Russland hatte seinen eigenen wilden Goldrausch – noch vor Amerika

Goldwäsche in Schalen.

Goldwäsche in Schalen.

МАММ/МDF
Der sibirische Goldrausch endete in einem Massaker, das das Russische Reich erschütterte.

Mord in Sibirien

1827 erreichte zwei reiche russische Kaufleute aus dem Ural – Andrej und Fjodor Popow – das Gerücht, dass irgendwo in Sibirien ein altgläubiger Bauer namens Jegor Lesnoj in der Nähe des Flusses Suchoj Berikul in der Provinz Tomsk in Sibirien Gold gefunden habe.

Die Kaufleute schickten ihren Abgesandten zu Lesnoj, doch dieser konnte keine Informationen über den Verbleib des Goldes herausfinden. Daraufhin beschlossen die Popows, dem Mann persönlich ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen konnte. Sie machten sich auf den Weg zu Lesnoj, mussten aber feststellen, dass der Mann einige Zeit zuvor erdrosselt worden war.

Die Händler gaben nicht auf und baten Lesnojs Stieftochter, ihnen zu zeigen, wo der Mann zu Lebzeiten hinging. Die junge Frau willigte ein und zeigte den Kaufleuten die Stelle, an der ihr verstorbener Stiefvater die Erde umgegraben hatte. Als die Popows seine Arbeit untersuchten, erkannten sie, dass es in Sibirien tatsächlich Gold gab.

So begann die Geschichte des Goldrausches in Russland

Goldrausch

Zu diesem Zeitpunkt hatte die russische Regierung bereits private Bemühungen um den Abbau von Gold in allen Regionen des riesigen Reiches genehmigt. Ein Dekret des Senats aus dem Jahr 1812 gab allen russischen Untertanen das Recht, Gold- und Silbererze zu suchen und abzubauen, sofern sie dafür Steuern an die Staatskasse zahlten. Je nach Region und Jahrzehnt schwankte die Steuer zwischen 5 und 40 Prozent des Gesamtumsatzes.

Waschen von goldhaltigem Sand. Foto von Prokudin-Gorskij, Ural, Bezirk Berjosowskij, Anfang des 20. Jahrhundert.

Wenige Monate nach der Entdeckung von Andrej und Fjodor Popow erkundeten die Kaufleute das Land in der Nähe der Nebenflüsse und gründeten dort zahlreiche Minen. Im ersten Betriebsjahr förderten sie etwa ein Pud (die traditionelle russische Maßeinheit – ca. 16,38 Kilogramm) Gold, im darauffolgenden Jahr bereits vier, im übernächsten sechzehn und so weiter. Die Produktion wuchs exponentiell und die Gerüchte über den reichen sibirischen Boden verbreiteten sich im ganzen russischen Reich.

Große russische Industrielle und Kaufleute strömten nach Sibirien, aber auch Myriaden von armen Draufgängern, die vom großen Reichtum träumten. Der sibirische Goldrausch begann.

Stinkreich

In den goldenen Jahrzehnten des sibirischen Goldrausches, die von den frühen 1830er bis in die 1850er Jahre dauerten, verdienten die wichtigsten Akteure mit dem Goldabbau in Sibirien ein Vermögen.

Goldsucher auf Sachalin waschen goldhaltigen Sand.

Einige der Kaufleute machten schnell viel Geld und bekamen die einmalige Gelegenheit, ihre verrücktesten Träume zu verwirklichen. Dann brach die Hölle los.

Nikolai Mjasnikow, einer der erfolgreichen Minenbetreiber, soll seine Visitenkarten aus purem Gold hergestellt haben. Ein ehemaliger Leibeigener namens Tit Sotow, der mit dem Goldschürfen ein Vermögen gemacht hatte, soll ein ganzes Jahr lang die Hochzeit seines Sohnes gefeiert haben. Während der wilden Feierlichkeiten gab es so viel Champagner, dass die Leute ihn zum Waschen von Pferden und zum Füllen von Badewannen für Jungfrauen verwendeten.

