Das Gemälde misst 2,1 m × 3,7 m und war Wassilij Surikows erstes Werk über die russische Geschichte sowie seine erste großformatige Leinwand, die öffentlich ausgestellt wurde.
Das Kunstwerk wurde erstmals 1881 in St. Petersburg auf der 9. Ausstellung der Künstlergruppe der sogenannten Peredwischniki (dt.: Wanderer) ausgestellt, und Pawel Tretjakow erwarb das Gemälde unmittelbar nach dieser Veranstaltung für seine Privatsammlung.
Die Strelzý (deutsch: Schützen) waren eine Elitetruppe. Diese erste russische Berufsarmee entstand im 16. Jahrhundert unter der Herrschaft Iwans des Schrecklichen und setzte sich aus Freiwilligen aus Dörfern und Kleinstädten zusammen. Nur die Begabtesten von ihnen wurden aufgenommen, was der Division einen Elitestatus in der regulären russischen Armee einbrachte. Die Strelitzen wurden oft mit den französischen Musketieren verglichen.
Der Dienst im Regiment war lebenslang und wurde später vererbt. Die Strelitzen lebten getrennt von den anderen in ihrem eigenen Stadtviertel (russisch: sloboda) und erhielten als Gegenleistung für ihre Loyalität gegenüber dem Zaren und dem Staat eine Bezahlung in Geld sowie alle möglichen Privilegien – kostenloses Brot und Kleidung sowie Hof- und Steuerprivilegien. Sie waren leicht an ihrer Uniform zu erkennen, zu der ein Kaftan und eine Mütze mit Pelzbesatz gehörten, und sie durften Schusswaffen tragen.
Als Teil der Infanterie nahmen sie an zahlreichen Feldzügen teil – angefangen mit dem Feldzug gegen das Khanat Kasan im Jahr 1552 bis hin zum Großen Nordischen Krieg von 1700-1721. Gleichzeitig erwarben sie sich aber auch den Ruf, Volksaufstände niederzuschlagen. Unter Zar Alexej Michailowitsch, dem Vater von Peter dem Großen, war ihre Stellung die privilegierteste. Sie galten als die wichtigste Bastion der alten Ordnung, doch unter Peter dem Großen änderte sich alles.
Ende des 17. Jahrhunderts waren Volksaufstände keine Seltenheit, was zum großen Teil auf die oft radikalen und harten Reformen Peters des Großen zurückzuführen war, die sich auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirkten. Die Strelitzen bildeten dabei keine Ausnahme.
Ihre Entlohnung war zu jener Zeit recht niedrig. Peters Reformen, die eine vollständige Europäisierung des Landes vorsahen, erschwerten das Leben der Strelitzen nur noch mehr. Es wurden ausländische Obersten eingesetzt, die von den Strelitzen als tyrannisch empfunden wurden und die sie verachteten. Außerdem galten die neuen Regimenter, die Peter nach europäischem Vorbild aufstellte, als Elitetruppen, während die Strelitzen nur noch als Stadtpolizei angesehen wurden.
Sie reichten eine offizielle Beschwerde ein, eine so genannte tschelobítnaja, in der sie drohten, gegen ihre Vorgesetzten vorzugehen, wenn ihre Probleme nicht gelöst werden würden. Doch dazu kam es nie. 1698, als Peter der Große in Europa war, meuterten vier Strelitzen-Regimenter (etwa 2.200 Mann). Der Aufstand wurde jedoch von Peters neuen und loyalen Regimentern schnell niedergeschlagen.
Der Zar hielt diesen Aufstand nicht für einen sozioökonomischen Protest, sondern für einen Putschversuch, der von seiner Schwester und ehemaligen Regentin Zarewna Sophia inszeniert worden war. Peter glaubte, dass sie es war, die die Strelitzen zur Meuterei überredet hatte. Daher beschloss er, sie zu bestrafen und nahm persönlich an den Folterungen teil, um Zeugenaussagen gegen die verhasste Sophia zu erlangen. Nach grausamen Torturen wurden 799 Strelitzen öffentlich hingerichtet. Einige davon in Moskau auf dem Roten Platz.
Die Leinwand stellt einen frühen Morgen vor der Hinrichtung der Strelitzen im Herbst 1698 dar. Die Ereignisse spielen sich auf dem Roten Platz in Moskau ab. Wir sehen, wie die Verurteilten zum Lobnoje Mesto gebracht werden, wo entlang der Kremlmauer Galgen errichtet worden sind. Eine Menschenmenge besteht aus den Strelitzen (sie tragen weiße Hemden), ihren Familien und gewöhnlichen Schaulustigen. Gegenüber stehen Reihen der Regimentswachen und der Zar selbst.
