Riga statt Berlin: Die Darstellung westlicher Städte in sowjetischen Filmen

Kultur
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Genehmigungen für Dienstreisen ins Ausland waren für sowjetische Filmemacher nicht einfach zu beschaffen. Passende Drehorte mussten daher in Pavillons gebaut oder innerhalb der Sowjetunion gefunden werden. Diese Städte wurden zu wichtigen Nachbildungen der ausländischen Originale.

Santa Carolina, USA – Koktebel und Umgebung 

Das abgelegene Städtchen Santa Carolina im Wilden Westen „wuchs“ auf der Krim bei den Dreharbeiten an der Westernkomödie „Der Mann vom Kapuziner-Boulevard“ (1987). Reisen in die USA waren für diesen Dreh nicht eingeplant, eine geeignete Naturkulisse musste also innerhalb der sowjetischen Grenzen gefunden werden. Die Krim war dafür der perfekte Ort: Die ortstypische Natur erinnerte tatsächlich an die Prärie des Wilden Westens, und dank der landschaftlichen Vielfalt konnte mit dem Filmmaterial der Eindruck erweckt werden, als spielten die Szenen an unterschiedlichen Orten. 

Die wichtigsten Drehorte waren die Umgebung der hellweißen Felsen Belaja Skala (Weißer Felsen) und das Ufer der Bucht Tichaja Buchta (Stille Bucht) bei Koktebel. Hier wurden Szenen der Indianerjagd, der Überfall einer Bande auf die Postkutsche von Johnny First und Spaziergänge der Hauptfiguren gedreht.  

Die Bemühungen des Teams zahlten sich aus. Auf dem Filmfestival „Golden Duke-87“ zeichnete die Jury den Film mit dem besonderen Preis „Für eine wirklichkeitsgetreue Darstellung des Wilden Westen unter den wilden Bedingungen der sowjetischen Filmproduktion“ aus.  

Grafschaft Devon, England – Kap Ai-Todor und Umgebung 

Auf der Suche nach einem passenden Schloss für die Verfilmung des Romans von Agatha Christi „Zehn Negerlein“ (1987) reiste das Filmteam die gesamte Westküste der UdSSR ab, allerdings ohne Erfolg. Auf der Krim schließlich entdeckten sie eine Naturkulisse, die ihren Ansprüchen genügte. Es fehlte nur ein Schloss: Das bauten sie eigens für ihre Dreharbeiten auf einer wilden Klippe in der Nähe des bekannten „Schwalbennestes“.  

Beim Bau des Schlosses von Mister Owen, wo die Handlung spielt, halfen Sportkletterer. Es entstand auf einem kargen, vom Meer umspülten Felsen.

Andere Szenen wurden im „Schwalbennest“ selbst gedreht, einem Schloss aus dem beginnenden 20. Jahrhundert im Stil der Neugotik. Für das sowjetische Filmpublikum, das dieses architektonische Wahrzeichen sofort erkannt hätte, wurde das Bauwerk sorgfältig verfremdet und auf Panorama-Einstellungen verzichtet.   

London, England – Tallin, Republik Estland  

Für die Verfilmung eines weiteren Agatha-Christie-Krimis, „Das Geheimnis der Schwarzdrosseln“ (1983), musste eine besonders erfinderische Lösung gefunden werden, da nur drei Personen des Filmstabs nach London ausreisen durften – der Kameramann, der Regisseur und ein Assistent. Sie filmten dort die Stadt, wo die Handlung angesiedelt sein sollte, in der Totale. Die Szenen selbst wurden in Estland gedreht, in der Nähe der Hauptstadt Tallin. Die Wahl für die Dreharbeiten fiel auf das Herrenhaus Wasalemma. Das Gebäude, dessen erste Bauphase in das frühe 18. Jahrhundert zurückreicht, erinnert stilistisch an eine englische Ritterburg. Es fügte sich daher perfekt in das Sujet der Romanvorlage.  

Südküste Englands – Kaunas, Republik Litauen  

Eine weitere Ersatzkulisse für England war Litauen. Das in Südengland gelegene kleine Kurstädtchen St. Looe, in dem die Romanhandlung von Agatha Christies „Das Haus an der Düne“ mit dem berühmten Detektiv Hercule Poirot spielt, wurde in Kaunas dargestellt, der zweitgrößten Stadt Litauens. Die Szenen an der Küste Cornwalls wurden am Wasserkraftwerk von Kaunas gedreht. 

Insbesondere die Stilisierung des Regisseurs Wadim Derbenjew wurde in der Filmkritik hoch gelobt. Einige Details der Innenräume und Kostüme waren tatsächlich mit großer Präzision gestaltet.  

Istanbul, Türkei – Baku, Republik Aserbaidschan 

In der sowjetischen Filmkomödie „Der Brillantenarm“ (1969) spielte die Altstadt von Baku das türkische Istanbul. In die Türkei ließ man die Filmcrew nicht einreisen. Der wichtigste Ort der Dreharbeiten war der historische Stadtkern Itscheri-Schecher mit seinen Sehenswürdigkeiten: Palast der Schirwanschahs, Freitagsmoschee, Jungfrauenturm. Dort wurden Aushänge in verschiedenen Sprachen angebracht, unter anderem auch in persischer, die keinerlei Beziehung zu Istanbul hat. Es entstand aber immerhin der Eindruck, dass die Filmhandlung tatsächlich im Ausland spielt.    

Berlin, Deutschland – Riga, Lettland  

Das Spionagedrama „Siebzehn Augenblicke des Frühlings“ (1971-1973) über einen sowjetischen Spion, der in den inneren Machtzirkel Hitlerdeutschlands eindringt, konnte teilweise in der DDR gedreht werden. Die Rolle Berlins aber spielte das bei sowjetischen Filmemachern so beliebte Riga. Insbesondere die Straße Jauniela, die die Berliner Blumenstraße darstellte. 

Dieselbe Straße übrigens diente als Ersatzkulisse der Londoner Baker Street in einem sowjetischen Film über Sherlock Holmes.  

London, England - Leningrad   

Sankt Petersburg gilt aufgrund seiner Architektur als die europäischste russische Stadt. In sowjetischen Zeiten, als sie Leningrad hieß, sahen Filmemacher in ihr die Stadt London, wo Sherlock Holmes lebte.  

So wurde der Bagatelle-Karten-Club, wo Watson Zeuge eines Streits zwischen Sir Ronald Adair und Oberst Sebastian Moran wird, in der Stadtvilla von Matilda Kschessinskaja, einer Primaballerina am Mariinski-Theater und heimlichen Geliebten von Zar Nikolaus II., gedreht.  

>>> Top 10 der ausländischen Filme, die in der UdSSR ein Kassenschlager waren

>>> 6 Orte in Russland, die zu ausländischen Filmkulissen wurden

>>> Top 10 europäischer und US-Filmstars im sowjetischen Kino