Denis Fonwisin, Der Landjunker (1783)
Im 18. Jahrhundert wurden als Njédorosl (die deutsche Bezeichnung Landjunker ist nicht ganz treffend) junge Adlige bezeichnet, die keine Ausbildung (auch nicht zu Hause) erhalten hatten. Sie wurden nicht in den Militärdienst aufgenommen und es war äußerst problematisch für sie, zu heiraten.
Ein solcher junger Mann namens Mitrofan lebt in der Familie Prostakow. Er ist dumm, verwöhnt und undankbar. Sein Vater ist ein willensschwacher Mann, der versucht, seiner überheblichen und boshaften Frau zu gefallen. Diese liebt ihren Sohn, beschützt ihn vor allem und will ihn mit Sofia verheiraten, einer jungen Frau mit einer guten Mitgift. Letztere entpuppt sich jedoch als ehrliches und gebildetes Mädchen, das es nicht eilig hat, zu heiraten. Da beschließt die Mutter, die Braut für ihren Njédorosl zu entführen...
Die russische Literatur des 18. Jahrhunderts war voll von weit hergeholten Tragödien, die in einem höchst anzüglichen Stil geschrieben waren, sowie von sentimentalen Dramen. Fonwisin hingegen war einer der Ersten, der eine wirklich lustige Komödie schrieb, und zwar nahezu in Umgangssprache. Gleichzeitig ist das Stück im Stil des Klassizismus des 18. Jahrhunderts sehr geradlinig: Es hat eine Moral und klare Charaktere, sowohl im negativen als auch im positiven Sinne.
Katharina II. verstand das Stück als eine Satire auf den Adel und die Gesellschaftsordnung und ließ die Veröffentlichung verbieten. Andererseits bewunderten alle Schriftsteller ihrer Nachkommen diese Komödie. Heute steht sie auf dem Lehrplan der Schulen und viele russische Kinder, die nicht studieren wollen, werden scherzhaft als Njédorosl bezeichnet.
Alexander Gribojedow, Verstand schafft Leiden (1824)
Die Handlung des Stücks spielt in Moskau, zehn Jahre nach dem Ende des Vaterländischen Krieges von 1812 gegen Napoleons Frankreich. Ein junger Mann mit fortschrittlichen Ansichten, Alexander Tschatskij, kommt aus dem Ausland nach Hause. Er besucht seine junge Geliebte Sophie und beabsichtigt, bei derem Vater um ihre Hand anzuhalten. Es stellt sich jedoch heraus, dass Sophie bereits in einen anderen Mann verliebt ist – einen nicht sehr angenehmen Mann, der es allen recht machen will. Der fortschrittliche Tschatskij beginnt einen Streit mit den Freunden des Vaters der jungen Frau, Vertretern einer alten, verknöcherten Generation. Er fühlt sich wie ein Außenseiter, er streitet mit allen...
Diese Komödie in Versen war eine echte Revolution im russischen Drama – geschrieben in einfacher Sprache, brach sie mit dem Kanon des Klassizismus des 18. Jahrhunderts und war das erste realistische Stück. Verstand schafft Leiden wird noch immer in vielen Theatern Russlands aufgeführt.
Alexander Puschkin, Boris Godunow (1825)
Eine der rätselhaftesten Seiten der russischen Geschichte ist die so genannte Smuta, die Zeit der Wirren im frühen 17. Jahrhundert. Die Rurikiden-Dynastie fand mit dem Sohn Iwans des Schrecklichen, Zar Fjodor Iwanowitsch, ihr Ende. Boris Godunow bestieg den Thron. Russland wird von den Polen angegriffen, die einen Hochstapler, den Falschen Dmitrij, unterstützen...
Puschkin fantasiert darüber, dass es der junge Falsche Dmitrij gewesen sei, der einen verräterischen Plan ausgeheckt hat. Und da diese Version aus der Feder des wichtigsten russischen Dichters stammte, glauben die meisten, dass es Boris Godunow war, der den Mord an dem Zarewitsch Dmitrij anordnete, dem jüngsten Sohn Iwans des Schrecklichen und dem einzigen potenziellen Erben und Nachfolger der Rurikiden-Dynastie. Die Historiker sind sich jedoch darüber nicht einig.
Modest Mussorgski komponierte eine legendäre Oper auf der Grundlage dieser historischen Tragödie. Das Werk wurde mehrfach auf den Bühnen der ganzen Welt aufgeführt und auch verfilmt.
Nikolai Gogol, Der Revisor (1835)
In einer kleinen Stadt warten die korrupten Honoratioren auf einen wichtigen Beamten aus der Hauptstadt, der inkognito zu einer Revision kommen soll. Doch durch Zufall verwechseln sie den Revisor mit einem kleinen Beamten, der sich hierher verirrt und sein ganzes Geld verspielt hat. Der Abenteurer hat es jedoch nicht eilig, den Bürgermeister und dessen Untergebenen von ihrem Fehler abzubringen. Er beschließt im Gegenteil, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, Bestechungsgelder anzunehmen und sogar die Tochter des Bürgermeisters zu heiraten…
Der Revisor ist wahrscheinlich die beste russische Komödie über Korruption, Kriechertum und die ausbeuterische Haltung der Regierung gegenüber dem einfachen Volk. Sie ist so aktuell (und urkomisch), dass sie immer noch in den meisten russischen Theatern aufgeführt wird.
Alexander Ostrowski, Gewitter (1859)
Die Hauptfigur Katerina lebt in einer kleinen Stadt an der Wolga in einer äußerst patriarchalischen Kaufmannsfamilie. Ihr Mann ist ihr gegenüber kalt, und sie ist gezwungen, sich ihrer despotischen Schwiegermutter zu unterwerfen. Schließlich verliebt sich Katerina in einen anderen Mann und betrügt ihren Gatten. Da sie mit diesem moralischen Versagen nicht fertig wird, stürzt sie sich in die Wolga und stirbt.
Gewitter ist eines der ersten Werke, das das Problem der Unterdrückung der Frau aufgreift. Das Stück löste eine stürmische Reaktion in der Gesellschaft und bei den Kritikern aus. Der Publizist Nikolai Dobroljubow schrieb einen berühmten Artikel über das Stück mit dem Titel Ein Lichtstrahl im dunklen Reich, der zu einem geflügelten Wort geworden ist. Er sieht Katerina als Opfer der alten, rückständigen Kaufmannswelt und bewundert ihren Mut, sich dieser Welt zu stellen. Selbst der Selbstmord wird von ihm als heldenhaft und als einzig möglicher Ausweg aus diesem dunklen Reich angesehen.
Das Stück wurde am Moskauer Maly-Theater uraufgeführt und war ein großer Erfolg; es gilt bis heute als ein Standardwerk des russischen Dramas, und die Figuren des Stücks sind allen Russen ein Begriff.