Um in einer professionellen Kompanie zu tanzen, musste man zu Beginn des letzten Jahrhunderts einen russischen Familiennamen tragen; für eine Karriere im Ballett war der Unterricht bei den Ballerinen der kaiserlichen russischen Theater unabdingbar. Die Revolution von 1917 vertrieb fast alle Größen der Tanzkunst aus den hellen, geräumigen Sälen der St. Petersburger Teatralnaja uliza in winzige, nicht selten schäbige Studios in Paris, Nizza, London, Berlin, Zagreb, New York und Shanghai.
„Ich muss sagen, dass ich meine Ausbildung als Tänzer russischen Lehrern verdanke, Solisten der kaiserlichen Theater, die in Paris unterrichteten“, erinnert sich der legendäre Tänzer und Choreograf Maurice Béjart. „Als ich nach Paris kam, gab es eine ganze Kolonie von russischen Lehrern, von der man sich heute kaum eine Vorstellung machen kann. Sie stammen aus einer untergegangenen Welt. Es war, als wären sie einer Erzählung von Tschechow oder Gogol entsprungen.“
Wir erzählen Ihnen von den Ballerinen, die der Welt das Tanzen beibrachten.
Ballerina Olga Preobraschenskaja in einer Szene aus Cesare Pugnis Ballett "Das kleine bucklige Pferd".
SputnikIm Gegensatz zu den meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen begann Preobraschenskaja lange vor ihrer Emigration zu unterrichten. Als Lieblingsschülerin des berühmten Marius Petipa verstand sie es, Musik anschaulich auf die Bühne zu bringen und Cesare Pugni zu Pjotr Tschaikowsky zu erheben. Sie nicht für ihre gewinnenden Ballettmaße bekannt, hatte aber einen analytischen Verstand. Ihre Reflexionen über den Unterricht von Lehrern verschiedener Schulen, von denen sie sich das Beste abschauen wollte, kamen ihr in ihrer eigenen Unterrichtspraxis zugute. Agrippina Waganowa, Ljubow Egorowa und später Olga Spesiwzewa baten sie um Hilfe bei der Vorbereitung neuer Rollen. Nach der Revolution begann Preobraschenskaja, Klassen an ihrer eigenen Ballettschule zu leiten. Ihre Suche nach einer Synthese aus italienischer durchsetzungsfähiger Virtuosität, französischer Weichheit und russischer Musikalität prägte den ausdrucksstarken zeitgenössischen russischen Ballettstil, der später in Waganowas Methodik seine Vollendung finden sollte.
Preobraschenskaja emigrierte erst 1921 aus Russland und unterrichtete in Buenos Aires, London, Mailand und Berlin, bis sie sich schließlich in Paris niederließ. „Trotz des Gebrülls, das ihren Unterricht begleitete, war es klar, dass Olga und ihre Schülerinnen einander mit Respekt begegneten“, erinnert sich die Ballerina Nina Tichonowa, Tochter russischer Emigranten. „Deshalb nahmen ihr letztere, oft von ihrem Zorn überrumpelt, ihr auch nie etwas übel. Sie hatte nie eine Spur von Vulgarität, ihre Ironie war nie beleidigend. Ich vermute, dass sie geschrien hat, um das Maximum aus ihren Schülerinnen herauszuholen. Im Ballett muss man seine Nerven im Griff haben und einen kühlen Kopf bewahren“.
Ihr Studio am Boulevard des Capucines wurde zu einem der wichtigsten Treffpunkte des europäischen Balletts. Nicht jede Ballettschule kann eine solche Liste von Eleven vorweisen. Zu ihnen gehören Irina Baronowa, Margot Fonteyn, Igor Juskewitsch, Georges Skibin, Milorad Miskowitsch, Nadja Nerina, André Eglevsky und Pierre Lacotte - mehrere Generationen von Künstlerinnen und Künstlern, die die moderne Ballettwelt geprägt haben.
Ljubow Jegorowa, gekleidet für das Ballett "Die blaue Dahlie" (Choreografie von Marius Petipa und Musik von Cesare Pugni).
Public domain„Ich wurde von einer fantastischen Frau ausgebildet - Ljubow Jegorowa. Sie war wie eine Mutter für mich und hat viel dazu beigetragen, meinen Stil zu formen. Als ich für eine Aufführung von „La Fille du Pharaon“ nach Russland kam und im Theatermuseum in St. Petersburg nach Dokumenten zur Geschichte dieses Balletts suchte, fand ich in der ersten Mappe, die ich öffnete, ganz oben ein Foto von Ljubow Jegorowa in ihrer geliebten Rolle der Aspicia. Das hatte eine symbolische Bedeutung für mich. Sie war da, um mich zu beschützen“, erinnerte sich der Choreograf Pierre Lacotte.
Zur gleichen Zeit wie Lacotte nahm auch Maurice Béjart Unterricht bei Jegorowa. Es herrschte Krieg, und das Studio in Paris war eiskalt. Als der Unterricht unerträglich wurde, bat Jegorowa, die im Exil den Prinzen Nikita Trubezkoj geheiratet hatte, ihren Mann: „Fürst, bring Kohle mit!“
Béjart hatte kein Geld, um den Unterricht zu bezahlen. Viele Jahre später erinnerte sich der Maestro daran, wie Jegorowa ihm endlose Doppelstunden mit irgendeinem mittelmäßigen Schüler schrieb.
„Sie zahlt, du arbeitest!“, befahl die gütige Jegorowa kategorisch und gab dem reichen Schüler zehn Minuten und dem talentierten Schüler die anderen fünfzig.
Zu den weiteren Besuchern ihres 1923 eröffneten Pariser Studios gehörten Roland Petit, Serge Lifar, Zelda Fitzgerald, Rosella Hightower und andere.
Serafina Astafijewa, 1890er Jahre.
Public domainAstafjewa stieg nicht in den Olymp der Balletttänzerinnen an den kaiserlichen Theatern auf. Die hochgewachsene, eindrucksvoll aussehende Tänzerin, die stolz auf ihre enge Verwandtschaft mit dem Schriftsteller Leo Tolstoi war, hatte wahrscheinlich keine ehrgeizigen Karrierepläne - sie heiratete sehr jung, bekam ein Kind und begnügte sich mit den Rollen einer Solistin im Hintergrund. Doch sie stach darin hervor und wurde von Sergej Djagilew gleich in seiner ersten „Saison“ in Paris engagiert. Ein besonderer Erfolg erwartete sie in London, wo sie Ida Rubinstein als Kleopatra ersetzte.
Auf einer Welle des Erfolges schwimmend, beschloss Astafjewa, in London zu bleiben. Dort eröffnete sie, ohne Angst vor der Konkurrenz durch Anna Pawlowa, ihre eigene Ballettschule in Chelsea. Als Schülerin von Jekaterina Wasem, einer der Lieblingsballerinen von Petipa, übernahm Astafjewa offenbar deren Lehrmethoden. Im Laufe von zwanzig Jahren verhalf sie dem englischen Ballett zu seinen ersten und größten Stars: Anton Dolin, Alicia Markova und Margot Fonteyn.
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