunismus: Wie Kinder in der UdSSR erzogen und gebildet wurden

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Die Sowjets wollten, dass jedes Kind zu einem vollwertigen und für das Land nützlichen Mitglied der neuen kommunistischen Gesellschaft heranwächst.

Während in der Zarenzeit die Kinder meist innerhalb der Familie erzogen und unterrichtet wurden, legten die Sowjets diese Aufgaben in staatliche Hand. Dies war besonders in einem Klima tiefer gesellschaftlicher Spaltung wichtig. In ein und derselben Familie trafen nicht selten revolutionäre und konterrevolutionäre Ansichten aufeinander. Dem Kind sollte unbedingt die richtige – und zwar eine von der elterlichen unabhängige – Weltanschauung vermittelt werden. Außerdem war das Bildungsniveau eines Großteils der Bevölkerung sehr niedrig, sodass es darum ging, die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung herauszulösen und ihnen soziale Aufstiegschancen zu ermöglichen. Schließlich waren die Kinder die zukünftigen „Baumeister“ des Kommunismus.

Schulen im zaristischen Russland

Vor der Oktoberrevolution 1917 lag die Erziehung der Kinder in erster Linie in der Verantwortung der Familie. Es war den Eltern überlassen, ob sie ihr Kind zu Hause unterrichten oder es in die Schule schicken wollten. In Dörfern, in denen es viele Kinder gab, übernahmen oft die Älteren die Erziehung und Betreuung der Jüngeren, und alle waren von klein auf mit Feldarbeit und der Pflege des Viehbestandes beschäftigt.

Arme Eltern konnten ihre Kinder z. B. einem Handwerker als Lehrlinge „überlassen“ und sie damit praktisch einer sklavenähnlichen Situation aussetzen. In der Literatur werden viele solcher Beispiele beschrieben (so in Maxim Gorkis „Unter fremden Menschen“ („W ljudjach“), Anton Tschechows „Wanka“).

Auch bestand im Russischen Reich keine Schulpflicht, obwohl es seit den 1880er Jahren Bestrebungen gab, eine solche einzuführen. Zwar wurden fortwährend neue Schulen gegründet, die Verantwortung für die Organisation des Bildungswesens (und der Großteil der Unterhaltskosten) aber lag bei den einzelnen Regionen, den Ujesds und Gouvernements. Diese lösten die entscheidenden Fragen für sich, ein einheitliches Kontrollsystem gab es nicht. Auch fehlten einheitliche Lehrpläne. Jeder Lehrer legte nach seiner Erfahrung und Ausbildung selbst fest, was und wie er unterrichten wollte.

Von der Kinderkrippe bis zur Schule - das staatliche Bildungssystem

In der sowjetischen Ära wurde erstmals in der russischen Geschichte die Verantwortung für die allgemeine Erziehung und Bildung der Kinder öffentlichen Regeln unterstellt. Wie und unter welchen Bedingungen ein Kind aufwächst, war von nun an nicht mehr Sache der Familie, sondern des Staates. Schließlich ging es um nicht weniger als die Formung eines neuen Mitglieds der sowjetischen Gesellschaft, eines künftigen „Baumeisters“ des Kommunismus. Ihm mussten die richtigen Werte vermittelt werden, er sollte gesund, gebildet und leistungsfähig sein, um in Zukunft für das Wohlergehen der Allgemeinheit arbeiten zu können.

In der sowjetischen Gesellschaft war das Leben eines Kindes von seinen ersten Lebenstagen an geregelt. Die Fürsorge begann sogar noch früher: Der erste Schwangerschaftsurlaub der Welt wurde in der UdSSR eingeführt. Arbeitgeber waren verpflichtet, der Frau vor und nach der Geburt eine Beihilfe zu zahlen und für ihr Fernbleiben von der Arbeit zu sorgen, um die Gesundheit von Mutter und Kind nicht zu gefährden.