„Auf meinem Bild ist kein Blut zu sehen, und die Hinrichtung hat noch nicht begonnen“, erläuterte Surikow. Der Maler hat absichtlich keine Gehängten dargestellt, um nicht vom Hauptthema abzulenken: dem historischen Tag der Hinrichtung. Tatsächlich ging mit dem Leben der Strelitzen eine Epoche zu Ende – die der Alten Rus'. Sie wurde durch einen Staat nach europäischem Vorbild ersetzt.
Historiengemälde waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt, aber sie wurden in der Regel in pompöser akademischer Manier gemalt. Surikow war ein Gegner des Akademismus und trat für den Realismus ein, was ihn von den meisten anderen Malern seiner Zeit unterschied.
Während der Arbeit an diesem Gemälde untersuchte Surikow die Kleidung im alten Stil und die Details des Lebens im späten 17. Jahrhundert. Er sprach mit Historikern und las die Tagebücher von Zeitgenossen, die diese Ereignisse miterlebt hatten. Um die Atmosphäre der 200 Jahre zurückliegenden Realität mit größter Genauigkeit darzustellen, bezog sich der Maler insbesondere auf das Tagebuch von Johann Korb, dem Sekretär des österreichischen Gesandten, der Zeuge der Hinrichtung der Strelitzen war. Den Zaren malte Surikow nach einem zeitgenössischen Porträt. Für alle anderen fand er lebende Modelle.
Ein wichtiges Detail sind die brennenden Kerzen in den Händen der Strelitzen. Wie der Maler erklärte, wird die Metapher einer brennenden Kerze am Tag mit einer Tragödie, Tod und Hoffnungslosigkeit assoziiert (nur bei Beerdigungen, die am hellerlichten Tag stattfinden, werden Gedenkkerzen angezündet). „Ich wollte, dass diese Flammen leuchten... dafür habe ich dem gesamten Gemälde einen schmutzigen Farbton gegeben“, schrieb er. Die brennenden Kerzen am Morgen sind genau das, was das Publikum beunruhigte.
Eine weitere Besonderheit des Gemäldes besteht darin, dass die Menschenmenge fast 80 % des Raumes auf der Leinwand einnimmt. Das lässt das Bild chaotisch erscheinen. Tatsächlich aber ist die Menge die Hauptfigur. Auf dem Gemälde wird die Menschenmasse von der Basilius-Kathedrale „gekrönt“, die das Bild der Alten Rus symbolisiert. Auf der rechten Seite ist eine gleichmäßige Reihe von Soldaten und der Zar zu sehen, die den Staat verkörpern. Diese Trennung zwischen Gesellschaft und Staat wird auf dem Gemälde durch das Blickduell zwischen Peter und einem rothaarigen Strelitzen unterstrichen.
Gleichzeitig besonders wichtig ist die Szene, in der ein Strelitze auf dem Weg zu seiner Hinrichtung ist und ein Soldat in Uniform ihn an der Schulter stützt. Wie der russische Kunsthistoriker Ilja Dorontschenkow betont, könnte man, wenn man diese Personen aus dem Kontext des Gemäldes herausnimmt, denken, dass es sich um zwei Kumpel handelt, die nach Hause zurückkehren und der eine den anderen freundlich stützt. Dieses Gefühl von zwei Menschen, die durch den Willen der Geschichte entzweit werden und doch vereint bleiben, ist „eine erstaunliche Eigenschaft von Surikows Gemälde“.
Nach Aussage des Malers kam ihm das Strelitzen-Thema zum ersten Mal in den Sinn, als er aus Sibirien, seiner Heimat, nach St. Petersburg reiste. Aber erst als er in Moskau ankam und den Roten Platz besuchte, erschienen ihm alles in Einzelheiten:
„Ich hielt unweit des Lobnoje Mesto an, um die Konturen der Basilius-Kathedrale zu bewundern, und plötzlich tauchte vor meinen Augen die Szene der Strelitzen-Hinrichtung auf, so lebendig, dass mein Herz schneller schlug. Ich spürte, wenn ich das, was ich gerade gesehen hatte, malen würde, wäre es ein erstaunliches Gemälde.“
Surikow verbrachte drei Jahre damit, diesen schicksalhaften Tag der Hinrichtung zu malen und ließ sich dabei nicht von anderen Themen ablenken. Er arbeitete dort, wo er lebte, in einer kleinen Wohnung in Moskau. Das Gemälde stand fast diagonal in einem winzigen Raum mit niedrigen Fenstern, so dass Surikow, wenn er einen Teil der Leinwand malte, den anderen nicht sehen konnte. Um das ganze Gemälde zu erblicken, musste er es von einem anderen Raum aus betrachten.
Das Kunstwerk wurde von den Kritikern hoch gelobt, was den Maler dazu inspirierte, sich weiter mit den dramatischen Ereignissen der russischen Geschichte zu beschäftigen. In den 1880er Jahren malte er zwei weitere monumentale Gemälde, die manchmal als Teil einer historischen Trilogie des Künstlers angesehen werden, zu der auch Menschikow in Berjosow (1883) und Bojarin Morosowa (1887) gehören.
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