Wer ist der dumme Iwanuschka, der größte Glückspilz der russischen Märchen?

Iwan aus dem Film "Morosko", 1964.

Iwan aus dem Film "Morosko", 1964.

Alexander Rou/Gorki Filmstudio
Diese Figur lehrt uns, dass man kein tapferer Held sein muss, um im Leben Großes zu erreichen. Freundlichkeit und Einfallsreichtum sind noch viel wichtiger.

In der russischen Folklore gibt es eine ganze Reihe von Märchen über einen nicht gerade hellen Mann namens dummer Iwanuschka. Er tut oft Dinge, die in ihrer Dummheit und Absurdität unfassbar sind. Gleichzeitig kommt er aber immer ungeschoren davon – und er hat dabei sogar noch unglaubliches Glück und wird reich oder heiratet eine Prinzessin. Warum haben die russischen Märchenerzähler einen so törichten Mann zum Helden gemacht und was ist die Moral solcher Geschichten?

Was ist so besonders am dummen Iwanuschka?

Iwan ist einer der beliebtesten russischen Vornamen. Tatsächlich hat er uralte Ursprünge im hebräischen Namen Yōḥānān (was wahrscheinlich einer der Namen Gottes ist: Jahwe oder Jehova). Der engste Verwandte dieses Namens ist Johannes im Deutschen, John im Englischen und Giovanni im Italienischen. Die alte kirchenslawische Form dieses Namens war Ioann.

Ein Standbild aus dem Animationsfilm

Die kurze und informelle Form von Iwan ist Wanja, Wanka oder Iwanuschka. Und Dummkopf heißt auf Russisch durák. Daher kann diese Figur in verschiedenen Märchen auch Wanka-durak oder Iwanuschka-duratschok heißen.

Der dumme Iwanuschka ist in der Regel ein Bauernbursche – ein Sohn armer und alter Eltern (häufig der dritte Sohn in der Familie). In der Regel vollbringt dieser Narr einige absolut ungeschickte Dinge und bringt alles durcheinander. Die Eltern schicken ihn los, um Lebensmittel zu kaufen, aber auf dem Weg nach Hause verschenkt er alles oder füttert zum Beispiel Vögel oder sogar seinen eigenen Schatten. Oder man bittet ihn, einen Tisch zu kaufen, aber als er ihn nach Hause trägt, beschließt er, dass der Tisch vier Beine hat, genau wie ein Pferd, und deshalb selbst nach Hause laufen kann (und lässt den Tisch am Wegesrand stehen).

Iwan aus dem Film

Es gibt viele kleine Geschichten, die Iwanuschkas Dummheit beschreiben. Gleichzeitig hat er ganz am Ende plötzlich Glück und ist mit all seinen Taten erfolgreich. Während die beiden älteren Söhne nach dem Prinzip der praktischen Vernunft handeln, trifft Iwanuschka, der sich auf seine eigene Intuition verlässt, oft unkonventionelle Entscheidungen, die dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen. Dabei schreckt er auch vor seltsamen Ratschlägen von außen nicht zurück und glaubt an Legenden und mythische Vorstellungen über magische Welten.

In der beliebten Erzählung Siwko-Burko erfährt Iwanuschka zum Beispiel von der Legende eines magischen Pferdes namens Siwko-Burko, das einem bei allem helfen kann. Man muss das Pferd auf einem freien Feld herbeirufen, und wenn es kommt, muss man in sein rechtes Ohr hineingehen und durch das linke Ohr wieder herauskommen, um sich schließlich in einen hübschen jungen Mann zu verwandeln. Klingt seltsam, nicht wahr? Die beiden älteren Brüder lachen über die Legende, aber Iwanuschka probiert es aus – und es funktioniert tatsächlich. Mit Hilfe des magischen Pferdes meistert er eine schwierige Aufgabe und heiratet am Ende eine Prinzessin!

Wiktor Wasnezow. Siwka-burka, 1926.

Warum sollte man aus einem Narren einen Helden machen?

Die Volksmärchen spiegeln in der Regel den nationalen Charakter wider. Der dumme Iwanuschka ist ein solcher Nationalheld, ein einfacher und naiver Mann, der nichts hatte, aber alles bekommt. Das entspricht fast der Definition des russischen Traums: Er stammt aus einfachen Verhältnissen, hat keine Chance, Großes zu erreichen (und versucht es auch gar nicht), sondern wartet auf eine magische Kraft, die ihm hilft.

Der dumme Iwanuschka verlässt sich in der Regel auf das russische Phänomen des Awós, eines alltäglichen Prinzips im Leben vieler Menschen. Es ist eine Hoffnung auf Erfolg, ohne etwas dafür zu tun und ohne viele Gründe für den Erfolg zu haben. Eine Hoffnung und ein Vertrauen auf Hilfe von Gott und übernatürlichen Kräften.

Und schließlich mussten die einfachen Leute an Märchen glauben, und magische Wesen und stattliche Prinzen, die großartige Dinge tun, sind nicht so realistisch, um daran zu glauben.

