7 Geschichten von Anton Tschechow, die jeder lesen sollte

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Wenn Sie keine Zeit haben, eine ganze Sammlung von Kurzgeschichten zu lesen, finden Sie hier die wichtigsten Werke des Autors, von dem der Aphorismus Kürze ist die Schwester des Talents stammt.

Tschechow schrieb mehr als 500 Kurzgeschichten, die ebenso tiefgründig und kunstvoll sind wie die großen Romane anderer Schriftsteller. Er war der erste, der sich nicht auf die ernsthafte Suche nach herausragenden Helden und auf große Dramen konzentrierte, sondern auf die Alltäglichkeiten des Lebens. Die Helden seiner Geschichten verlieren sich meist in den Umständen des Alltags und haben oft keine eigenen Ambitionen. Die Zeitgenossen waren begeistert – diese Figuren sind echte Menschen. Tschechow bewertet sie nicht, prangert sie nicht an, sondern fixiert sie nur mit dem Blick eines distanzierten Beobachters. Wir präsentieren sieben Geschichten des Meisters, die Sie kennen sollten.

  1. Ein Chamäleon, 1884.

Eine kleine Episode, die sich auf dem Marktplatz der Stadt N zuträgt. Ein Hund beißt den Goldschmied Chrjukin in den Finger. Dem vorbeikommenden Reviervorsteher Otschumelow missfällt die Menschenansammlung. Der Ordnungshüter ist zunächst entrüstet und fordert, der Hund müsse eingeschläfert und sein Besitzer mit einer Geldstrafe belegt werden. Doch als er erfährt, dass der Hund dem General gehöre, änderte sich seine Meinung. „Wie konnte er dich beißen?“, fragt er den Goldschmied. Doch dann stellt sich heraus, dass der Hund vielleicht gar nicht dem General gehört? Also dann – sofort umbringen! Was, er gehört dem Bruder des Generals? „Das ist also sein Hündchen? Freut mich sehr...“

Eine der ersten Erzählungen Tschechows, die jedem Schulkind bekannt ist und zeigt, wie ein Mensch seine Meinung ändern kann, je nachdem, mit wem er zu tun hat – mit einem Vorgesetzten und höheren Beamten oder mit einfachen Menschen.

  1. Wanka, 1886

Der neunjährige Iwan hat weder einen Vater noch eine Mutter und ist bei einem Schuster in der Lehre. Am Abend vor Weihnachten, als alle zur Arbeit gegangen sind, nimmt Wanja ein zerknittertes Blatt Papier heraus und beginnt, einen Brief an seinen Großvater zu schreiben. Der Junge schildert ihm, wie schlecht der Schuster ihn behandelt, wie ärmlich er gefüttert und selbst für den kleinsten Fehler geschlagen wird und wie die anderen Lehrlinge sich über ihn lustig machen. Der Junge bittet seinen Großvater, ihn mitzunehmen, und verspricht, ihm zu gehorchen und bei allem zu helfen. „Ich würde zu Fuß ins Dorf laufen, aber ich habe keine Stiefel und ich fürchte den Frost.“

Wird das Weihnachtswunder geschehen? Nun, Wunder geschehen im wirklichen Leben nur selten. Anstelle der genauen Adresse schreibt der Junge auf den Umschlag „An den Großvater im Dorf“. Der Brief ist wohl nie beim Großvater angekommen... Die Redewendung ist zu einem geflügelten Wort geworden, zum Synonym für einen Brief ohne Adresse oder etwas, was ins Ungewisse führt.

  1. Kaschtanka, 1887

Ein kleiner Hund, „eine Kreuzung von Dackel und Bauernköter“, hat sich verirrt – sein Besitzer ist betrunken und hat ihn aus den Augen verloren. Auf der Straße nimmt ein Fremder die Hündin mit, fütterte sie, behält sie bei sich und gibt ihr den Spitznamen Kaschtanka. Der neue Besitzer entpuppte sich als Zirkusartist und beschließt, die Hündin für eine Show zu trainieren. Bei ihrem Debüt ruft jemand ihren alten Spitznamen – es stellt sich heraus, dass ihr früherer Besitzer sich unter den Zirkus-Besuchern befindet.

Tschechow vermenschlicht den Hund bis zum Äußersten und stattet ihn mit Gedanken und Gefühle aus – um so deutlicher wird ihr Unterschied zum Menschen. Kaschtanka hängt an ihrem alten Herrchen, selbst wenn sie satt in ihrem neuen Haus einschläft, trauert sie um ihn und erinnert sich mit Wehmut an die Hänseleien seines Sohnes. Niemals würde sie ihr Herrchen gegen Komfort und warmes Essen eintauschen, nicht einmal gegen den Ruhm eines Zirkuslebens und so kehrt sie sofort zu ihm zurück, als dieser sie ruft.

