Stalinistischer Neoklassizismus: Wie die Architektur Macht und Größe des Landes demonstrierte

Legion Media
Dieser Stil, der unter der Führung von Josef Stalin populär war, kombinierte Elemente verschiedener architektonischer Schulen. Das wichtigste Hauptmerkmal war jedoch Monumentalität.

Während der Herrschaft Stalins wurden die frühen sowjetischen Architekturexperimente – im Stil des Konstruktivismus und des Art déco – durch eine Rückkehr zum Neoklassizismus ersetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, entwickelte sich der Baustil zu jenem Hyper-Monumentalismus, der heute als Stalinistischer Empire-Stil bekannt ist.

Das Land, das den Nationalsozialismus besiegt hatte, wandte sich nun den klassischen Vorbildern zu und begann, Vergangenheit und Gegenwart zu mythologisieren, und zwar nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Inneneinrichtung, bei Möbel-Design und Dekoration. Der neue Stil sollte die Größe und Macht des sowjetischen Staates demonstrieren.

In der Sowjetzeit (und insbesondere unter Stalin) wurde dieser Stil einfach als Sowjetarchitektur bezeichnet. Erst später begann man ihn als stalinistische Architektur zu bezeichnen. Der Begriff Stalinistischer Empire-Stil bzw. Stalinistischer Neoklassizismus wurde lange Zeit inoffiziell unter Fachleuten benutzt.

Der Stalinistische Empire-Stil vereinte Elemente vieler anderer Architekturstile. Er wies Merkmale der Renaissance und des Klassizismus mit seinen Reihen von Säulen, Portiken, Skulpturen und perfekter Symmetrie sowie Schmuckelemente des Rokoko und des Barock auf. Hinzu kommen die zahlreichen Bronzedetails des französischen Empire-Stils. Auch der Einfluss amerikanischer Wolkenkratzer im Art-déco-Stil ist offensichtlich. Das sowjetische Staatswappen und der fünfzackige Stern waren ein wesentliches dekoratives Element.

Die ersten Voraussetzungen für den Stalinistischen Empire-Stil stammen noch aus den 1930er Jahren. Das erste, wenn auch nicht realisierte Projekt war der Palast der Sowjets, der an der Stelle der abgerissenen Christ-Erlöser-Kathedrale geplant war. Viele prominente Architekten nahmen an dem Wettbewerb teil, doch schließlich wurde das von Boris Iofan vorgeschlagene Projekt ausgewählt.

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Es wurde angenommen, dass Josef Stalin persönlich die meisten dieser Gebäude initiiert und inspiriert hat. Es war auch er, der alle Projekte genehmigte. Lew Rudnjew, Arkadij Mordwinow, Modest Schepiljewskij, Wladimir Schtschjuko und viele andere waren prominente Architekten, die instinktiv merkten, was von den neuen Gebäuden verlangt wurde.

Zentraler Pavillon in der WDNCh

Das gesamte Gelände für die Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft (WDNCh) wurde in diesem grandiosen Stil gebaut. Jede der 15 Sowjetrepubliken hatte ihren eigenen Pavillon, der ethnische Motive mit stalinistischer Architektur kombinierte.

Brunnen der Völkerfreundschaft

Auch kolossale Springbrunnen, die damals gebaut wurden, schmücken immer noch dieses riesige Gelände. Der Brunnen der Völkerfreundschaft zum Beispiel besteht aus mit Blattgold überzogenen Statuen, die die Sowjetrepubliken verkörpern.

Der Haupteingang zum Gorki-Park

Auch der Haupteingang zum Moskauer Gorki-Park wurde in diesem Stil gebaut.

Das Nordfluss-Terminal

Das Moskauer Nordfluss-Terminal ist ebenfalls ein Denkmal des stalinistischen Empire-Stils. Es hatte eine besondere Bedeutung, da es für die Eröffnung des Moskau-Wolga-Kanals, eines der wichtigsten stalinistischen Projekte, gebaut wurde.

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Die Sieben Schwestern in Moskau wurden zum wichtigsten Symbol für diesen Stil. Die Pläne für jedes dieser Gebäude genehmigte Stalin persönlich.