Ein Standbils aus dem Film

Russische Volksmärchen fanden bei den sowjetischen Behörden großen Anklang. Nach der Definition des Revolutionsführers Wladimir Lenin drücken ein Volksmärchen und ein magisches Märchen in erster Linie „die Wünsche und Erwartungen des Volkes“ aus. Und unverdientermaßen unterdrückte Figuren (wie der jüngste Sohn oder eine Stieftochter wie Aschenputtel) aus den untersten Schichten der Gesellschaft wurden zu neuen Helden. Ein naiver Bauernjunge, der sein Ziel erreicht, während ein gebildeter und reicher Mann auf der Strecke bleibt – das war die perfekte Handlung für die sowjetische Propaganda.

In der Sowjetzeit wurden viele Spiel- und Animationsfilme mit dem dummen Iwanuschka produziert: Wie der dumme Iwanuschka das Wunder suchte, Wassilissa die Schöne, Das bucklige Pferd und andere.

Das Phänomen des jüngsten Bruders

Wie bereits erwähnt, ist Iwanuschka häufig der dritte Sohn in der Familie und steht im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern, die klug und vernünftig sind. Diese führen in der Regel bereits ihr eigenes Leben und sind Iwanuschkas Hauptgegner. Sie ärgern sich maßlos über Iwanuschkas Dummheit, schlagen ihn, werden dann aber eifersüchtig auf sein Glück und sind sehr wütend auf ihn. In einigen Geschichten versuchen sie sogar, ihn zu töten, um an seine Schätze zu kommen, werden aber stattdessen reingelegt.

Tatsächlich spiegelt dieser Handlungsstrang die realen Umstände der jüngsten Bauernsöhne wider. Normalerweise verließen die älteren Brüder das Elternhaus und bauten sich ein eigenes Haus, während der jüngste bei den Eltern bleibt und ihnen (die meist schon betagt sind) hilft – er und seine Frau leben bei den Alten, bis diese sterben und ihnen das Haus vererben (was die älteren Brüder oft neidisch macht).

Ein Standbild aus dem Zeichentrickfilm

„Das Motiv der unverdienten Verfolgung des Helden spiegelt den Zerfallsprozess des primitiven Gemeinwesens, der patriarchalischen Ordnung, den Übergang von der Sippe wider“, schreibt der Volkskundler Eleasar Meletinskij in seinem Buch Der Held des Zaubermärchens. „Er zeigt den Zerfall der Großfamilie in Gestalt von Zwietracht in der Kleinfamilie, zum Beispiel in Form von Verrat durch die älteren Brüder, die die jüngeren hintergehen.“

Die Tradition des heiligen Narren in der russischen Kultur

Iwanuschka steht in einer merkwürdigen Beziehung zu den magischen Kräften, und da er weltoffen ist, ist er der Einzige, der mit der anderen Welt kommunizieren kann. Wenn wir nach Parallelen im wirklichen Leben suchen, so gab es ein russisches Phänomen, das als heiliger Narr bezeichnet wurde. In der Regel handelte es sich dabei um Wandermönche, die einen sehr asketischen Lebensstil pflegten, meist barfuß gingen und zerlumpte Kleidung trugen. Sie taten absichtlich so, als wären sie Narren, was es ihnen ermöglichte, all die bitteren Wahrheiten laut auszusprechen, die sich sonst niemand zu sagen traute. Diese Narren galten als gesegnet und fast als Heilige (und selbst Zaren konnten ihnen zuhören und ihre Worte als Prophezeiungen verstehen). In der Tradition der russisch-orthodoxen Kirche war es daher allgemein üblich, mit Narren Nachsicht zu üben, ihnen zu helfen, sie zu ernähren und zu kleiden.

Was ist der Unterschied zwischen dem dummen Iwanuschka und Iwan Zarewitsch

„Der Held eines magischen russischen Märchens ist der jüngste der drei Brüder, entweder als dummer Iwanuschka, der Bauernsohn, oder als Iwan Zarewitsch (in Märchen des episch-heroischen Typs)“, erklärt Meletinskij.

So gab es in den russischen Märchen neben dem dummen Iwanuschka noch einen anderen berühmten Iwan, Iwan Zarewitsch (Zarensohn). Trotz des gleichen Namens und der gleichen Stellung in der Familie ist er eine andere Figur – ein starker, mutiger und schöner junger Mann, der normalerweise eine lange und komplizierte Reise unternimmt, um eine Prinzessin vor bösen Mächten zu retten (wie z. B. Kaschtschei der Unsterbliche). Iwan Zarewitsch kann auf einem Wolf reiten, den magischen Feuervogel fangen und alle Tiere helfen ihm bei seinen schwierigen Herausforderungen. Schließlich gewinnt der Held das Herz einer schönen Prinzessin, die er gerettet hat.

Obwohl Iwan Zarewitsch ein Prinz und Sohn des Zaren ist, ist er normalerweise ein freundlicher und unverdorbener Kerl (da er ohne Ansprüche auf den Thron aufgewachsen ist). Allein aus diesem Grund scheint der dumme Iwanuschka dem normalen russischen Volk näher zu stehen. Wanka-durak wurde zu einem sehr gebräuchlichen Spitznamen für einen Bauernsohn, der zwar naiv und nicht sehr gebildet, aber ein aufrichtiger Mensch ist, der an Gott und die Magie glaubt.

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