Russia Beyond (Photo: MAMM/MDF; Yakov Berliner/Sputnik)
https://russiainphoto.ruZu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war alles Französische beim russischen Adel hoch angesehen. Ins verschneite Russland brachte man aus Paris nicht nur französische Romane und Hüte, sondern auch Delikatessen. Besonders schätzten die Adelshäuser die französischen Schaumweine aus der Champagne. Sogar der Held des Romans „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin trank „Veuve Clicquot“ und „Moët“. So wurde der französische Schaumwein zum festen Bestandteil des Alltagslebens der Adeligen und aufgrund seines hohen Preises zu einem Symbol für Luxus, Vergnügen und guten Geschmack. Seine Sorten wurden in Russland schließlich unter dem Begriff „Schampanskoje“ zusammengefasst.
Schaumweine im Allgemeinen waren in Russland keine Besonderheit: Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde am Don ein Wein mit dem Namen „Zimljanskoje“ hergestellt. Das rubinfarbene spritzige Getränk war bekannt und beliebt. Natürlich hatte der „Zimljanskoje“ nicht die Qualität eines französischen Sekts, aber er war erschwinglicher. In Puschkins Roman Eugen Onegin zum Beispiel wird „Zimljanskoje“ beim Abendessen der armen Gutsbesitzerfamilie Larin serviert.
„Zimljanskoje“-Wein
Archive photoFür die Herstellung des einheimischen Schaumweins wurden zwei Sorten schwarzer Trauben geerntet, unter Abdeckungen bis zur ersten Kälte getrocknet, dann gemahlen und zur Gärung gebracht. Der Wein wurde nicht vollständig vergoren in Flaschen abgefüllt.
Zahlreiche Weinbauer versuchten, in Russland eigenen Schaumwein herzustellen, der dem Champagner ebenbürtig wäre, aber keiner von ihnen hatte Erfolg. Die erste Produktion wurde Anfang des neunzehnten Jahrhunderts von Peter Simon Pallas auf der Krim aufgenommen, aber nach Bekanntwerden betrügerischer Machenschaften eingestellt. Der neue Weinbauer brachte einfach französische Etiketten auf die Flaschen an, was aber die Qualität des Weins nicht verbesserte. Fürst Woronzow versuchte ebenfalls, russischen Sekt herzustellen, aber seine Weinberge überlebten den Krimkrieg 1853-1856 nicht. Letztendlich nahm Fürst Lew Golizyn sich des Vorhabens an, allerdings ebenfalls nicht mit nachhaltigem Erfolg.
Fürst Golizyn stammte aus einer wohlhabenden Adelsfamilie und besaß eine hervorragende Ausbildung. Auf seinen Reisen nach Europa machte er sich mit dem französischen Weinbau vertraut und entdeckte sein Talent als Winzer (von Golizyn hieß es, dass er die Rebsorte anhand der Blattform oder des Duftes eindeutig bestimmen konnte). So reifte in ihm die Idee, einen russischen Schaumwein zu entwickeln, der mit dem französischen Champagner vergleichbar wäre. Im Jahr 1878 erwarb er das Landgut „Nowyj Swjet“ auf der Krim, wo er etwa 600 Rebsorten anpflanzte. Golizyn wusste, welche Sorten die französischen Weinbauern für Champagner verwendeten, diese aber waren für das russische Klima und die Böden nicht geeignet. Dieselbe Rebsorte kann auf unterschiedlichen Böden einen völlig anderen Geschmack und eine andere chemische Zusammensetzung der Früchte erzeugen. Daher wählte der Fürst persönlich jene Sorten aus, die sich am besten für die Herstellung eines hochwertigen Getränks unter den Bedingungen der Krim eigneten.
Fürst Lew Golizyn
Public domainDer erste Sekt aus Golizyns Produktion konnte Anfang der 1880er Jahre verkostet werden und war so erfolgreich, dass er sich innerhalb von nur 10 Jahren einen guten Ruf bei Hofe erwarb. 1891 ernannte ihn Alexander III. zum Chefwinzer der Ländereien des Reichs auf der Krim und im Kaukasus. Im Jahr 1900 gewann Golizyns Wein auf der Weltausstellung in Paris den „Grand Prix“ und stellte damit alle französischen Champagnerweine in den Schatten.
