Wie der Mord an Stalins Freund den „Großen Terror“ in der UdSSR auslöste

Joseph Stalin and Sergej Kirow.

Joseph Stalin and Sergej Kirow.

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Josef Stalin nahm die Ermordung von Sergej Kirow unter seine persönliche Kontrolle. Er hat auch die Namen der vermeintlichen Haupttäter den Ermittlungsbehörden untergeschoben.

Am 1. Dezember 1934 ereignete sich in Leningrad ein Mord, der die Sowjetunion schockierte. Sergej Kirow, der erste Sekretär des Leningrader Regionalkomitees und des Stadtparteikomitees (praktisch der Chef der Stadt), ein enger Mitarbeiter und Freund Stalins, wurde erschossen.

Dieses Verbrechen war einer der Hauptauslöser für den Ausbruch einer groß angelegten politischen Repression, die als Großer Terror bekannt wurde. Es ist jedoch immer noch ein Rätsel, ob es sich um die persönliche Rache eines verzweifelten Einzelgängers handelte oder um eine auf höchster Regierungsebene geplante Aktion.

Ein Aufsehen erregendes Verbrechen

Der dreißigjährige Leonid Nikolajew wartete um halb fünf Uhr am Nachmittag vor seinem persönlichen Büro in Smolny, in dem sich die Stadtverwaltung befand, auf Kirow. Er tötete den Beamten mit einem einzigen Schuss in den Hinterkopf und versuchte dann, sich selbst zu erschießen, wurde aber von herbeieilenden Bürgern daran gehindert.

Sergej Kirow.

Es stellte sich heraus, dass der Mörder Mitglied der bolschewistischen Partei und selbst einmal Beamter gewesen war, aber wegen seiner Konfliktneigung entlassen worden war. Da er keine Stelle finden konnte, beschwerte sich Nikolajew mehrfach und bat seine Vorgesetzten (einschließlich Kirow) um Hilfe, aber ohne Erfolg.

Abgesehen vom Groll könnte das Motiv für den Mord auch Eifersucht gewesen sein. Die Ermittlungen ergaben, dass Nikolajew seine Frau Milda Draule, die ebenfalls in Smolny arbeitete, verdächtigte, eine intime Beziehung zu Kirow zu haben.

Das Smolny-Institut.

Bereits am 15. Oktober hatten die Wachen des Ersten Sekretärs den bewaffneten Nikolajew in der Nähe von Kirows Haus festgenommen, aber nachdem er einen Waffenschein und seinen Parteiausweis vorgelegt hatte, ließen sie den Verdächtigen gehen. Derselbe Parteiausweis verhalf ihm am verhängnisvollen Tag des 1. Dezembers, ungehindert zur Parteizentrale zu gelangen.

Persönliche Akte

Bereits am Morgen des 2. Dezember kam ein Zug mit Mitgliedern der sowjetischen Regierung aus Moskau in Leningrad an. „Ihr habt ihn nicht geschützt!“, sagte Stalin gereizt zu der Delegation, die ihn auf dem Bahnsteig traf. Damals war er Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Allunions-Partei (Bolschewiki) (WKP(B)), hatte aber bereits die Macht im Land in seinen eigenen Händen konzentriert.

Leonid Nikolajew and Milda Draule.

„Sergej Mironowitsch Kirow war lange Zeit ein guter Freund unserer Familie…“, erinnerte sich die Tochter des „Vaters der Nationen“, Swetlana Allilujewa: „Kirow und mein Vater fuhren im Sommer in den Urlaub nach Sotschi und nahmen mich mit. Aus dieser Zeit sind viele Schnappschüsse geblieben... Kirow stand meinem Vater näher als alle Swanidse, als alle Verwandten, Redens oder viele Arbeitskollegen. Kirow war ihm nahe, er brauchte ihn.“

Stalin erklärte Kirows Fall zur Chefsache, verfolgte die Ermittlungen genau und führte selbst Verhöre von Zeugen durch. Er war es, der die Version aufstellte, hinter dem Mord stünde eine Gruppe von Oppositionellen, die von seinem Gegner im innerparteilichen Kampf, Grigorij Sinowjew, angeführt wird. Auf Vorschlag des „Vaters der Nationen“ wurde sie sofort vom NKWD aufgegriffen.

