Welche Traditionen, Rituale und Feiertage setzten die Kommunisten an die Stelle orthodoxer Bräuche?

Gemeinfrei
Die Bolschewiki schafften die Kirche ab. Allerdings bedienten sie sich zunächst der alten, dem Volk vertrauten religiösen Riten und füllten sie mit neuen, kommunistischen Inhalten.

„Für die Gläubigen ist die Jungfrau Maria die Schutzpatronin der Landwirtschaft. <...> Heute wird das Fest der Verkündigung des Herrn in unserem Land weniger häufig begangen. Die Kolchosbauern, die den Boden mit hochentwickelten Maschinen bewirtschaften und die Regeln der Agrartechnik anwenden, wissen, dass die Ernte nicht von himmlischen Schutzpatronen abhängt, sondern von den Menschen, von ihrer Arbeit in der Kolchose“, lehrte der „Antireligiöse Kalender für 1941“ seine Leser.

In der UdSSR wurden die religiösen Feiertage, die den Beginn verschiedener landwirtschaftlicher Arbeiten markierten, als Aberglaube und „großväterliche Bräuche“ gebrandmarkt. An deren Stelle sollten der Glaube an wissenschaftliche Erkenntnisse und technischen Fortschritt treten. Die Bolschewiki erkannten jedoch, dass es nicht gelingen würde, die Religion einfach „abzuschaffen“: Sie nahm einen zu wichtigen Platz im Leben der Menschen ein. Die Kirche bestimmte den Kalender, die Erziehung, ohne sie gab es keine Heirat oder Beerdigung, sie regelte die Normen der Moral und Ethik. Daher versuchten die Kommunisten, die rituellen und zeremoniellen Aspekte des Lebens mit neuen Inhalten zu füllen.

Kampf gegen die Religion

Den Einfluss der Kirche begannen die neuen Machthaber bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution von 1917 zurückzudrängen. Sie trennten die Kirche vom Staat, entzogen ihren Einrichtungen die finanziellen Mittel, das Eigentum, den Grundbesitz und das Vermögen, die Geistlichen verloren sogar das Wahlrecht. Auch die kirchliche Ehe hatte länger keine Rechtskraft: Von nun an musste eine Zivilehe geschlossen werden. 

Arbeiter verwandeln Kirchenzubechör in Altmetall

Am meisten von allen litt natürlich die orthodoxe Kirche unter diesen Verfolgungen. Aber auch andere Konfessionen, die Altgläubigen und schließlich die Sektierer fielen der restriktiven Politik zum Opfer. 

1918–1920 starteten die Bolschewiki eine Kampagne zur Profanierung, 1921–1922 folgte die Beschlagnahme von Kirchengütern . Ab 1922 befasste sich die Antireligiöse Kommission mit Fragen des Glaubens. Zu ihren Zielen gehörte die „Umgestaltung“ des religiösen Bewusstseins der Bevölkerung und die Ausrottung orthodoxer „Überbleibsel“. Insbesondere der „Verband der kämpfenden Gottlosen“ hatte sich die Propagierung des Atheismus auf die Fahnen geschrieben.

„Religion ist Gift. Kümmere dich um die Kinder“

Er entwickelte Szenarien für die Feier von Weihnachten und Ostern durch den Komsomol und begann mit der Produktion verschiedener antireligiöser Literatur und Zeitschriften für Erwachsene und Kinder. In diesen Propagandamaterialien wurden den kirchlichen Traditionen „wilde“ (heidnische) Wurzeln zugeschrieben; die Geistlichen wurden bezichtigt,  Spionage zu betreiben und für ausländische Geheimdienste und Antikommunisten zu arbeiten.

Rote Hochzeiten

Nachdem die kirchliche Trauung ihre Rechtskraft verloren hatte, trat in den 1920er Jahren an ihre Stelle eine „rote Hochzeit“. Im Unterschied zur früheren, traditionellen Hochzeit war sie nicht länger ein Familienfest, sondern wurde zu einem „gesellschaftlichen“ Ereignis. Die neuen Bräuche propagierte vor allem der Komsomol, die Jugendorganisation der Partei.

„Rote Hochzeit“

Die Feier fand ohne Ringe und weiße Kleider statt, sondern vor der Kulisse von Agitprop-Plakaten. Die Rolle von Predigern des neuen Kults nahmen die Sekretäre des Komsomol und der Parteiorganisationen ein, die die jungen Leute auf den rechten Weg brachten. Als Geschenk erhielten sie Propagandaliteratur, die Werke von Lenin und anderen kommunistischen Führern. 

„Rote Hochzeit“

In einem Spottlied kam der Zeitgeist zum Ausdruck: „Meine Mutter wollte meine Hochzeit nach alter Tradition mit Ringen andachtsvoll. Es kam anders - wir heirateten im Komsomol.“

„Swjesdiny“ oder „Oktjabriny“

Dieses sowjetische Pendant zur kirchlichen Taufe diente dazu, die Eintragung der Geburtsdaten eines Kindes in die Personenstandsregister mit einer Feier zu verbinden. Die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Natalja Lebina erläutert, dass die „Swjesdiny“ zumeist in Fabrikklubs organisiert wurden.

„Oktjabriny“ war das sowjetische Pendant zur kirchlichen Taufe.

Die Eltern wurden von den Leitern der Partei- und Komsomol-Zellen der Betriebe beglückwünscht. Sie erhielten marxistische Literatur und wurden aufgefordert, ihren Kindern neue revolutionäre Namen zu geben. Zum Beispiel Warlen (Kurzform für russisch „Lenins Große Armee“), Wilen und Wladlen (von „Wladimir Iljitsch Lenin“), Stalija (von „Stalin“), Pobisk („Generation der Kämpfer und Erbauer des Kommunismus“).

