Weltfrauentag in Russland: Feministische Sprenkel im Blumenmeer

„Wir sind die Mehrheit“ steht auf dem Plakat einer Aktivistin bei einer feministischen Protestaktion vor dem Kreml am 8. März.

„Wir sind die Mehrheit“ steht auf dem Plakat einer Aktivistin bei einer feministischen Protestaktion vor dem Kreml am 8. März.

TASS
Am Weltfrauentag gab es in Russland dieses Jahr nicht nur Blumen, sondern auch Proteste: Aktivistinnen forderten in Moskau und Sankt Petersburg Gleichberechtigung und mehr Schutz für Frauen. Kehrt der Feminismus nach Russland zurück?

„Der 8. März ist der Tag der Solidarität aller Frauen gegen die Ungleichheit der Geschlechter, nicht der Frühlingstag oder der Tag der Weiblichkeit und Schönheit“, war auf einem Plakat zu lesen, das eine junge Frau auf einer Demonstration am Mittwoch in Sankt Petersburg hochhielt. Diese Aussage ist für Russland nicht selbstverständlich: Der Weltfrauentag wird gewöhnlich mit Tulpen, Kosmetik und anderen Geschenken bedacht, nicht aber mit Protestdemos. In diesem Jahr erinnerten russische Feministinnen an die ursprüngliche Bedeutung des Feiertags.  

In den zwei wichtigsten Metropolen des Landes riefen sie zu Demonstrationen auf. In Sankt Petersburg kamen 50 Aktivistinnen zusammen und forderten auf Plakaten Lohngleichheit für Männer und Frauen sowie mehr Schutz vor Gewalt. Die Demonstrantinnen zogen durch die Hauptstraße der Stadt, den Newski Prospekt. Am Ende wurden 14 Teilnehmerinnen verhaftet, weil der Protestzug von der Stadtverwaltung nicht genehmigt war. Ihnen droht nun ein Bußgeld oder 15 Tage Haft. In Moskau belagerten Feministinnen derweil die wichtigste Hochburg der russischen Regierung – den Kreml.

„Die Parolen müssen auffallen“

„Seit 200 Jahren sind Männer an der Macht. Schluss damit!“ / TASS„Seit 200 Jahren sind Männer an der Macht. Schluss damit!“ / TASS

Gegen elf Uhr rauschte eine Gruppe von Frauen in den Kreml, bewaffnet mit Bannern und feministischen Parolen. „Seit 200 Jahren sind Männer an der Macht. Schluss damit!“, hieß es auf einem der Plakate. „Seit 1796, nach dem Tod Katharinas II., haben ausschließlich Männer unser Land regiert (…) und sie sind nicht besonders erfolgreich, wenn man die Situation der Frauen betrachtet“, erläuterten die Aktivistinnen in einer Presseerklärung.  

Auch die anderen Plakate fielen auf: „Wir wollen eine Präsidentin!“, „Wir wollen eine Patriarchin!“ oder „Männer, raus aus dem Kreml!“. Die Forderungen seien radikal, räumten die Feministinnen ein, niemand wolle die Männer tatsächlich aus der Regierung vertreiben oder den Staatschef entmachten. „Die Parolen müssen auffallen, damit wir die Aufmerksamkeit auf das wirkliche Problem lenken können“, erklärte Leda Garina, die Sprecherin der Gruppe, dem Radiosender Radio Swoboda in einem Interview.  

Das Problem sei die fehlende Gleichstellung von Mann und Frau in Russland: Frauen verdienten weniger Geld für die gleiche Arbeit, Männer würden für hohe Posten bevorzugt und häusliche Gewalt sei weit verbreitet. Jede dritte russische Frau werde Opfer von Gewalt, erklärten die Feministinnen.

Die an diesem Tag im Kreml festgenommenen Aktivistinnen wurden bald freigelassen, weil die Polizisten meinten, es sei ja schließlich Frauentag.  / TASSDie an diesem Tag im Kreml festgenommenen Aktivistinnen wurden bald freigelassen, weil die Polizisten meinten, es sei ja schließlich Frauentag. / TASS

Die Polizei verhaftete die Protestteilnehmerinnen am Kreml zunächst, ließ sie jedoch kurz danach ohne Konsequenzen wieder gehen. „Sie feiern ja heute“, zitierte die Zeitung „Nowaja Gaseta“ die Polizisten. 

Demonstrationen mit Forderungen nach Gleichberechtigung für Frauen sind in Russland eher selten. Nicht einmal an den Protesten des „Women’s March“, die nach der Amtseinführung von Donald Trump fünf Millionen Menschen auf der ganzen Welt auf die Straßen zog, beteiligte sich Russland.

„Aktivistinnen versuchen, den Weltfrauentag wieder umzudenken“, bemerkt Michail Winogradow, Leiter der Stiftung Petersburger Politik. Der Tag, der ursprünglich der Solidarität von Frauen im Kampf um Emanzipation gewidmet war, verlor zu Sowjetzeiten seine politische Bedeutung. Übrig blieb ein Tag, an dem Männer Frauen gratulieren und ihnen Blumen schenken. Von Gleichberechtigung ist heute keine Rede mehr. 

Feminismus ist in Russland nicht populär

„Wir wollen eine Patriarchin!“ lautet die Parole einer anderen Aktivistin.  / TASS„Wir wollen eine Patriarchin!“ lautet die Parole einer anderen Aktivistin. / TASS

Entsprechend groß ist das Desinteresse der russischen Gesellschaft an feministischen Konzepten, wie der Psychologe Pawel Ponomarew betont: „Der allgemeine Konsens ist, dass es Gleichberechtigung bereits gäbe und niemand mehr darum kämpfen müsse. Ich bin mir nicht sicher, dass das wirklich so ist, aber fest steht: Feminismus ist kein populäres Massenphänomen.“ Die Frauenbewegung in Russland bestehe aus einzelnen Aktivistengruppen, die von der Bevölkerung eher mit Skepsis wahrgenommen werden. „Ihnen wird gern Parteilichkeit vorgeworfen“, erklärt Ponomarew. 

Michail Winogradow stimmt seinem Kollegen zu. „Es gibt keine Frauenbewegung in Russland. Einzelne politische Aktivistinnen versuchen, westliche Ideen der Gleichberechtigung durchzusetzen, aber sie sind in der Minderheit. Es gibt zwar auch russische Geschäftsfrauen, die auf ihren eigenen Erfolg fixiert sind. Die Mehrheit machen jedoch Frauen mit traditionellen Ansichten aus – ihnen ist der Feminismus egal“, sagt der Politikexperte.

Das weiß auch Leda Garina, die sich davon aber nicht einschüchtern lässt: „Die Mehrheit der Frauen akzeptiert das, was ihnen von außen aufgezwungen wird, die Meinung, dass es keine Ungleichheit gäbe. Und meine Aufgabe besteht darin, sie aufzuklären.“ So hofft die Feministin, dass durch die Demonstrationen am 8. März mehr russische Frauen von der Genderproblematik in Russland erfahren und ihre Rechte aktiver verteidigen werden. 

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