Wie sich ihre treuesten Anhänger gegen die Bolschewiki auflehnten

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Die Kronstädter Meuterei schockierte und verängstigte die sowjetische Führung. Sie zwang sie, den „Kriegskommunismus“ so schnell wie möglich aufzugeben und vorübergehend zu einer begrenzten „Restauration des Kapitalismus“ im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik überzugehen.

„Möge das verhasste Joch der Kommunisten verflucht sein! Lang lebe die Macht der Arbeiter und Bauern! Lang leben die frei gewählten Sowjets!“ – solche Losungen waren im März 1921 am Stützpunkt der sowjetischen Ostseeflotte in der Stadt Kronstadt zu hören.

Hier, auf der Insel Kotlin, nur 30 Kilometer von Petrograd (St. Petersburg) entfernt, revoltierten gegen die Bolschewiki ihre zuverlässigsten Kämpfer, Lenins Prätorianergarde, die  Schönheit und der Stolz der russischen Revolution – die Matrosen.

Tumult

Eintreibung des Getreides.

Überall in Russland regte sich damals Unzufriedenheit. Die wirtschaftliche Lage in dem durch den Bürgerkrieg (1918-1923) zerstörten Land war katastrophal: Die Industrieproduktion brach zusammen, die Landwirtschaft befand sich in einer tiefen Krise, die zu einer Hungersnot führte.

Der Krieg war im Großen und Ganzen vorbei, aber die sowjetischen Behörden verfolgten immer noch eine strikte Politik des Kriegskommunismus mit dem Verbot von Privateigentum und sie führten die Prodraswjórstka ein, die gewaltsame Beschlagnahmung von Nahrungsmitteln der Bauernschaft für die Bedürfnisse des Staates.

Am 23. Februar begann in Petrograd ein Streik der Arbeiter in den Rohrwerken, dem sich ihre Kollegen in der ganzen Stadt anschlossen. Auf dem Stützpunkt der Baltischen Flotte in Kronstadt wurde die Situation genau beobachtet.

Die Behörden kamen den Forderungen der Demonstranten teilweise nach, indem sie deren Lebensmittelrationen erhöhten. Gleichzeitig verhafteten sie die wichtigsten Aktivisten und drohten den anderen, dass sie Gewalt anwenden würden, wenn die Unruhen weitergingen.

Ende Februar begann sich die Lage in Petrograd zu normalisieren, aber in Kronstadt stand alles noch ganz am Anfang.

Meuterei

Entschließung der Rebellen / Stepan Petritschenko im Jahr 1921.

Die Matrosen, von denen viele selbst ehemalige Bauern waren, waren sich der ernsten Lage durchaus bewusst. Am 28. Februar verabschiedeten die Besatzungen der Schlachtschiffe Sewastopol und Petropawlowsk eine Resolution, in der sie von den Bolschewiki faktisch eine Erleichterung für die Bauernschaft forderten, wodurch diesen das Recht eingeräumt werden sollte, uneingeschränkt über ihr Land und ihren Viehbestand zu verfügen.

Gleichzeitig enthielt das Dokument politische Forderungen: Durchführung von Neuwahlen zu den Sowjets (dt.: Räten), Gewährung von Rede- und Pressefreiheit für Anarchisten und linkssozialistische Parteien, Freilassung aller linken politischen Gefangenen, Einschränkung der kommunistischen Propaganda und der Zahl der Kommunisten in der Armee.

Die Resolution wurde am 1. März auf dem Kronstädter Járkornaja ploschtschadj (dt.: Ankerplatz) öffentlich verkündet, wo eine Kundgebung mit 15.000 Teilnehmern unter dem Motto Die Macht den Sowjets, nicht den Parteien stattfand. Am nächsten Tag proklamierten die Demonstranten (Matrosen, Soldaten der Festung und einige Anwohner) die Gründung des Provisorischen Revolutionskomitees unter der Leitung des Verwaltungsschreibers der Petropawlowsk Stepan Petritschenko.

„Petropawlowsk“ и „Sewastopol“ (1921).

Die Lokalzeitung Iswestija schrieb über den Beginn der dritten russischen Revolution (nach der bürgerlichen Februar- und der bolschewistischen Oktoberrevolution): „Anstelle der freien Entfaltung des Individuums, des freien Arbeitslebens, ist eine außergewöhnliche, noch nie dagewesene Sklaverei entstanden“, hieß es in dem Blatt. 

Der Kreml betrachtete den Protest der Matrosen als versuchten Staatsstreich und lehnte jede Form des Dialogs ab. Kronstadt wurde von Einheiten der Roten Armee blockiert, wodurch die Meuterer von den Sympathisanten in Petrograd abgeschnitten wurden.

