Spielerische Propaganda: Sieben frühe sowjetische Kinderbücher

Kultur
TOMMY O'CALLAGHAN
Märchengeschichten waren in den Zwanzigerjahren nicht erwünscht. Stattdessen lasen die Kinder über Kolchosen und die Vorrangstellung Lenins.

Erinnern Sie sich daran, vor dem Einschlafen eine Bildgeschite über Stalins ersten Fünfjahresplan gelesen zu haben? Ich auch nicht. Dies war jedoch Teil der Kindererziehung in den frühen Tagen der Sowjetunion, als talentierte Illustratoren geniale, engagierte und aufsehenerregende Wege entwickelten, um Kinder für den Kampf der Arbeiterklasse zu begeistern.

1. Der bolschewistische Igel (P. Jakowlew, 1925)

Dieses illustrierte Gedicht zeigt den Kampf im Wald zwischen einem „Arbeiter-Igel“ und einem „brutalen Zarenschwein“. Das tyrannische Wildschwein hindert die aus allen möglichen Arten stammenden Kameraden des Igels daran, Fußball zu spielen. Es wird mit deren Kameradschaft konfrontiert, als die Tiere (angeführt vom edlen Igel) durch den Wald marschieren und „Ewige Freiheit für das wilde Volk“ singen und dann ihren Unterdrücker stürzen. Klingt irgendwie vertraut.....

2. Der erste Mai (A. Barto, mit Illustrationen von A. Deineka, 1930)

Nachdem sie an einem heißen Frühlingsmorgen aufgewacht sind und eifrig ihre Kolchose gepflügt haben, bietet sich den Brüdern Fedka und Aljoschka die Möglichkeit, das zu tun, wovon die meisten Kinder nur träumen können – zur Mai-Demonstration auf dem Roten Platz zu gehen. Ob Züge oder Flugzeuge, die Jungen staunen über den technologischen Fortschritt der Sowjetunion. Anschließend treffen sie sich im Waisenhaus mit Kindern der Pionierorganisation zu einem Gespräch über das Leben Lenins. Ach, sorglose Kindheit!

3. Kolka und Lenin (I. Moltchanow, mit Illustrationen von S. Kostin, 1927)

„Was sind Städte?“ sinniert Kolka, als er aus dem Fenster auf die vorbeifahrenden Züge starrt. Er weiß, dass es in den Städten Straßenbahnen, die jedem Wetter standhalten, und Häuser von der Größe von Fabriken gibt. Und wem ist das alles zu verdanken? „Lenin, dem netten alten Mann, der uns zum Sieg geführt hat“, erklärt ihm sein Buch. Wer sonst sollte es sein?

In dieser Nacht trifft Kolka – wie durch einen Zauber – den weisen alten Mann, der ihm die Welt (oder genauer gesagt das beeindruckende sowjetische Eisenbahnsystem) zeigt. Doch dann wendet sich das Blatt: Kolka erkennt, dass es alles nur ein Traum war, als er aufwacht und in der Zeitung liest: „LENIN IST TOT“. Die ganze imaginäre Eisenbahn fährt umsonst!

4. Der Fünfjahresplan (A. Laptjew, 1930)

Stalins erster Fünfjahresplan fällt einem nicht als erstes ein, wenn Kinder nicht einschlafen können, aber die Sowjetregierung hat es wirklich geschafft, das Projekt so ästhetisch interessant wie möglich zu gestalten. Mit leuchtenden Farben und ansprechenden Grafiken hämmert das Buch die Lobpreisung neuer Industrien ein und lässt alles so einfach und aufregend aussehen wie eine Stunde Kunstunterricht.

5. Alles über Lenin für Kinder (A. Kratschenko, mit Illustrationen von B. Kustodijew, 1926)

Diese Illustration ist weniger eine Lektion in Bolschewismus, als vielmehr eine Predigt darüber, wie großartig Lenin ist. Schau ihn dir an: Er kauft einem Kind ein Boot, er kocht Essen für einen Kindergarten und er verteilt sogar den Kaviar und Kakao der Bourgeoisie an solche Kinder, die es verdienen. Im Grunde genommen ist er der Weihnachtsmann, aber mit einem viel cooleren Bart.

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6. Die Parade der Roten Armee (A. Deineka, 1930)

Die Gestaltung des Buches  „Die Parade der Roten Armee“ gehört zu den etwas abstrakteren sowjetischen Kinderbuchillustrationen: Die hellrote und gelbe Farbe erweckt den Eindruck, als befände sich die Revolution in einem permanenten Zustand des Spätsommers. Die Individuen der Parade sind ewig gesegnete Tauben und die gleißende Sonne, während die Teilnehmer als warme, geschlossene und harmlose Masse dargestellt werden. Sicherlich eine der kunstvollsten Methoden der Geschichte, um Kinder zum Eintritt in die Armee zu ermutigen.

7. Der Subbotnik (M. Ruderman, mit Illustrationen von K. Kusnezow, 1930)

Die vielleicht beiden häufigsten Stilmittel der frühen sowjetischen Kinderliteratur sind Realismus und Einbeziehung der Leser. Beides kann nicht offensichtlicher zum Einsatz kommen als im Gedicht „Der Subbotnik“, das sich mit dem scheinbar banalen Thema der Eisenbahnarbeiter beschäftigt, aber den Leser dabei zu einem aktiven Teilnehmer am Aufbau des Kommunismus werden lässt. Am Ende des Gedichts erhält der Protagonist (dargestellt als gesichtsloses Kind) direkte Anweisungen vom Chef, der einen zusätzlichen Helfer beim Entladen der Kartoffeln benötigt: „Gaff nicht herum! Zurück an die Arbeit! Brust hoch! Sei fröhlich!“

Für die harte Arbeit wird man belohnt, indem man es pünktlich zu einem großen Teller Kartoffeln nach Hause schafft. Gute Arbeit, Kamerad!

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