Johann Krammer: Der Österreicher im orthodoxen Priestergewand

Als er mit seinem Fahrrad an der Kathedrale zum Heiligen Nikolaus in Wien vorbeikam, war er wie gebannt – Johann Krammer entdeckte seine Liebe zur russisch-orthodoxen Kirche. Jetzt – gut fünfzig Jahre später – wurde der Österreicher zum Priester geweiht.

Johann Krammer (rechts) ist Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Wien. Foto aus dem persönlichen ArchivJohann Krammer (rechts) ist Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Wien. Foto aus dem persönlichen Archiv

Johann Krammer hat viele Titel. Er ist Regierungsrat, Professor und hat einen Doktor in Theologie und Slawistik. Im März dieses Jahres wurde der gebürtige St. Pöltner, der sein ganzes Leben in Niederösterreich verbracht hat, zum orthodoxen Priester geweiht. Seit seiner Jugend trägt er einen zweiten Namen, oder, besser gesagt, einen Spitznamen – Iwan Iwanowitsch.

Würden Sie erst seit Kurzem zur Gemeinde der russisch-orthodoxen Kathedrale zum Heiligen Nikolaus in Wien gehören, dann würden Sie wohl nicht sofort merken, dass Russisch nicht die Muttersprache dieses älteren Geistlichen ist. Sowohl auf Russisch als auch auf Altkirchenslawisch spricht Johann Krammer deutlich und fließend.

„Alle Russen haben mich Iwan Iwanowitsch genannt und so bin ich zu diesem Namen gekommen“, erzählt der Professor. Er sitzt in einem breiten Sessel in seiner bescheidenen Wohnung, die aussieht wie zu Ende der 1970er, voll mit Büchern, Ikonen und Gemälden.

„Im Inneren gehörte ich schon zur russischen Kirche“

Sein inniges Verhältnis zu osteuropäischen Kulturen begann bereits während seiner Schulzeit, als Krammer die Familie seiner ukrainischen Schulkameraden kennenlernte. „Schon als Gymnasiast interessierte ich mich für alle Kulturen und fremde Völker“, erzählt der Professor. Später studierte er Theologie an der Universität Innsbruck und traf dort eine Gemeinde von Kosaken, die Russland im Zweiten Weltkrieg verlassen hatten. Noch später, in Rom, wo er am Päpstlichen Orientalischen Institut studierte, machte er Bekanntschaft mit Studenten aus der Sowjetunion, die gegen Ende der 1960er Jahre erstmalig zum Studium nach Rom kommen konnten. 

Bild aus dem persönlichen ArchivBild aus dem persönlichen ArchivIn die russisch-orthodoxe Kathedrale zum Heiligen Nikolaus in Wien kam der zukünftige Vater Johann 1961 durch Zufall. „Damals hatte man nicht viel Geld und so fuhr ich mit dem Fahrrad von St. Pölten nach Wien. Unterwegs kam ich im dritten Bezirk vor der Kirche vorbei“, erinnert sich Krammer. Für die 60 Kilometer lange Strecke brauchte man mit dem Fahrrad einen halben Tag, zunächst musste die Passhöhe Riederberg erklommen werden, bevor es eine lange Strecke den Berg hinunter Richtung Stadt ging. „Das war sehr gut“, fügt Krammer schmunzelnd hinzu. 

Diese großartige Kathedrale, die im ausgehenden 19. Jahrhundert nahe der russischen Botschaft in Wien errichtet wurde, war damals noch nicht so schön wie heute – in den 2000er-Jahren wurde die Kirche saniert. Die weitgehend isolierte Gemeinde bei der sowjetischen Botschaft war sehr klein. „Damals waren wir froh, wenn 20, 30 oder 40 Leute in die Kirche gingen“, sagt Vater Johann. Heute kommen an einem gewöhnlichen Sonntag einige Hundert Menschen zu den beiden Liturgien in die Kathedrale, wo acht Priester und drei Diakone tätig sind. 

Der junge Krammer war beeindruckt von der Schönheit des orthodoxen Gottesdienstes. Fortan ging er regelmäßig hin und freundete sich mit den Priestern an. „Offiziell war ich noch katholisch, obwohl ich im Inneren eigentlich schon zur russischen Kirche gehörte“, sagt er.

Nach dem Studium in Rom, Anfang der Siebzigerjahre, kehrte er zurück, promovierte in Theologie und Slawistik und begann, am Gymnasium in St. Pölten Russisch zu unterrichten. Dazu kamen noch Religionsunterricht, eine Professur am Religionspädagogischen Institut und eine Dozentur an der Philosophisch-Theologischen Hochschule. Damals konvertierte er zum orthodoxen Glauben und diente ab und zu in der Nikolaus-Kathedrale als Lektor, Altardiener und Assistent des Bischofs. Krammer gründete in der Kathedrale gar eine Sonntagsschule, aber Priester wollte er dennoch nicht gleich werden. „Ich wollte bis zu meiner Pension warten. Ich hatte damals sehr viel Arbeit. Aber jetzt ist es an der Zeit gewesen“, sagt Krammer. Am 12. März 2017 wurde der seit 2012 dienende Diakon Krammer zum Priester geweiht.  