Ein anderer Bergmann namens Gawrila Mascharow ließ über acht Kilogramm schwere Medaillen aus massivem Gold gießen, um sich selbst den Titel Kaiser der Taiga zu verleihen. Als ob das nicht schon genug gewesen wäre, befahl Mascharow auch noch, seine Seidenunterwäsche in Pariser Wäschereien waschen zu lassen, obwohl er selbst nie in Frankreich gewesen war.

Goldhaltiger Sandabbau am Fluss Beryozovka. Foto von Prokudin-Gorskij. Ural, Bezirk der Stadt Berjosowskij, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bis 1836 ließ Mascharow eine pompöse Villa in der Taiga errichten, in der er seine Zeit in verglasten Galerien und einem Gewächshaus verbrachte, in dem Ananas wuchsen. Der exzentrische Lebensstil endete jedoch so abrupt, wie er begonnen hatte, als Mascharow für Bankrott erklärt wurde, da er nicht in der Lage war, seine zahlreichen Gläubiger zu bezahlen.

Die Hölle auf Erden

Für die regulären Arbeiter, die aus verschiedenen Teilen des Russischen Reiches angeworben wurden, war das Leben in den Minen von unmenschlichen Bedingungen geprägt.

Die Bergbauunternehmen rekrutierten eine große Zahl von Menschen, indem sie ihnen ein Gehalt anboten, das um ein Vielfaches höher war als das eines durchschnittlichen Fabrikarbeiters in Moskau. Außerdem erhielt jeder, der sich bereit erklärte, nach Sibirien zu gehen, um dort für die Bergbauunternehmen zu arbeiten, einen Vorschuss von 135 Rubel, was dem halben Jahreslohn eines Moskauer Arbeiters entsprach.

Goldwaschen durch Bergleute aus Abfallhalden.

Die Menschen eilten in die Minen, aber die Realität war für die meisten von ihnen viel zu grausam. Sie arbeiteten zwölf Stunden am Tag und ruhten sich in kalten und überfüllten Baracken aus. Im Winter standen die Arbeiter knietief im Wasser, da die gefrorenen Böden und Gesteinsschichten mit Hilfe von Feuern geschmolzen wurden. Da sie nach der Schicht mehrere Kilometer – oft in nasser Kleidung und bei eisigen Temperaturen – zu den Baracken zurück laufen mussten, griffen Krankheit und Tod bei den Arbeitern um sich.

Im Februar 1912 brach in den Bergwerken ein massiver Streik aus, der dadurch ausgelöst wurde, dass einigen Minenarbeitern Gammelfleisch zum Mittagessen serviert wurde. Bis März 1912 wuchs die Zahl der Demonstranten auf bis zu 6.000 Menschen an. Die Arbeiter forderten unter anderem bessere Lebensbedingungen, vernünftiges Essen, höhere Löhne, einen kürzeren Arbeitstag und die Entlassung von 25 Mitarbeitern der Bergwerksverwaltung.

Die Proteste endeten in einer Tragödie, die das gesamte Russische Reich erschüttern sollte. Am 17. April 1912 eröffneten Soldaten das Feuer auf die Arbeiter, wobei nach unterschiedlichen Angaben 150 bis 250 Menschen getötet wurden. Ein Foto des Massakers wurde der Presse zugespielt und erreichte St. Petersburg, was eine Untersuchung der Regierung sowie massive Proteste im ganzen Land auslöste.

Opfer der Erschießung an der Lena (die Fotos wurden offenbar vom Stationsvorsteher der Gromowski-Minen aufgenommen, von Rt. Treschtschenko beschlagnahmt, aber aufbewahrt und veröffentlicht).

Nach der Russischen Revolution und dem Bürgerkrieg monopolisierte die neue Sowjetregierung in den 1930er Jahren den Goldabbau und beendete damit die Ära des russischen Goldrausches für immer.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!