Das Haus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße

Das Haus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße, eine der Sieben Schwestern. Diese monumentalen, mit Türmen gekrönten Wolkenkratzer wurden zu echten Zeugnissen der Stalinzeit. Bei ihrem Bau wurden keine Kosten gescheut.

Hauptgebäude der Moskauer Universität

Die sowjetischen Architekten übernahmen viele Zierelemente des westeuropäischen Empire-Stils, der seine Wurzeln im napoleonischen Frankreich hatte. In der UdSSR wurde dieser Stil von überflüssigen barocken Elementen befreit. Aber Gold, Stuckarbeiten, Holzschnitzereien und Flachreliefs wurden bei der Inneneinrichtung aktiv verwendet.

Interieur des Hotels Ukraina – Stalins letztes Hochhaus

Im gesamten Moskauer Stadtzentrum wurden auch prunkvolle Wohngebäude – die so genannten Stalinki – für die sowjetische Führungsschicht (die sogenannte Nomenklatura) errichtet. Ihre Fassaden waren ebenfalls mit Säulen, Erker-Balkons und Gesimsen geschmückt.

Das Wohngebäude auf der Semljanoj-Wal-Straße 46 im Moskauer Zentrum wurde in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre für die Mitarbeiter des sowjetischen Ministeriums für Staatssicherheit (KGB) errichtet und gilt als Meisterwerk des Stalinistischen Neoklassizismus. Der Architekt Jewgenij Rybizkij wurde für dieses Projekt sogar mit dem Stalinpreis ausgezeichnet.

Das Wohngebäude auf der Semljanoj-Wal-Straße 46

Zwei halbrunde Gebäude auf dem Gagarin-Platz, deren Bau 1950 fertiggestellt wurde, bilden einen feierlichen Eingang zum Zentrum Moskaus.

Gagarin-Platz in Moskau

Viele Stationen der Moskauer Metro, die heute oft als unterirdische Paläste bezeichnet werden, wurden auch im Stalinistischen Stil erbaut. Ihre wichtigsten Merkmale sind Säulen, Flachreliefs, Mosaiken sowie große und prunkvolle Kronleuchter.

Metro-Station Komsomolskaja

Obwohl Moskau als die sowjetische Hauptstadt das wichtigste Schaufenster für diesen Stil war, sind die Stalinki auch in anderen Städten noch zu sehen. 

Ein Stalinka-Wohnhaus von 1953 in Kasan

Stalingrad ist die Stadt des militärischen Ruhms, in der die sowjetischen Truppen während des Zweiten Weltkriegs einen ihrer bedeutendsten Siege errangen. Der Platz der gefallenen Kämpfer im Stadtzentrum wurde im stalinistischen Empire-Stil erbaut, ebenso wie alle Gebäude in der Nähe – ein Hotel, ein Postamt, ein Theater und ein Bahnhofsgebäude.

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Der Platz der gefallenen Kämpfer in Wolgograd (ehemaliges Stalingrad)

Stalin wählte diesen Stil auch bei der Gestaltung von Gebäuden für seinen persönlichen Gebrauch. So weisen die Innenräume seiner Privatbüros und Datschen alle Merkmale des Stils auf, wenn auch auf unaufdringlichere Art und Weise.

Stalins Datscha in Sotschi
Stalins Datscha in Sotschi

Der von Stalin inspirierte Stil existierte bis Mitte der 1950er Jahre, kurz nach seinem Tod am 5. März 1953. Die architektonischen Exzesse der stalinistischen Ära wurden einer Kritik unterworfen. 1955 wurde ein Dekret über „die Beseitigung von Auswüchsen bei der Planung und im Bauwesen“ erlassen.

Nach dem Bruch mit der stalinschen Tradition und der Abkehr vom Prunk- und Monumentalstil im Bauwesen wurde eine neue Parteilinie verkündet – die neue sowjetische Architektur sollte nun in ihrer Form einfach und streng sein. So wurde der monumentale Klassizismus in der Architektur durch eine standardisierte Konstruktion mit einem Minimum an Dekoration ersetzt.

Schon Mitte der 1950er Jahre machten die sogenannten Stalinki Platz für die ersten Chruschtschowki.

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