Landgut „Nowyj Swjet“
Public domainGolizyn war ein hervorragender Winzer, aber ein schlechter Geschäftsmann. Trotz des enormen Erfolgs seines Sekts ging er 1905 in Konkurs. Der berühmte russische Journalist und Schriftsteller jener Zeit, Wladimir Giljarowskij, beschrieb Golizyn später folgendermaßen: „Er warf mit Geld um sich, verweigerte niemandem etwas, schon gar nicht den Studenten, eröffnete an der Twerskaja-Straße in Moskau einen Laden, in dem er Weine aus seinen ausgezeichneten Weinbergen „Nowyj Swjet“ auf der Krim verkaufte und reinen, natürlichen Wein für fünfundzwanzig Kopeken (unglaublich billig) pro Flasche anbot. ‚Der Arbeiter, der Handwerker und der kleine Diener sollen guten Wein trinken!‘, lautete Golizyns Devise.
Nach einiger Zeit fand sich mit Anton Frolow-Bagrejew für Golizyns Geschäft ein würdiger Nachfolger. Nach dem Abschluss seines Studiums an der Universität St. Petersburg mit Auszeichnung war er im Besitz von Empfehlungsschreiben des großen russischen Chemikers Dmitrij Mendelejew (Entdecker des Periodensystems der chemischen Elemente) und machte sich auf den Weg nach Europa, um dort sein Wissen in der Praxis zu verfeinern. In Frankreich und Portugal vertiefte er sich in die Herstellung verschiedener Weinsorten und kehrte 1905 nach Russland zurück, wo er in Abrau-Djurso am Schwarzen Meer Chemiker für die Sektherstellung wurde. Im selben Jahr rollte eine Protestwelle durch das Land, die erste russische Revolution brach aus. Die Demonstranten forderten größere bürgerliche Freiheiten, bessere Arbeitsbedingungen und eine Begrenzung der Macht des Zaren. Frolow-Bagrejew beteiligte sich an den Arbeiterprotesten in Abrau-Djurso und unterzeichnete eine Petition gegen die Monarchie, wofür er nach Sibirien verbannt wurde.
Anton Frolow-Bagrejew
Die Verbannung dauerte jedoch nicht lange, denn schon 1906 war er als Weinchemiker auf der Krim tätig, und erwarb ab 1911 zahlreiche Orden und Auszeichnungen. Im Jahr 1919, unter der neuen Regierung, übernahm Frolow die Leitung der Sektherstellung in Abrau-Djurso.
Nach der Revolution waren im Werk keinerlei Informationen über die frühere Produktionstechnik erhalten geblieben, sodass Frolow sie von Grund auf neu entwickeln musste. Die ersten Muster waren erst 1923 fertig. Die Flaschengärung mit klassischer Technik dauerte lange und machte den Sektgenuss zu einem teuren Vergnügen, der für die meisten Menschen unerschwinglich war. Dies hängt mit der Reifezeit des Sekts zusammen - nach dem traditionellen Verfahren wird der Wein in Flaschen abgefüllt, mit Zucker und Hefe versetzt, verkorkt und 9-12 Monate lang gelagert, wobei die Hefe Kohlendioxid abgibt und das Getränk prickelnd wird. Aufgrund des langen Reifeprozesses ist eine massenhafte Herstellung unmöglich und der Preis hoch.
Robert Diament/MAMM/MDF
https://russiainphoto.ru/search/photo/years-1840-1999/?index=5&paginate_page=1&query=шампанское&page=1Frolow machte sich daran, ein Verfahren zur schnelleren Flaschengärung zu entwickeln und erzielte damit Mitte der 1930er Jahre schließlich einen Durchbruch. Der Sekt wurde nicht mehr in Flaschen, sondern in speziellen Behältern hergestellt, in denen er etwa einen Monat lang gärte. Dieses Verfahren wurden später zur Herstellung des berühmten „sowjetischen Sekts“ (sowjezkoje schampanskoje) verwendet. Der Name sorgte für einen Skandal: Als man versuchte, den „sowjetischen Champagner“ nach Frankreich zu exportieren, reagierten die dortigen Hersteller empört auf die Verwendung des Wortes „Champagner“.
Der Streit ums das Recht russischer Schaumweine, als „Champagner“ bezeichnet zu werden, ist bis heute nicht beigelegt. Eines ist unbestreitbar: Frolow-Bagrejew hat den Sowjetbürgern einen qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Wein beschert, dessen Herstellungsverfahren heute u. a. in Frankreich genutzt wird.
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