  1. Der Student, 1894

Als Iwan Welikopolskij, Student an der Geistlichen Akademie, nach Hause geht, wird es plötzlich kalt und ein starker Wind beginnt zu wehen. Seine Gedanken sind düster, er denkt, dass derselbe Wind bereits unter Fürst Rjurik und Zar Peter geweht hat und bereits seit Tausenden Jahren weht und in all der Zeit hat sich nichts geändert – die gleiche Armut, Traurigkeit und Unwissenheit um ihn herum. Unterwegs schaut der Student bei zwei verwitweten Bäuerinnen aus seinem Dorf vorbei, Wassilissa und deren Tochter Lukerja. Aus Langeweile erzählt er ihnen die biblische Geschichte von der Verleugnung Christi durch Petrus und deutete an, dass es sich um eine ähnlich beängstigende und kalte Nacht gehandelt habe. Seine Geschichte bringt die Mutter zum Weinen und er erkennt, dass sie die Qualen des Apostels wirklich nachempfindet und ihr dieses biblische Ereignis sehr nahe geht...

In dieser kurzen Geschichte erlebt der Held eine unglaubliche Veränderung. Während ihn die Lektüre der Evangelien und Kirchenbücher langweilt, vermittelt ihm die Begegnung mit wirklichen Menschen und deren realen Erfahrungen einen Einblick in den Sinn des Lebens.

  1. Das Haus mit dem Mezzanin, 1896

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive eines Künstlers erzählt, der ein müßiges Leben führt und dessen einzige Interessen Spaziergänge und Teepartys sind. Eines Tages lernt er eine Witwe und deren beide Töchter kennen, die nebenan in einem Haus mit einem Zwischengeschoss wohnen. Die jüngere Schwester, jung und verträumt, ist von den Bildern des Künstlers fasziniert und er verliebt sich in sie. Die Ältere ist das genaue Gegenteil: Sie ist tatkräftig, arbeitet in einer Schule, unterrichtet die Kinder der Bauern, nimmt Kranke auf und versucht, eine medizinische Einrichtung für die Bauern zu schaffen... Ihre Betriebsamkeit irritiert den Künstler.

In der Geschichte lässt Tschechow zwei gegensätzliche Naturen aufeinanderprallen: Auf der einen Seite steht eine aufgeschlossene und engagierte Person, die es für wichtig hält, den Menschen zu helfen, und sei die Hilfe noch so unbedeutend (Tschechow selbst war ein Anhänger der Theorie der kleinen Dinge und nahm kranke Bauern kostenlos auf seinem Landgut auf). Auf der anderen Seite steht der Philosoph, der glaubt, globale Veränderungen seien notwendig, aber es lohne sich bis dahin nicht zu handeln.

  1. Der Mann im Futteral, 1898

Selbst bei schönem Wetter geht der Lehrer Belikow im Mantel und mit einem Regenschirm zur Arbeit in die Schule. Fast alle seine Habseligkeiten bewahrt er in Futteralen auf. Sein Gesicht verbirgt er hinter seinem Kragen. Überall und in allem liebt er die Ordnung, ist sehr misstrauisch und ängstlich. Und erst, als er im Sarg liegt, hat er einen fast fröhlichen Gesichtsausdruck, „als freute er sich, dass man ihn in ein Futteral gesteckt hatte, aus dem er nie mehr herauszukommen brauchte.“

Tschechow zeigt einen einsamen Mann, der sich in von der Welt abkapselt. Und dessen Leben ist unbemerkt, so leer und bedeutungslos, dass niemand traurig ist, als er stirbt...

Mann im Futteral ist zu einem sprichwörtlichen Ausdruck mit einer negativen Konnotation geworden – er bezeichnet einen Menschen, der Angst hat, sich der Welt zu öffnen und viele Chancen verpasst, wenn er nicht aus seiner Komfortzone heraustritt.

  1. Die Dame mit dem Hündchen, 1899

Zwei unglücklich Verheiratete begegnen sich im Urlaub auf der Krim und haben eine Romanze. Nach ihrem Urlaub kehren sie zu ihren Familien zurück, sehnen sich aber nacheinander. Als sie erkennen, dass sie ihre wahre Liebe gefunden haben, beginnen sie, sich heimlich zu verabreden und von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen...

Die Geschichte wurde mehrfach adaptiert und bietet viel Raum für Interpretationen. Einmal mehr schreibt Tschechow hier nicht über Helden, die ihr Glück suchen und erkämpfen, sondern über jene, die sich dem Fluss des Lebens hingeben.

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