Der 8. April 1974 wäre beinahe zu einer Tragödie geworden. Die Bauarbeiter der Leningrader Metro bohrten einen weiteren Erkundungsschacht, aus dem plötzlich Wasser strömte. Bald brach es durch die Wand in einen bereits aktiven Tunnel, durch den gerade ein Zug mit Fahrgästen fuhr. Der Tunnel füllte sich schnell mit Wasser und Sand. Es war 16:30 Uhr. Nur mit großer Mühe konnten alle gerettet werden. Doch wie sich herausstellte, war dies erst der Anfang größerer Probleme.
Ein Gemisch aus Wasser, Sand und Eis
Der Vorfall im April ereignete sich zwischen den Metro-Stationen Lesnaja und Ploschtschadj Muschestwa. Wie bald bekannt wurde, ereignete sich der Unfall in der Auswaschung (so wird dieser Tunnel jetzt von den Petersburgern genannt) aufgrund von Zeitdruck. Die Eröffnung der neuen Metrostationen sollte mit dem Datum des XXV. Parteitags der KPdSU im Jahr 1976 zusammenfallen. Die Ingenieure wussten jedoch, dass es nicht einfach werden würde: Im Bereich des Ploschtschadj Muschestwa gab es viele Bereiche mit sogenannter Quickerde – mit Wasser und Sand gefüllte Risse in der Erdkruste.
Um an dieser Stelle einen Tunnel zu bauen, musste man entweder diese Bereiche umgehen, sie unterqueren oder sie einfrieren und durchbohren. Die Baumeister entschieden sich für die letztere Option. Um Zeit zu gewinnen, beschlossen sie, direkt durch das alte Flussbett der Newa zu bauen, die sogenannte Kowno-Auswaschung.
Natürlich haben die Bauarbeiter auch an die Gefahren dieses Verfahrens gedacht. Die jeweils drei Meter dicken Absperrstütze aus sollten die anderen Metrostationen schützen. Doch im entscheidenden Moment versagten sie. Die Ausschwemmung brach mit einer solchen Gewalt ein, dass die Tore nicht rechtzeitig geschlossen werden konnten. In nur wenigen Stunden füllten 45.000 Kubikmetern des Gemischs aus Wasser, Sand und Eis den Tunnel.
Das Schlimmste war, dass sich nach einem so starken Austritt von Grundwasser in die im Bau befindlichen Tunnel Hohlräume im umliegenden Boden bildeten. Der unbefestigte Boden begann einfach durchzusacken und riss alles, was sich an der Oberfläche befand, mit sich.
Durch das Absinken der Erde bildete sich in der Mitte der Straße eine Vertiefung mit einer Größe von 400 mal 200 Metern und einer Tiefe von 3 Metern. Viele Straßen rund um die Erosionsstelle wurden beschädigt: In der Polytechnitscheskaja‑Straße barst der Asphalt und Straßenbahnschienen brachen, das Verwaltungsgebäude der Fabrik Krasnyj Oktjabr wurde zerstört, mehrere andere Gebäude in der Nachbarschaft neigten sich gefährlich. Riesige Gebäude im Zentrum der Stadt drohten einzustürzen. Über diese Ereignisse wurde 1986 sogar ein Katastrophenfilm mit dem Titel Prorýw (dt.: Der Durchbruch) gedreht.
Und was geschah danach?
Nach dem Unfall begann das Bauunternehmen Metrostroj darüber nachzudenken, wie alles wieder in Ordnung gebracht werden könnte. Um die Zerstörung an der Erdoberfläche zu stoppen, wurde einfach Leitungswasser in die Hohlräume im Boden gepumpt.
Aber die Idee, an dieser Stelle weiter zu bauen, wurde nicht aufgegeben. Es gab zwei Möglichkeiten: einen neuen Tunnel in der gleichen Richtung zu bauen, aber oberhalb oder unterhalb des unterirdischen Stroms, um die Überschwemmungsgefahr zu beseitigen; oder ihn zu umgehen, aber dann hätte eine ganze zusätzliche Station gebaut werden müssen.
Am Ende entschied man sich für die erste Option. Der neue Tunnel wurde direkt über die alte Trasse gelegt. Um eine weitere Havarie zu vermeiden, wurde der Boden an dieser Stelle nicht wie beim ersten Mal mit einer Standard-Kryoanlage, sondern mit flüssigem Stickstoff gefroren. Dieser war damals übrigens ein recht seltenes strategisches Material, deshalb wurde er aus der ganzen Sowjetunion herbeigeschafft – insgesamt wurden mehr als 8.000 Tonnen Flüssiggas verwendet. Nachdem der Boden gefroren war, wurde ein Schild um den Tunnel gebaut, das die Wände des Tunnels zusätzlich vor Erosion schützte.
Die Bahnhöfe Lesnaja und Ploschtschadj Muschestwa wurden 1975 wiedereröffnet. In den ersten Jahren wurde der Tunnel genau überwacht, um jede Abweichung von der Norm sofort zu bemerken: Züge und Wände waren mit Sensoren versehen, und die Züge fuhren mit geringer Geschwindigkeit über die Gleise. Doch 1984 waren die Bauherren überzeugt, dass die Gefahr vorüber war und hoben alle Betriebsbeschränkungen auf.
Der zweite Riss
Der Fehler von 1974 machte sich Anfang der 90er Jahre erneut bemerkbar: In der unglückseligen Bahnstrecke wurde erneut Wasser mit Sand gefunden. Es stellte sich heraus, dass die Abdichtung nicht mehr funktionierte.
Die Fahrgäste in den Waggons bemerkten, dass die Züge auf schmutzigem Wasser fuhren. Es war so viel davon, dass die unterirdischen Pumpen den Zustrom nicht bewältigen konnten. Um den neuen Unfall irgendwie in den Griff zu bekommen, beschlossen die Metro-Bauarbeiter, den Bahnhof zunächst an den Wochenenden und dann an Wochentagen abends zu schließen. Doch auch diese Lösung half nicht, das Problem zu lösen - das Wasser drang weiterhin ein.
Außerdem begingen die Ingenieure einen Fehler, indem sie den neuen Tunnel über den alten bauten – der untere Tunnel erfuhr zusätzlichen Druck, als die Züge durch den oberen fuhren. Das führte dazu, dass der neue Tunnel einfach in den alten absackte, und mit ihm alle Isolierungen und Schilde.
1995 wurde der Tunnel wieder geschlossen, und die Wohngebiete im Norden blieben von der Stadt abgeschnitten.
Man beschloss, den dritten Tunnel 200 Meter vom alten entfernt und 20 Meter höher zu bauen. Seit 2004 fahren die Züge durch diesen Tunnel. Die Ausschwemmung hat sich noch nicht wieder bemerkbar gemacht.