Amerikanische Jeans waren der Traum fast jedes sowjetischen Mannes. Lange Zeit war es ein unrealistischer Traum.
Zum ersten Mal sahen die Bürgerinnen und Bürger der UdSSR in den späten 1950er Jahren Jeans en masse: Etwa 34.000 Ausländer kamen zu den Weltjugendfestspielen. Seitdem, so die Modehistorikerin Megan Virtanen, waren sie für die Russen nicht nur eine prestigeträchtige westliche Ware, sondern ein Fetisch geworden.
Sechstes Weltfestival der Jugend und Studenten in Moskau, 28. Juli 1957
Sovfoto/Universal Images Group via Getty ImagesHier sind nur einige Beispiele dafür, was die Russen für eine solche Hose zu tun bereit waren.
Studenten scheuten sich nicht, nachts mit dem Entladen von Eisenbahnwaggons Geld zu verdienen, um eine Hose zu ergattern – eine Levi's, Lee, Wrangler oder Montana kostete damals 150 bis 300 Rubel (drei bis vier Monatsgehälter).
Sie hätten von der Universität fliegen, arbeitslos werden oder von der Schule ausgeschlossen werden können, aber die Leute waren bereit, solche Risiken einzugehen. Wenn sie eine Jeans bekamen, trugen manche sie drei bis vier Jahre lang jeden Tag, und an den Waschtagen gingen sie einfach nicht aus dem Haus.
Es gab auch tragische Vorfälle: Ende der 1970er Jahre berichtete die Literaturnaja Gaseta über Fälle von Selbstmord im Teenageralter aus Mangel an diesem Modeartikel.
Lange Zeit wurden Jeans offiziell bekämpft – amerikanischer Original-Denim war in den Regalen nicht erhältlich. Schwarzhändler – diejenigen, die sie unter der Hand mit einem Aufschlag von 300 % verkauften – wurden als Spekulanten verfolgt (Spekulation war eine Straftat).
Doch je mehr der Eiserne Vorhang gelüftet wurde, desto schwieriger wurde es für den Staatsapparat, der Popularität westlicher Produkte zu widerstehen. Schließlich beschlossen die sowjetischen Behörden, diese Nachfrage zu ihrem Vorteil zu nutzen.
In den 1980er Jahren beschloss die sowjetische Leichtindustrie, dieses beliebte Produkt unter westlicher Lizenz selbst zu produzieren. Aber sie konnten sich nicht mit den berühmten Marken einigen. Also wandten sie sich an die italienischen Jesus Jeans. Unter deren Lizenz und mit deren Ausrüstung begann die UdSSR 1983 mit der Herstellung ihrer ersten eigenen Jeans unter den Markennamen Twer und Wereja. Das Produktionsvolumen war riesig: 1,2 Millionen Paar pro Jahr.
Allerdings gab es ein Problem: Obwohl sie Jeans genannt wurden, hatten sie bis auf die Farbe kaum Ähnlichkeit mit ihnen. Die Jeans wurden nicht aus Denim, sondern aus Denim-Imitat hergestellt, einem minderwertigen Baumwollstoff. Das Material war nicht gealtert wie richtiger Denim mit den nötigen Abnutzungsspuren, aber nach zehn Wäschen hintereinander verlor es die Farbe oder fiel auseinander.
Trotzdem wurden waren die sowjetischen Jeans immer noch heiß begehrt. Und damit sie den importierten Jeans wenigstens ein bisschen ähneln, wurden sie mit Bimsstein künstlich gealtert (um die gleichen Abnutzungsspuren wie bei echtem Denim zu erzeugen). Ein Stück Bimsstein wurde zusammen mit den Jeans in die Waschmaschine geworfen.
Außerdem kam in den 1980er Jahren im Westen Denim mit „Schlieren" in Mode, was die geschäftstüchtigen Sowjetmenschen sehr freute. Schließlich wussten sie genau, wie sie diesen Effekt imitieren konnten. So begannen sie, Jeans massenhaft zu kochen.
Die Methode war effektiv, erforderte allerdings etwas Kreativität. Bevor die Jeans gekocht wurden, mussten sie gewendet, zusammengerollt und mit Klammern fixiert werden. Die Art der Klammerung beeinflusste die Form der Schlieren.
Dann wurde ein großer Topf mit Wasser erhitzt und jede Menge Bleiche hinzugefügt (etwa im Verhältnis 1:5). Die eingerollten Jeans wurden in den Topf gelegt und 15-20 Minuten lang gekocht, wobei sie mit einem langen Löffel umgerührt wurden. Danach wurde die Hose gründlich ausgespült. Das Ergebnis waren weiß getünchte Schlieren, die das Original nachahmten. In der UdSSR bekamen sie den Spitznamen gekochte Jeans.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!