Der erste Sturmangriff

Die Bolschewiki versuchten, das Kronstadt-Problem möglichst umgehend zu lösen, solange die Insel noch auf dem Eis erreichbar war. Darüber hinaus erregte die Meuterei im Ausland zunehmend Aufmerksamkeit.

Die Rote Armee greift Kronstadt im März 1921 an.

Am 4. März wurden die Matrosen zur „sofortigen und bedingungslosen Kapitulation“ aufgerufen. Nachdem sie diese Aufforderung abgelehnt hatten, wurde die Stadt aus der Luft bombardiert und die Truppen begannen, sich auf einen Angriff vorzubereiten.

Der Kommandeur der 7. Armee, Michail Tuchatschewskij, hatte mehr als 17.000 Soldaten zur Verfügung. Ihnen standen 13.000 Matrosen und Soldaten der Festung sowie 2.000 bewaffnete Bürger gegenüber.

Der Angriff am 7. März endete mit einem großen Fiasko. Die überstürzte Organisation, der Mangel an Kräften und die niedrige Moral der Mannschaft wirkten sich aus. Viele Soldaten der Roten Armee weigerten sich, gegen die „Brüder von Kronstadt“ zu kämpfen, und einige wechselten sogar auf deren Seite.

Der zweite Sturmangriff

Beschuss der Festungen von Kronstadt durch die Kursbatterie.

Der nächste Versuch wurde gründlicher vorbereitet. Die Stärke der Truppe wuchs auf 45.000 Mann an, unter denen sich viele zuverlässige und überzeugte Kommunisten befanden. Die Kräfte der Verteidiger stiegen Dank Überläufern und Freiwilligen aus der Stadtbevölkerung auf 18.000 Mann.

Der zweite Sturmangriff begann am 17. März mit einer Artillerievorbereitung. Danach eilten Abteilungen der Roten Armee zum Angriff auf das Eis des Finnischen Meerbusens in Richtung der Festungen.
Die Rote Armee nahm ein Fort nach dem anderen ein. Die sowjetischen Luftstreitkräfte traf die Schlachtschiffe Petropawlowsk und Sewastopol, und Tuchatschewskij ordnete an, sie mit „Stickgasen und giftigen Granaten“ anzugreifen.

Eine Reihe von Flugzeugen auf dem Eis des Finnischen Meerbusens vor dem Flug zur Niederschlagung des Matrosenaufstandes in Kronstadt.

Schließlich begannen die Kämpfe in den Straßen von Kronstadt selbst. Der erbitterte Widerstand der Verteidiger ermöglichte achttausend aufständischen Matrosen, Soldaten und Einheimischen zusammen mit Stepan Petritschenko, dem Chef des Provisorischen Revolutionskomitees, die Flucht nach Finnland.
Bis zum Mittag des 18. März wurde die Stadt von der Roten Armee eingenommen. Infolge des Angriffs wurden knapp zweitausend ihrer Soldaten getötet, die Kronstädter verloren etwa tausend.

Repressionen

Niederschlagung der Kronstädter Meuterei.

Die Bolschewiki konnten einen solchen Verrat nicht ungestraft lassen. Lenin bemerkte in einem Gespräch mit dem französischen Sozialisten Jacques Sadoul über die Meuterei: „Das ist Thermidor. Aber wir werden uns nicht guillotinieren lassen. Wir werden den Thermidor selbst vollenden.“

Mehr als zweitausend Rebellen wurden erschossen, sechseinhalbtausend wurden zu Haftstrafen verurteilt. Durch ein Dekret von Präsident Boris Jelzin vom 10. Januar 1994 wurden alle Teilnehmer des Kronstädter Aufstands posthum rehabilitiert.

W. Lenin und K. Woroschilow unter den Delegierten des X. Kongresses, die an der Niederschlagung des Aufstandes teilnehmen (März 1921).

Die Meuterei der zuverlässigsten Kämpfer und die Unterstützung, die sie von anderen Militäreinheiten erhielten, schockierte und verängstigte die sowjetische Führung. Dieses Ereignis zwang Lenin dazu, den Kriegskommunismus so schnell wie möglich aufzugeben.

Bereits am 21. März 1921 wurde die Prodraswjorstka durch einen Prodnalóg (dt.: Lebensmittelsteuer in Form von Naturalien) ersetzt, der nur halb so hoch war wurde. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, beschlossen die Behörden, vorübergehend von ihren Grundsätzen abzuweichen und eine begrenzte Restauration des Kapitalismus im Lande durchzuführen, mit teilweiser Entstaatlichung der Industrie, Einführung des Freihandels, Lohnarbeit usw.

Diese so genannte Neue Ökonomische Politik (NÖP) wurde von der Führung der UdSSR bis Ende der 1920er Jahre praktiziert, bis sie von der Kollektivierung und Industrialisierung abgelöst wurde.

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