Rote Bestattungen

Beerdigungen waren ein ebenso wichtiges rituelles Ereignis wie Taufen und Hochzeiten, und auch sie sollten umgestaltet werden. Vor allem galt es, Beisetzungen ohne Priester und Requiem abzuhalten. Eine traditionelle Trauerfeier war nur noch mit einer Sterbeurkunde der örtlichen sowjetischen Behörden erlaubt.

Die Propagierung der Einäscherung stellte ebenfalls eine Beschneidung der Beisetzungsrituale dar. Da die Orthodoxie vorschreibt, dass der Leichnam der Erde und nicht dem Feuer übergeben werden soll, betrachteten die Bolschewiki die Einäscherung als Teil einer antireligiösen Kampagne und bezeichneten das neue System als „Kanzel der Gottlosigkeit“. Anfang 1919 unterzeichnete Lenin einen Erlass, wonach die Einäscherung der Toten zulässig und sogar vorzuziehen sei. 

Beerdigung der Opfer der Februarrevolution. Mitglieder des Begräbniskomitees

Das erste Krematorium des Landes wurde im Dezember 1920 in Petrograd eröffnet. Es war zwei Monate lang in Betrieb. Mit dem Übergang von den Notmaßnahmen des Kriegskommunismus während des Bürgerkriegs zur Ära der Neuen ökonomischen Politik wurde die Leichenverbrennung aufgegeben. Ein zweites Krematorium entstand erst 1927 in Moskau. „Das Krematorium ist das Ende der zeitlosen Reliquien und anderen Wunder. Das Krematorium ist Hygiene und Vereinfachung der Bestattungen, es ist die Land-Rückgewinnung Land von den Toten für die Lebenden“, - schrieb die Zeitschrift „Ogonjok“ im selben Jahr.

Neue kalendarische Marksteine

Vor der Revolution von 1917 waren die Feiertage hauptsächlich mit religiösen Feiertagen verbunden - Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und andere. Der Historiker Andrej Tutorskij schreibt, dass die meisten Verträge auf dem Dorf und in den Fabriken zwischen Mariä Schutz und Fürbitte und Ostern abgeschlossen wurden. Ihre Abschaffung hätte für die Mehrheit der russischen Bevölkerung bedeutet, das System der Jahresplanung zu sprengen. Daher brach man nicht abrupt mit dieser Tradition, sondern ergriff einige Maßnahmen.

Anfang 1918 verabschiedete der Rat der Volkskommissare ein Dekret über den Übergang zum Gregorianischen Kalender. Dies geschah aus zwei Gründen. Erstens, um mit der Mehrheit der Länder der Welt „Schritt zu halten“. Zweitens, um mit der kirchlichen Tradition zu brechen. Vor der Revolution von 1917 galt in Russland der julianische Kalender, wie er von der orthodoxen Kirche verwendet wurde, die sich auch dem Übergang zum gregorianischen System widersetzte. In Sowjetrussland wurde beispielsweise das Weihnachtsfest vom 25. Dezember auf den 7. Januar „verschoben“ und war bis 1927 ein arbeitsfreier Tag.   

Gleichzeitig wurden neue Festtermine in der Nähe der alten Feiertage festgelegt, und die Bevölkerung wurde buchstäblich gezwungen, sie in ihren Arbeitskollektiven zu feiern. So etablierte sich die weltliche Tradition, das Neujahrsfest am 1. Januar mit einem Weihnachtsbaum zu feiern, der ursprünglich ein Attribut von Weihnachten war. Der 1. Mai wurde mit Demonstrationen zu Ehren des internationalen Tags der Arbeiterbewegung (später Tag der Arbeitersolidarität), der 7. November zu Ehren des Jahrestages der Oktoberrevolution begangen.

„Die Religion ist die Bremse des Fünfjahresplans!“

„Überreicht Christus die Kündigung. Unser Mentor ist das Wissen, das Buch ist unser Lehrer. Werft den Aberglauben weg. Entledigt Euch des Ritus der Religionen. Der Tag der Auferstehung der Kommune ist der 25. Oktober (das Datum der Oktoberrevolution nach dem Julianischen Kalender - Anm. d. Verf.). Unser Platz ist nicht in einer staubigen Kirche. Geht auf die Straße! Plakate in die Hand! Über dem Glauben an unsere Feiertage brennt die Wissenschaft“, schrieb Wladimir Majakowski im Jahr 1923. 

Trotz der Propaganda konnten sich rote Hochzeiten, rote Beerdigungen und „Swjesdiny“ nur schwer im Land durchsetzen. Zunächst waren die Menschen aufgrund der Armut und der harten Lebensbedingungen, die für die ersten nachrevolutionären Jahre charakteristisch waren, nicht zum Feiern, auch nicht in bescheidenem Rahmen, aufgelegt. Und während in den Städten neue Bräuche von der arbeitenden Jugend noch mit Interesse aufgenommen wurden, war in den Dörfern das traditionelle Weltbild unerschütterlich. Später, in den Jahren der Neuen Ökonomischen Politik (1921–1924), kam es zu einer Liberalisierung des Regimes, und die Kontrolle und Überwachung der obligatorischen Feste zu den „richtigen“ Daten wurde gelockert. Im Jahr 1943 schließlich, während des Krieges gegen Nazi-Deutschland, bemühten sich die sowjetischen Behörden um die Wiederherstellung der Beziehungen zur Kirche, was auch die Situation der Gläubigen etwas verbesserte.

Der Kalender hingegen blieb ein unverrückbares sowjetisches Erbe. Die orthodoxen Christen wiederum feiern Weihnachten am 7. Januar, nach dem gregorianischen Kalender.

>>> Wie die Bolschewiki versuchten, die russisch-orthodoxe Kirche zu zerstören

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