Einer der ersten Gottesdienste, die er leitete, war die Beerdigung seiner Frau Franziska, die einer langen und schweren Krankheit erlag. Vater Johann selbst leidet bereits seit einigen Jahren an Krebs. Als er nach einer Pause wieder zu den Gottesdiensten kam, dankte er mit Tränen in Augen allen, die für ihn gebetet hatten. Seine Frau kam aus Bulgarien, sie schenkte ihm zwei Söhne – der eine ist Jurist, der andere IT-Spezialist. Im Hause Krammer wurden immer zwei Sprachen gesprochen: Deutsch und Bulgarisch.  

„Die Religion gehört zu den Wurzeln des Menschen“

Johann Krammer lebt sehr bescheiden. Dieses Foto zeigt den Theologen bei sich zu Hause. Foto: Andrei ZolotovJohann Krammer lebt sehr bescheiden. Dieses Foto zeigt den Theologen bei sich zu Hause. Foto: Andrei Zolotov

Auch als emeritierter Professor ist Johann Krammer sehr arbeitsam. Unter anderem ist er als Übersetzer tätig – im vergangenen Jahr brachte er mit einer Kollegin einen ins Deutsche übersetzten Sammelband mit Ansprachen und Aufsätzen des russischen Patriarchen Kyrill heraus. Derzeit arbeitet Vater Johann an einem Lehrbuch für orthodoxe Religion, das für österreichische Schulen konzipiert ist.  

Er wirkt auch im Orthodoxen Schulamt, das den Religionsunterricht in den österreichischen Schulen organisiert. In Österreich ist Religionsunterricht obligatorisch, sofern man sich nicht offiziell abmeldet. Professor Krammer weiß, dass konfessioneller Unterricht in Russland sehr umstritten ist. „Wenn ich bei dem Baum die Wurzeln nicht pflege, wird sich der ganze Baum nicht richtig entwickeln. Und so ist es auch in der Schule. Die Religion gehört zu den Wurzeln des Menschen“, erklärt der Theologe seinen Standpunkt.   

In St. Pölten ist Krammer gut bekannt. Während unseres halbstündigen Spaziergangs wurde der Professor immer wieder gegrüßt. Er antwortet auf solche Grüße, indem er seinen Hut kurz hebt. Wie war es zu Sowjetzeiten? Wurde er für einen feindlichen Agenten gehalten? Nein, sagt Krammer. So ein Verdacht galt nur für Kommunisten. Er war ja Christ. „Bei mir bestand diese Gefahr nicht, weil ich Gläubiger bin, ich ging immer in die Kirche. Das wussten alle“, antwortet er. 

Johann Krammer (links) mit dem Patriarchen von Moskau Kyrill (rechts). Foto aus dem persönlichen ArchivJohann Krammer (links) mit dem Patriarchen von Moskau Kyrill (rechts). Foto aus dem persönlichen Archiv

Professor Krammer war mehrmals in der Sowjetunion, in Moskau als auch in anderen Städten, als Student und Reiseleiter. Während der Perestroika kam er mit Hilfspaketen und Tausenden von Religionsbüchern. Von 1970 bis 2013 arbeitete er als Reiseleiter für österreichische und deutsche Touristen, die er nach Russland begleitete. Die Organisation solcher Bildungs- und teilweise auch Pilgerfahrten war zu der Zeit sein großes Hobby. Fast die Hälfte dieser Reisen entfiel auf postsowjetische Länder, aber nicht nur: Krammer blickt seine Notizen durch, wo Indien, Nepal, Peru, Japan und andere Länder stehen. Jedes Mal, so erzählt er, bereitete er sich akribisch auf die Reisen vor, las viel über die Länder und schenkte dabei seine besondere Aufmerksamkeit – natürlich – der Religion. 

„Ich glaube, wenn die Menschen sehr viel von der Welt kennen, bedeutet das eine große Bereicherung. Und es ist wichtig, dass die Menschen nicht einfach als Touristen reisen, sondern dass geistliche Werte vermittelt werden“, sagt Vater Johann.

Ob er sich als Botschafter der russischen Kultur fühlt? Selbstverständlich, antwortet er rasch – für ihn gehöre die Kirche ebenfalls zur Kultur, die Russland und Europa verbinde. „Ich glaube, dass vor allem Literatur und Musik die Brücke ausmachen, die bereits seit Jahrhunderten besteht und Russland mit Mitteleuropa verbindet. Die Kirche war da nicht so stark, wurde aber auch immer wieder zu einer Brücke, und besonders wenn ein Gottesdienst schön und würdig zelebriert wird, wenn es einen guten Chor gibt –  ist das ein wichtiges Zeugnis nicht nur für den orthodoxen Glauben, sondern auch für die russische Kultur“, findet Krammer.

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