Wenn das Baby 1 oder 2 Monate alt war (diese Zeitspanne variierte von Jahr zu Jahr, in den späten 1960er Jahren betrug sie ein Jahr), ging die Frau wieder zur Arbeit, wo sie alle drei Stunden eine Pause zum Stillen einlegen durfte. In den Fabriken gab es Kinderkrippen, und stillende Mütter verließen für kurze Zeit ihren Arbeitsplatz, um zu ihren Babys zu gehen. Dort bekamen die Mütter vor jedem Stillen ein warmes Milchgetränk und eine Mahlzeit. Diese Regelung schaffte für die berufstätige Frau eine noch die dagewesene Sicherheit - schließlich musste sie zuvor ihren Arbeitsplatz wegen der Geburt ihres Kindes aufgeben, was völlige Armut bedeuten konnte.

Die sowjetische Propaganda bemühte sich auch um die Verbreitung von Informationen darüber, wie ein Kind versorgt werden sollte, damit es gesund bleibt, und auf welche Hygienemaßnahmen zu achten ist. Auf diese Weise bekämpften die sowjetischen Behörden die Kindersterblichkeit und beugten verschiedenen Krankheiten vor (sowohl des Kindes als auch der Mutter).

Nach der Krippe wurden die Kinder ab dem dritten Lebensjahr in einen kostenlosen Kindergarten und ab dem sechsten Lebensjahr in die Schule geschickt. Erstmals wurde in Russland, direkt nach der Revolution im Jahr 1918, ein Gesetz über die verpflichtende (und kostenlose) Schulbildung verabschiedet. Gegen Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schickten, wurden Verwaltungsstrafen verhängt (im äußersten Fall konnte den Eltern sogar das Sorgerecht entzogen werden).

Jedem Kind sollte das Wissen vermittelt werden, das es braucht, um ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. In der Zarenzeit genossen nur die Kinder wohlhabender Eltern eine gute Ausbildung und hatten dementsprechend Aussichten auf eine glänzende Karriere. Das Sowjetregime schaffte Institutionen, die auch den Kindern einfacher Arbeiter und Bauern eine gute Ausbildung und berufliche Aufstiegschancen ermöglichten (so etwa waren nach Lenin alle sowjetischen Machthaber Emporkömmlinge aus dem „einfachen Volk“).

Der Kampf gegen Verwahrlosung

In der Zarenzeit blieben Straßenkinder oft sich selbst überlassen. Zwar wurden Waisenhäuser eröffnet, manchmal mit öffentlichen Geldern, manchmal aus privaten Spenden, aber hauptsächlich war die Betreuung von Waisenkindern Sache der Kirche. In den Dörfern wurden Waisenkinder von Verwandten betreut.

Nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere nach dem Russischen Bürgerkrieg waren viele Kinder verwaist, und offiziell gab es etwa 7 Millionen Straßenkinder (von denen nur etwa 30 000 in Waisenhäusern lebten). Viele Kinder wuchsen buchstäblich „auf der Straße“ auf, stahlen und bettelten und wurden schließlich zu ausgewachsenen Kriminellen.

Der Staat übernahm das volle Sorgerecht für Straßenkinder, die unter seiner Kontrolle standen. Diese Kinder wurden „geprüft“ und registriert, um sie mit Unterkunft, Nahrung und Kleidung zu versorgen. Man richtete eine spezielle Kinderkommission ein, und es wurden zahlreiche Heime und Bildungseinrichtungen eröffnet.

Spezielle Einsatzkräfte arbeiteten an Bahnhöfen und auf der Schiene, wo sie Straßenkinder „einfingen“, medizinisch behandelten, mit Nahrung versorgten und in ein Heim einwiesen. Im Jahr 1924 befanden sich bereits 280 Tausend Kinder in Heimen.

Neue Unterrichtssysteme

Die Sowjetzeit brachte auch neue Pädagogen hervor, die ein neues Schulsystem von Grund auf zu entwickeln hatten. Besonders berühmt wurde Anton Makarenko. Ausgehend von einer Kolonie für jugendliche Straftäter entwickelte er ein System zur Umerziehung schwer erziehbarer Kinder, das er in den allgemeinen Bildungseinrichtungen einführen wollte. Makarenko erläuterte seine Prinzipien in seinem „Pädagogischen Poem“ (Pedagogitscheskij poem), und sein Name wurde in Russland ebenso berühmt und bedeutungsvoll wie der Name Montessori in einer Reihe westeuropäischer Länder und den USA.

