Von Kavalleristin bis Mathematikerin: Wer waren die ersten russischen Schriftstellerinnen?

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Frauen in Russland schreiben seit dem 18. Jahrhundert Gedichte und Übersetzungen, bis hin zu Belletristik in Form mystischer und sentimentaler Romane. Die Schwester Peter des Großen, Prinzessin Natalia Alexejewna, schrieb Stücke für ihr eigenes Theater. Auch sind die publizistischen Talente Katharina der Großen weltweit bekannt. Hier stellen wir die wichtigsten ersten Schriftstellerinnen Russlands vor.

1. Natalia Dolgorukowa (1717-1771)

Als eine der ersten Schriftstellerinnen und Memoirenschreiberinnen gilt die Fürstin Natalia Dolgorukowa. In ihrer Biografie gab es ein wahres Auf und Ab – von der Annäherung an den Hof Peter II., über die Entehrung ihres Mannes und die Verbannung nach Sibirien, bis hin zur Ablegung der Ordensgelübde.

Sie war diejenige, die die „Notizen von Prinzessin Natalia Borissowna Dolgoruka, Tochter des Feldmarschalls Graf Boris Petrowitsch Scheremetew“, hinterlassen hat. Der Literaturwissenschaftler Dmitri Swjatopolk-Mirskij lobte ihren Text hinsichtlich der  „Aufrichtigkeit der Geschichte“ und der „großartigen, sauberen russischen Sprache“.

2. Anna Bunina (1774-1829)

Anna Bunina war die erste professionelle russische Dichterin, die „russische Sappho“. Iwan Bunin gehörte übrigens zu ihrer Familie. Sie schrieb Oden über Heldentaten, für die sie von Karamsin und Derschawin gelobt wurde. Doch jüngere Zeitgenossen aus dem „goldenen Zeitalter der russischen Poesie“ hielten ihre Gedichte für altmodisch und bezeichneten sie als eine „poetische Leiche“. Selbst Alexander Puschkin spottete über ihren „Unsinn“ und ihre „albernen Gedichte“. Auch Konstantin Batjuschkow scherzte böswillig in Anspielung auf Sapphos Selbstmord: „Doch es tut mir leid, / Kennst du doch den Weg zum Meer nicht“.

3. Nadeschda Durowa (1783-1866)

Die tapfere Kavalleristin, die in der Armee diente und gegen Napoleon kämpfte, zog es vor, Alexander Alexandrow genannt zu werden. Ihr Hauptwerk „Notizen eines Kavalleriemädchens“ wurde erstmals von Alexander Puschkin veröffentlicht. Tatsächlich war er es, der ihre Identität und ihr Geheimnis gegen ihren Willen preisgab. Dies stieß bei Durowa auf Empörung, doch Puschkin entgegnete ihr: „Sei mutig – betrete das Feld der Literatur so mutig wie das, was dich berühmt gemacht hat.“

Durowa schrieb über ihr Leben und den schrecklichen, verletzlichen Zustand, in dem sich Frauen ihrer Zeit befanden, die regelrecht dazu geboren würden, „in Sklaverei zu leben und zu sterben“. Sie berichtet von ihrem festen Entschluss, sich um jeden Preis „von dem Geschlecht zu trennen, von dem sie glaubte, dass es unter dem Fluch Gottes stünde“. Auch beschreibt sie, wie sie zum Wehrdienst überredet wurde und an welchen ersten Schlachten sie teilnahm.

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4. Jekaterina Awdejewa (1788-1865)

Im Gegensatz zu den meisten adligen Schriftstellerinnen stammte Awdejewa aus einer Kaufmannsfamilie und erhielt keine Ausbildung, auch keine hauswirtschaftliche. Sie lebte in Irkutsk, unternahm ausgeprägte Reisen und schrieb eines der ersten russischen ethnografischen Bücher namens „Sibirien – Notizen und Kommentare“ (1837). Darin sammeln sich Geschichten über das Leben und die Sitten dort, sowie ebenso Notizen über die sibirische  Folklore und alte russische Lieder.

Später schrieb Awdejewa Bücher über Haushaltsführung und Volksmedizin. Sie veröffentlichte ebenfalls ein Kochbuch und Liederbücher sowie Volksmärchen für Kinder. Volkskundler und Märchensammler lobten ihre Arbeit und die Tatsache, dass sie „den Volksmund authentisch wiedergab“. Im Jahr 1859 wurde ein „Literarischer Fonds“ zur Unterstützung von Schriftstellern in Russland eingerichtet, aus dem Awdejewa bis hin zu ihrem Lebensende eine Rente erhielt.

5. Sofja Kowalewskaja (1850-1891)

Kowalewskaja ist natürlich in erster Linie als die weltweit erste Professorin für Mathematik bekannt. Ein brillanter Mensch ist jedoch in allem brillant und so entkam auch der Bereich der Literatur nicht ihrer schöpferischen Kraft. Sie schrieb auf Russisch und Schwedisch, da sie einen Teil ihres Lebens in Schweden verbrachte. Ihr Interesse galt besonders dem Freidenkertum und den Jugendunruhen der 1860er Jahre. Beispielhaft dafür steht ihr Roman „Die Familie Woronzow“ über die Narodnik-Bewegung, eine soziale Populisten-Bewegung der 1870er Jahre.

Eines ihrer bekanntesten Werke ist der Roman „Die Nihilistin“ aus dem Jahre 1884. Er basiert auf wahren Begebenheiten. Vera Gontscharowa, eine Nichte von Puschkin, beschloss, einen Fremden zu heiraten, der als Volksrevolutionär angeklagt und verurteilt wurde. Übrigens war Kowalewskaja daran beteiligt, eine Heiratserlaubnis für sie zu erwirken. Die Geschichte wurde auf Schwedisch und Russisch veröffentlicht. In Russland wurde sie allerdings ziemlich schnell verboten. Die Zensurbehörde rechtfertigte dies mit der in ihr enthaltenen Sympathie für den Nihilismus und der düsteren, nahezu grauenvollen Darstellung „der Not politischer Gegner und der Grausamkeit der Regierung des russischen Kaiserreichs“.

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