Das Massaker

Stalin, seine Tochter Swetlana und Kirow.

Am 5. Dezember stand auf der Titelseite der Prawda: Die niederträchtigen, verräterischen Agenten des Klassenfeindes, die Schurken der ehemaligen Anti-Parteien-Gruppe Sinowjew, haben Genosse Kirow aus unseren Reihen gerissen.

Bereits am 29. Dezember wurde Nikolajew erschossen und kurz darauf auch Milda Draule, die als seine Komplizin entlarvt wurde. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden ebenfalls zum Tode verurteilt, darunter Sinowjew und dessen Mitarbeiter und Mitstreiter Lew Kamenjew. Mehr als achthundert ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer wurden daraufhin Opfer von Repressalien. Keiner von ihnen hatte etwas mit der Ermordung von Kirow zu tun.

Stalin und Kirow.

Mehrere hundert Mitarbeiter der örtlichen NKWD-Abteilung und der Leningrader Regional- und Stadtkomitees wurden an andere Arbeitsplätze versetzt, entlassen oder wegen „fahrlässiger Haltung gegenüber ihren Pflichten“ verhaftet. Unter ihnen befanden sich auch alle Zeugen des tragischen Ereignisses im Smolny. Außerdem kam gleich zu Beginn der Ermittlungen Kirows Personenschützer, der seinen Chef an jenem schicksalhaften Tag zur Arbeit begleitet hatte, auf mysteriöse Weise bei einem Autounfall ums Leben.

Schwungrad der Repressionen

Der spätere sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow, der 1934 Erster Sekretär des Moskauer Stadtkomitees der WKP(B) war, war sich sicher, dass Stalin hinter dem Mord steckte: „Kirow wurde geopfert, um das Land aufzurütteln und mit Leuten abzurechnen, die von Stalin nicht gewollt waren, mit den alten Bolschewiken, denen er vorwarf, die Hand gegen Kirow erhoben zu haben.“

Grigorij Sinowjew.

„Natürlich war es nicht Stalin persönlich, der Nikolajew den Auftrag erteilte“, versicherte Chruschtschow: „Dafür war Nikolajew zu bedeutungslos. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass ihn auf Stalins Anweisung hin jemand vorbereitet hat ... Nikolajew muss auf eine Art Nachsicht gehofft haben. Aber sich darauf zu verlassen, war zu naiv. Dieser Nikolajew war keine große Leuchte: Er erfüllte seinen Auftrag und dachte, dass ihm das Leben geschenkt werden würde. Was für ein Narr. Gerade nach der Ausführung eines solchen Auftrags war es notwendig, den Täter zu beseitigen, um die Geheimhaltung zu wahren. Und Nikolajew wurde vernichtet.“

Diese Version hatte jedoch auch ihre Kritiker. „Es gibt keine Dokumente oder Beweise, die belegen, dass Stalin oder der NKWD-Apparat in den Mord an Kirow verwickelt waren“, schrieb einer der Leiter des sowjetischen Geheimdienstes, Pawel Sudoplatow: „Ich bin überzeugt, dass der Mord an Kirow ein persönlicher Racheakt war.“

Kirow's Trauerzug.

Inwieweit der „Vater der Nationen“ mit Kirows Tod in Verbindung stand, bleibt eine offene Frage. In jedem Fall nutzte der sowjetische Führer den Vorfall geschickt, um politische Gegner zu vernichten und seine Macht zu festigen.

Nach dem aufsehenerregenden Verbrechen erhielten die NKWD-Behörden das Recht, Personen, die der Vorbereitung und Begehung „terroristischer Handlungen“ beschuldigt wurden, im Schnellverfahren ohne Verteidiger oder Gnadengesuch zu verurteilen. Die Todesurteile wurden sofort nach ihrer Verkündung vollstreckt. Das Schwungrad der Repressionen begann sich zu drehen, und erst nach Stalins Tod 1953 wurde es gestoppt.

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