In den Schulen alten Stils hatte der Lehrer eine autoritäre Macht über die Kinder. Makarenkos Hauptprinzip dagegen war es, die Kinder in die „gemeinsame Sache“ einzubeziehen (z. B. durch einfache Arbeiten wie Aufräumen eines Klassenzimmers), um sie für den Grundgedanken zu gewinnen, dass jeder für sich und für den anderen verantwortlich ist. Auf diese Weise wurde die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Gemeinwohl gelenkt und es fühlte sich wichtig und gebraucht. Darüber hinaus bekannte sich Makarenko zu den Grundsätzen der „Demokratie“ in der Schule - alle Kinder hatten ein Recht, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, hielten Schülerversammlungen ab, wählten einen Sprecher und übernahmen „Bürgschaften“ für Neuankömmlinge oder die Jüngsten. Gleichzeitig maß er der Disziplin eine hohe Bedeutung zu und schreckte nicht davor zurück, schuldige und ungehorsame Schüler zu bestrafen.

Auch der sowjetische Pädagoge Viktor Soroka-Rosinskij verfolgte das Prinzip der Demokratie, der Selbständigkeit und sogar der Selbstverwaltung. Er gründete die Dostojewskij-Schulkommune, deren Absolventen Grigori Belych und L. Pantelejew das unter gleichem Titel in der Sowjetunion verfilmte Kultbuch „Republik SchKID“ schrieben und ihre Schule damit international berühmt machten.

Kommunistische Erziehung

Ende der 1920er Jahre war der Aufbau des sowjetischen Bildungssystems abgeschlossen. Seine Chefideologin war Nadjeschda Krupskaja, die Frau von Wladimir Lenin und stellvertretende Kommissarin für Bildung.

„Die Schule darf nicht nur Bildungsinhalte vermitteln, sondern muss das Zentrum der kommunistischen Erziehung sein“, so ihre Überzeugung. Auf diese Weise sollte die Erziehung „die heranwachsende Generation zu einem bestimmten Menschentypus führen“. Krupskaja lehnte einige Lehrsätze der Methode Makarenkos und anderer Pädagogen ab, befürwortete aber auch manche Prinzipien, etwa das der Selbstverwaltung oder der Patenschaft bestimmter Schüler für andere.

Im Jahr 1922 initiierte Nadjeschda Krupskaja die Gründung einer Pionierorganisation in der UdSSR, die aus der 1908 unter Nikolaus II. gegründeten russischen Pfadfinderbewegung hervorging. Das Pionierwesen war von der Form her pfadfinderisch geprägt, seine ideelle Ausrichtung aber war streng kommunistisch.

Die jungen Pioniere wurden im Geiste der „Hingabe an das sowjetische Vaterland, des proletarischen, sozialistischen Internationalismus, der bewussten Einstellung zur Arbeit und zum öffentlichen Leben, der Aneignung der geistigen Kultur und der Ablehnung von allem, was der sozialistischen Lebensweise fremd war“, erzogen.

Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler trat ab dem 10. Lebensjahr der Pionierorganisation bei. Im Wesentlichen vermittelte die Pionierorganisation den Kindern moralische und ethische Normen (was vor der Revolution Aufgabe der Kirche war): gut zu lernen, ehrlich und fleißig zu sein, die Alten zu achten. Der Geist der Kameradschaft und der gegenseitigen Hilfe wurde besonders gefördert, unter anderem waren die stärkeren Schüler angehalten, den schwächeren zu helfen.

Die Pioniere übernahmen auch Patenschaften für ältere und einsame Menschen, sammelten Altpapier und nahmen aktiv am Leben des Landes teil. „Die Ikone und das Symbol der Pioniere (abgesehen von dem roten Halstuch) war Wladimir Lenin: Die Pioniere zogen mit seinen Porträts umher und legten Blumen an seinen Denkmälern nieder. Vor der seiner Aufnahme bei den Pionieren wurde ein Kind im Alter von 7 Jahren in den Stand der „Oktoberkinder“ eingeweiht und erhielt ein Abzeichen mit dem Porträt des jungen Wladimir Lenin. Das Motto der Pioniere lautete: „Immer bereit!“, für die Sache der Kommunistischen Partei der UdSSR zu kämpfen.